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"Die Pflege ist ein Stiefkind“

Susanne Vonier über Wunsch und Wirklichkeit in der Pflege

veröffentlicht am 02.01.2018
Susanne Vonier

Susanne Vonier sprach mit der Lokalen über die aktuelle SItuation in der Pflege. Foto: privat

(as). Die ausgebildete Krankenschwester Susanne Vonier betreut durchschnittlich 20 bis 30 Patienten mit ihrem ambulanten Pflegedienst. Seit 1999 führt sie das private Pflegeheim Hafner Villa in Ottobeuren. Dort werden 37 Bewohner betreut. Lokale-Redakteurin Antje Sonnleitner unterhielt sich mit ihr in ihrem Büro in der Neuen Welt 10 über die aktuelle Situation der Pflege.

Frau Vonier, warum arbeiten Sie als ausgebildete Krankenschwester in der Pflege?

Weil ich die Arbeit in der Pflege erfüllender finde, weil ich Menschen mag und den intensiven Kontakt zu ihnen schätze. Es ist eine spannende und befriedigende Aufgabe, sie ein Stück weit auf ihrem Lebensweg zu begleiten.

Unter welchen Einschränkungen leiden die Bewohner Ihres Pflegeheims?

Wir betreuen dort Koma- und Schmerzpatienten ebenso wie Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, zu denen auch Demenzkranke gehören, sowie chronisch kranke Menschen die z.B. an Parkinson, MS oder Chorea Huntington leiden.

Wie hat sich das neue Pflegestärkungsgesetz (PSG) auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Insgesamt positiv, die Einteilung in Pflegegrade ist ein Fortschritt, zumal der Mehraufwand nun über die Einstufung mitfinanziert wird. Zeitaufwendige Tätigkeiten der Behandlungspflege wie zum Beispiel Verbandswechsel, Medikamentengaben und Sauerstoffbehandlung wurden bisher nicht vergütet.

„Ambulant vor stationär“, lautet das Mantra in der Pflege. Doch ist dieser Grundsatz bei alten, gebrechlichen Menschen umsetzbar?

„Ambulant vor stationär“ spart Kosten und klingt gut, zumal die meisten Menschen zu Hause alt werden wollen. Doch die Betrachtung geht oftmals an der Realität vorbei. Wir leben in einer flexiblen Gesellschaft. Die Kinder ziehen weg, studieren, haben ihre Lebensmittelpunkt woanders. Und im ambulanten Dienst ist eine qualifizierte Rund-um-die-Uhr-Pflege schwer umsetzbar und kaum finanzierbar.

Ist das PSG dennoch ein Schritt in die richtige Richtung?

Ja, aber leider reichlich spät. Politik und Kassen hätten bei der personellen Besetzung nachrüsten müssen, bevor die Pflege durch chronische Unterbesetzung und Negativschlagzeilen in Verruf kam. Dann hätten die Pflegeeinrichtungen früher die Chance gehabt, den Beruf auch von den Arbeitszeiten her attraktiver zu gestalten. Jahrelang wurde die Berufsgruppe von Politik und Kassen stiefmütterlich behandelt – vor allem in Bezug auf Ausbildung und Umschulung -  und jetzt beklagt man sich, dass niemand mehr in der Pflege arbeiten will.

Zudem wird die Gesellschaft in einigen Jahren vor einer Alterspyramide stehen …

Allerdings, und wir schultern nicht mal den jetzigen Zustand, zumal kein qualifizierter Nachwuchs zu bekommen ist. Und wenn für die Altenpflege jeder ausgebildet wird, der zwei Hände hat - unabhängig von Qualifikation, Sprachkompetenz und Neigung - darf man sich nicht wundern, dass viele Leute nach ein paar Jahren abspringen, weil sie überfordert sind. Medizinische Versorgung und Qualitätsmanagement werden immer aufwendiger und schon deswegen darf das Niveau der Ausbildung nicht sinken.

Ist es im ambulanten oder stationären Bereich leichter, Pflegekräfte zu gewinnen?

Das ist in beiden Bereichen gleich schwer. Einige Pflegeheime haben bereits Aufnahmestopp, weil der Fachkräftemangel keine Vollbelegung mehr zulässt.

Die Politik ist also gefragt, mehr zu tun?

Ja, das Metier wurde viele Jahre lang komplett vernachlässigt. Auch die unangemeldeten Prüfungen tragen nicht dazu bei, den Eindruck von Wertschätzung zu vermitteln. Zudem müssten die Prüfungskriterien überdacht werden, da sie meines Erachtens eher zweitrangig für die Ergebnisqualität und die Situation der Bewohner sind.

Wie ließe sich die Situation denn verbessern?

Mehr Anreize schaffen, Steuererleichterungen geben - gerade auch für Wiedereinsteiger in gemeinnützigen Berufen oder unversteuerte Überstunden für Teilzeitkräfte, die Vollzeit einspringen. Den Einrichtungen durch den Zusatzschlüssel des PSG mehr Personal zuzugestehen, ist immerhin ein Anfang. Doch was nützt das, wenn wegen Überstunden und Wochenendarbeit kaum jemand die Arbeit machen will? Nur wenn genügend Mitarbeiter da sind, kann jeder einzelne mit Freude und Spaß bei der Sache sein.

Der Ruf der Pflege hat nicht zuletzt durch die Berichterstattung in der Presse sehr gelitten.

Ja, es ist kontraproduktiv, wenn wenige negative Dinge in der Presse breitgetreten werden. Stattdessen sollte man die vielen schönen, positiven und anspruchsvollen Seiten des Berufs betonen. Das Thema Alter und Krankheit geht jeden etwas an. Wertschätzung denen gegenüber, die sich dann um uns kümmern, ist sehr wichtig. Der Beruf verlangt psychisch und physisch sehr viel.

Wie lautet Ihr Neujahrswunsch?

Die Politik soll das Thema ernster nehmen. Ich wünsche mir, dass dieser verantwortungsvolle Beruf angemessen bezahlt wird. Wenn die Pflege auch in der Gesellschaft mehr Anerkennung findet, können wir wieder junge Menschen für diese interessante Tätigkeit gewinnen. Die Pflege ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die viel Empathie, Leidenschaft, Professionalität, Herz und auch Humor erfordert.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Vonier!