Memmingen (as). Frühlingserwachen auf dem Lande – umrahmt von Kirchenorgelgetöse und Glockengeläut reift ein junges Mädchen zur lebens- und liebeshungrigen Frau. Umgeben von Bigotterie, Kleingeistigkeit und Ignoranz auf einem Dorf im Bayerischen Wald, versiegen ihre Lebenssäfte allmählich. Britta Schreibers Inszenierung der Momentaufnahmen der jungen und alten Susanne sind, trotz aller Verzweiflung, auf skurrile Art komisch. Das Premierenpublikum bedankt sich bei Michaela Fent mit Bravo-Rufen für ihre faszinierende und intensive Darstellung.
Susanne, eine sinnliche und sensible Frau, ist verwirrt, weil ihre innere Lebenswirklichkeit keine Entsprechung in der äußeren findet („Was fange ich mit den Leuten in meinem Kopf an?“). Durch ihre sehr bildhafte, poetische Sprache versucht die „Fremde“ sich zu verorten, verarbeitet ihre Eindrücke und Empfindungen in ihrem Tagebuch. Doch ihre grüblerischen Selbstreflexionen verstricken sie in gedankliche Labyrinthe - und am Ende eines jeden Gedankengangs steht immer wieder ein Fragezeichen. Sie hinterfragt, was andere als gegeben hinnehmen oder gar nicht wahrnehmen, reibt sich an Konventionen.
Im ersten der drei „Lebensbilder“ sitzt 17-jährige Susanne mit zusammengepressten Knien auf den Sprossen einer Leiter, die den Beichtstuhl markiert, und erklärt dem voyeuristischen Dorfpfarrer (reduziert auf eine Stimme auf Band) warum sie aus der Kirche austreten will: „Ich will nicht in der Gemeinschaft derer bleiben, für die Glaube nur Kopfhaltung ist."
Vom Leben verschaukelt
Zum zweiten Szene geht es über eine Schaukel, welche die Mitte der Studios einnimmt. (Sabine Manteuffels Bühnenbild ist in seiner Minimalistik sehr wirkungsvoll). Susanne schwingt sich ein in ein befreiteres Leben. Zehn Jahre sind vergangen, längst hat sie das Haus der Großmutter verlassen und lebt in einem Studentenzimmer unter anderem ihre Sexualität aus (jeder abgelegte Schlüpfer steht für einen Liebhaber). Noch immer versucht sie, sich und die Welt zu verstehen, Jazzmusik beflügelt den Rhythmus ihrer sprachgewordenen Selbsthinterfragungen.
Wieder ein Zeitsprung - ihre weißen Kleider abgestreift wie Eierschalen, steht Susanne in der folgenden Szene im Unterrock vor ihrem in seine Schriftstellerei vertieften Mann (repräsentiert durch ein stummes Porträtfoto an der Wand) und ringt vergeblich um seine Aufmerksamkeit. Doch dieser, anstatt mit ihr zu leben, schöpft aus dem Fundus ihrer krausen Gedanken und schreibt lieber über sie. Ein Leben im Vakuum – die Schaukel schwingt ins Leere.
Dass ihre Mitmenschen in dem Einpersonenstück auf ein Foto und eine Stimme vom Band reduziert sind, führt Susannes innere Einsamkeit vor Augen. Der Pfarrer missbraucht sie für eigene Stimulation, der Ehemann als literarische Vorlage - bis sie schließlich im letzten Bild ganz allein dasteht. Schwerfällig jetzt, mit dem Schnapsglas in der Hand, abgestumpft, in breitem Dialekt führt sie weiterhin Selbstgespräche und hofft, dass der liebe Herrgott ihr zuhört. Doch auch der bleibt stumm…
Info: Herbert Achternbuschs Roman „Die Alexanderschlacht“ war maßgebend für die Avantgarde der deutschen Literatur in den 1970er Jahren. Mit seinen insgesamt über zwei dutzend Filmen bricht Achternbusch gerne und bewusst Tabus und attackiert die nach seiner Meinung verlogene Gesellschaft. Das Theaterstück Susn entstand 1980.
Weitere Vorstellungen in Memmingen am 6., 8., 20., 25., 28. und 31. Oktober sowie am 5. und 8. November, jeweils um 20 Uhr. Kartenreserierung unter 08331/ 9459-16.