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„Kaiser der Selbstsucht“ - Erfolgreiche Premiere von Ibsens "Peer Gynt" im Stadttheater

veröffentlicht am 04.10.2016
Peer Gynt

Brautraub: Peer Gynt (Sandro Sutalo) vergnügt sich mit der reichen Bauerstochter Ingrid (Elisabeth Hütter) vor deren Hochzeit. Fotos: Forster

Memmingen (as). „Peer, du lügst!“, mit diesem Ausruf der psychisch labilen Mutter wird der Zuschauer im fast ausverkauften Stadttheater eingestimmt auf die mit Spannung erwartete Premiere von Henrik Ibsens dramatischem Gedicht "Peer Gynt", dem Regiedebut der neuen Intendantin. Dr. Kathrin Mädler interpretiert den narzisstischen Phantasten als Prototyp des getriebenen, egozentrierten und empathielosen Selbstverwirklichers von heute.

Schwarz und weiß sind die Farben dieser Inszenierung, die Grauzone dazwischen, in der das normale Leben sich gewöhnlich abspielt, meidet Peer Gynt. König, ja, Kaiser will er werden. Peer träumt sich aus der Enge der norwegischen Fjorde, seines ärmlichen Zuhauses und der Mentalität seiner Landsleute (die ihn verachten) hinaus in eine Welt der Abenteuer, in der er der Held ist. Mutwillig raubt er des Nachbarn Braut und verlässt sie wieder, im Land seiner Lüste begegnet er wundersamen Trollen, verfällt der Tochter ihres Königs, kämpft mit dem großen Krummen, wird Sklavenhändler in Afrika und landet schließlich im Irrenhaus von Kairo, wo er zum „Kaiser der Selbstsucht“ gekrönt wird. Denn mittlerweile ist der harmlose Phantast, der sich mit Lug und Trug durchs Leben wurschtelt, zum skrupellosen Machtmenschen degeneriert.

Einige der Szenerien der ziemlich verästelten Originalvorlage wurden gestrichen, was aber auf den unvorbereitet mit dem Stück konfrontierten Zuschauer etwas verwirrend wirkt. Davon ausgehend, dass es sich um „Gedanken- und Traumräume“ des realitätsfernen Peer Gynts handelt, entbehrt das Stück nicht viel, wenn die ohnehin schwer auf die Bühne zu bringenden Schauplätze wegfallen. Und wenn man bedenkt, dass das Muttersöhnchen Peer auf den Stationen seiner phantastischen Weltreise auch keine Entwicklung im Sinne einer charakterlichen Reifung durchmacht, so ist das dramatische "Abarbeiten" der Stationen obsolet. Dennoch: Ohne Vorwissen sind sowohl die zeitlichen Sprünge als auch die Bedeutung mancher Figuren schwer nachzuvollziehen.

Gier nach Selbstverwirklichung

Peer Gynt 2

Unheilige Dreifaltigkeit: Peer Gynt wird von drei Darstellern (Sandro Sutter, Jans Schnarre und Aurel Bereuter) dargestellt.

So wird Peer Gynt von drei Schauspielern dargestellt die - anders als in älteren Inszenierungen wie der von Peter Stein, der 1971 gleich mit einem halben Dutzend Peer-Schauspieler aufwartete - nicht die Lebensphasen des „Helden“ abbilden, sondern seine ständig miteinander kommunizierenden verschiedenen Persönlichkeitsanteile. Mädlers Deutung des für Ibsen untypischen analytisch-symbolischen Gesellschaftsdramas, das heute als Vorläufer des modernen Theaters betrachtet wird, ist eine psychoanalytische. Sie betont die starke, ungelöste ödipale Mutterbindung des negativen Helden als Kern seiner Münchhauseniaden und seiner Hochstapeleien. So spielt Sandro Sutalo als "Haupt-Ich" den Peer wie ein naives, zu groß geratenes Kind. Ein zweiter Darsteller (im Kokainrausch: Jens Schnarre) verkörpert ihn als kapitalistischen Ausbeuter. Am Ende der Welt- und Lebensreise bleibt Peers drittes Ich (Aurel Bereuter) ängstlich und verwirrt zurück. „Sich selbst genug“ wollte er sein, und ist doch niemals „er selbst“ gewesen. Das hält der Knopfgießer (Anke Fonferek) ihm nun vor, der ihn aus dem Leben nehmen und "umgießen" will, weil Peer sein Leben, das ihm zu gering erschien, nicht gelebt, sondern vor lauter Gier nach Selbstverwirklichung verpasst hat.

Mystische Welt auf karger Bühne

Peer Gynt

Das Ewigweibliche zieht auch ihn hinan: Am Ende seines verpassten Lebens wird Peer durch Solvejgs Liebe (Miriam Haltmeier) errettet. Bei ihr kommt er endlich zur Ruhe. 

Bäuerlich-norwegischer Bergidylle entsagt das recht karge Bühnenbild von Gast-Ausstatterin Mareike Delaquis-Porschka. Hauptstation ist ein ausrangierter (abgestürzter?) Sessellift. Eine Lichtergirlande markiert den Raum, indem die Hochzeitsvorbereitungen der reichen Bauerstochter Ingrid (Elisabeth Hütter), von Peer geraubt, stattfinden. Mit ihm gemeinsam fantasiert sie sich heraus aus der realen Welt. Eine groteske Szene zeigt, wie sich die schließlich von Peer Verschmähte in einem weißen Tutu aus grauen Müllsäcken herausschält, die die Bühnen im hinteren Teil bedecken (Sinnbild für Peers "Selenmüll"?).

Bei den Vorbereitungen lernt Peer auch seine große Liebe Solvejg (Miriam Haltmeier) kennen, doch auch sie kann den rastlos vor sich selbst Fliehenden nicht aufhalten. Die mystische Welt der Trolle sticht vor allem durch die weiße Kostümierung aus dem Dunkel der Bühne heraus. Auch das Irrenhaus, in dem Peer seine wenig ehrenhafte Krönung erlebt, ist eine der groteskeren Station der Inszenierung. Im zweiten Teil markiert ein (Schiffs-)Mast seine gefährliche Heimreise.

Reichhaltige atmosphärische Gestaltung

Die Kargheit der insgesamt düsteren Bühnengestaltung wird durch reichhaltige atmosphärische Gestaltung (Techno-Musik, komplexe Lichtregie, Regengeräusche und Kunst-Schnee) wett gemacht: In der verschneiten Landschaft der Heimat findet das berühmte finale Zwiebelschälen statt: „Bis zum innersten Innern, - da schau mir einer! – bloß Häute, - nur immer kleiner und kleiner“. Was fehlt, ist der feste Kern. Das geschälte Gemüse wird zum Gleichnis für Peers Wesen.   

Besonders zu loben ist das überaus engagierte (Zusammen-)Spiel aller Darsteller. Besonderen Applaus erhielt Anke Fonferek, sie gab den Knopfgießer mit mephistophelischem Witz und Eleganz.

Weitere Vorstellungen im Großen Haus am 12. Oktober, 3. Dezember, 10. und 19. Januar 2017 - jeweils um 20 Uhr, sowie am Sonntag, 30. Oktober, 19 Uhr.