Hier wird der Wilde Westen gleich mit hineinprojiziert: Michael Kohlhaas (Klaus Philllip) mit Spieler I (Sandro Sutalo, links) und Spieler II (Jan Arne Looss) vor einer Canyon-Szenerie. Fotos: Forster/Landestheater Schwaben
Memmingen (as).“Lass uns etwas Gutes tun und dabei sterben“ – In der 1808 entstandenen Novelle „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist wird ein mustergültiger, unauffälliger Staatsbürger zum rasenden Rächer. Leichtfüßig, mit komischer Distanz und Anklängen an den Wilden Westen inszeniert Anne Verena Freybott den Klassiker um Recht, Rache und Gerechtigkeit. Sie verzichtet auf krampfhafte Aktualisierungen und streut Witz und Ironie wohldosiert ein, ohne dabei das Geschehen ins Lächerliche zu ziehen.
Wie aufgeklappt wirkt der helle, graue Boden im Studio, auf der Bühnenrückseite tut sich eine steile Wand vor dem Zuschauer auf. Zwei unisono in schneeweiße Anzüge gekleidete und als Spieler I und Spieler II bezeichnete Herren (Sandro Sutalo und Jan Arne Looss) betreten die Bühne und räumen erst einmal gründlich einmal auf. Denn überall liegen Säcke herum, die im Stück für so ziemlich alles stehen, was es zu überwinden gilt. Kaum ist der Ballast entfernt, wird Michael Kohlhaas (durchweg sympathisch verkörpert durch Klaus Phillip) wie eine willenlose Puppe über die Rampe ins Spiel gestoßen. Doch vorher wird das Spielfeld abgesteckt, mit einstudierten Bewegungen - gerade so, als würden die Spielleiter den Boden bereiten für ein auswegloses Spiel, das sie bereits in- und auswendig kennen.
Kohlhaas wird vorgeführt
Hier werden die Karten für Kohlhaas gemischt: Hin und hergereichte Briefe zeigen, wie der Roßhändler (Klaus Phillip) von der Obrigkeit an der Nase herumgeführt wird.
Wir befinden uns an der Grenze zu Sachsen, genauer gesagt an einem Schlagbaum vor dem Schloss des Junkers Wenzel von Tronka. Hier wird der naiv-rechtschaffene und gesetzestreue Rosshändler Michael Kohlhaas von den beiden namenlosen Herren (Spieler I und Spieler II), die mittlerweile als mutwillige Schlagwärter agieren, kräftig vorgeführt.
Die Grenzwärter fordern die prächtigen Rappen des von Bühnenbildnerin Julia Nussbaumer gegen Ende des Stücks westernhaft ausstaffierten Kohlhaas als Pfand für seinen Grenzübertritt. Als der Kaufmann seine Pferde auf der Heimreise abholen will, findet er magere, klapprige Mähren vor, die als Zugvieh missbraucht wurden. Er fordert Rechenschaft und wird vom Junker arrogant abgewiesen. - „So oder so, es wird Gerechtigkeit geschehen“, ist Kohlhaas überzeugt. Doch zu seinem ungläubigen Entsetzten wird seine Schadensersatzklage abgewiesen.
„Ein freier, denkender Mensch bleibt nicht da stehen, wo man ihn hin schlägt“, sagt sich Kohlhaas und wendet sich an den Kurfürsten von Brandenburg, doch dieser ist verschwägert mit derer von Tronka und bezeichnet den Klagenden abfällig als „unnützen Querulanten“. Im irren Lachen des um sein Recht Betrogenen kündigt sich die novellentypische Wende des Geschehens an: der Amoklauf des Geprellten.
Rasend vor Ohnmacht und Verzweiflung
„Er beißt sich fest wie ein Jack Russell Terrier“, kommentieren Spieler I und II lapidar (diesmal als Beobachter) das Verhalten der Hauptfigur. Und als dann noch Kohlhaas‘ geliebtes Weib Lisbeth beim Überbringen einer Bittschrift von einem übereifrigen Burgwächter getötet wird, kennt der gute Mann kein Halten mehr. Er greift zur Selbstjustiz, will sich das Recht, dass ihm nicht freiwillig gewährt wird, mit Gewalt verschaffen.
Rasend vor Verzweiflung und Ohnmacht widmet sich unser einsamer Held dem “Geschäft der Rache“. Er fällt in die Burg ein, tötet die Bewohner und legt Feuer im „gerechten Krieg“ gegen Tronka, dessen Auslieferung er erzwingen will. Mit einem Trupp von Gleichgesinnten setzt der Wüterich, von Kleist als „rechtschaffensten und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ beschrieben, Wittenberg und Leipzig in Brand, um mit Feuer und Schwert die Arglist der Welt zu bestrafen. „Lass uns Gutes tun und dabei Sterben“, lautet sein revolutionärer Wahlspruch.
Trotziger Sieger im Tod
Kurz bevor das Geschehen seinen tragischen Höhepunkt erreicht, fallen Spieler I und Spieler II genussvoll aus ihren Rollen - und (erfrischenderweise) auch aus der etwas schwergliedrigen, und verschachtelten Sprache Kleists. „Habt ihr Bock, dass wir euch das Ende erzählen?“, fragen sie lässig ins Publikum und erzählen in schnoddriger Umgangssprache von den weiteren, immer absurder werdenden Wendungen des Geschehens - von Gräueltaten, Massenschlägereien und „Fake News“, bis zur Verurteilung Kohlhaas‘ zu Tod und Folter. Dieser steht am Ende, seinen Tod billigend in Kauf nehmend, als trotziger Sieger dar.
Michael Kohlhaas (Klaus Phillip) vor der Rampe, hinter der sich auch die Obrigkeit im Stück gern verschanzt.
Herausforderung fabelhaft gemeistert
Gemeinsam mit dem gesamten Team hat Anne Freybott die Herausforderung, diese ereignisreiche Novelle auf eine kleine Bühne mit drei Darstellern herunterzubrechen, fabelhaft gemeistert. Im fliegenden Wechsel bewältigen Jan Arne Looss und Sandro Sutalo als namenlose Spieler ihre Rollen, wirken in ihren weißen Anzügen mal wie nonchalante Jungunternehmer, dann wie kalt analysierende Nervenärzte oder einfach nur wie unbeschriebene Blätter, Projektionsflächen für wechselnde Standpunkte. (Witziger Effekt: Um als Lisbeth zu agieren, wickelt sich Spieler II , Jan Arne Loos, einfach nur sein Jacket wie eine Schürze um die Hüften.)
Lapidar kommentieren und konterkarieren die Mr. Nonames das tragische Geschehen mit Schlagworten wie „keine Macht dem Staat“, „Revolution von unten“ oder „Eliten abschaffen“ - ohne ihm jedoch den Wind aus den Segeln nehmen.
Wie abgewirtschaftet ist unser Rechtsstaat?
Anders als auf anderen deutschen Bühnen derzeit zu sehen, lässt Freybott die Kleistsche Novelle nicht durch platitüdenhafte Aktualisierungen ausbluten : Kohlhaas entpuppt sich weder als Reichs- noch als rigider Wutbürger. Und eine gelbe Weste trägt er auch nicht. Doch auch vor dem Hintergrund zeitlosen Tugendterrors stellt sich die Frage: Wie abgewirtschaftet ist unser Rechtsstaat? Wie moralisch sein politisches Handeln?
Ein kühner Ritt durch die Rechtsgeschichte
In der Novelle, die als verkappte Kritik Kleists an der Unfähigkeit Preußens gedeutet wird, den Volksheeren Napoleons und seiner modernen Staats- und Justizorganisation etwas entgegenzustellen, werden verschiedene Rechtsauffassung nebeneinander gestellt und relativieren sich gegenseitig: Das historische Vorbild des Roßhändlers Kohlhaas lebte Mitte des 16. Jahrhunderts, also nach den Bauernkriegen. Er beruft sich aber auf die aufklärerischen Rechte des emanzipierten Bürgertums im Zeitalter seines Autors Kleist - und zettelt schließlich eine mittelalterliche Fehde gegen das Land Sachsen an - eine Form der bewaffneten Selbsthilfe, die unter Maximilian I im Jahr 1495 endgültig verboten wurde und fürderhin als Landfriedensbruch galt.
Schmauchspuren einer Räuberpistole
Freybott mischt dazu noch Schmauchspuren einer Räuberpistole ein. Ein Hauch Wilder Westen weht durch die Inszenierung (auch dort gab es korrupte Landbesitzern, die Zölle erhoben), ein tragischer, einsamer, als lonesome cowboy ausstaffierter Held bemächtigt sich der Naturgewalten für seinen Kampf.
Dabei zeigt sich in der Interpretation des Michael-Kohlhaas-Teams durchaus Sympathie für den Gerechtigkeitsfanatiker - und für seinen Autor. Der selbst so oft gescheiterte und an der Realität verzweifelte Heinrich von Kleist hat mit Kohlhaas (wie z.B. auch mit Penthesilea) einen zwanghaft-besessenen, rasenden Helden zwischen Ohnmacht und Macht (bzw. Selbstermächtigung) erschaffen. Seine Figuren sind Außenseiter, Unverstandene und Erniedrigte. Figuren, die scheitern - in einer Welt, die nicht genügt.
Die sehr gelungene Inszenierung ist noch am 14., 21., und 22. Februar sowie am 1., 2. 3 und 8. März im Studio des Stadttheaters zu sehen. Karten gibt es unter Telefon 08331/ 9459-16. Weitere Informationen unter www.landestheater-schwaben.de