Regina Vogel brilliert im Monodrama „Am Boden“. Das Schauspiel des Landestheaters Schwaben in Zusammenarbeit mit dem Allgäu Airports findet in der Lärmschutzhalle auf dem Flughafengelände statt. Fotos: Karl Forster/Landestheater Schwaben
Memmingen (as). Töten per Knopfdruck: Das vielfach ausgezeichnete und weltweit inszenierte Monodram „Grounded – Am Boden“ des US-amerikanischen Dramatikers George Brant beschreibt die verstörenden Folgen virtueller Kampftechnologie und widmet sich damit einem von der internationalen Öffentlichkeit weitgehend ignorierten Thema: dem völkerrechtswidrigen Kampfdrohneneinsatz des US-amerikanischen Militärs.
„Ich hab ihn nie ausziehen wollen“ - auch zuhause lässt George Brants namenlose Drohnenpilotin den Kampfanzug an: „So weiß ich, wer ich bin.“ Doch diese Gewissheit wird am Ende schwinden.
Doch von vorne: Durch eine ungewollte Mutterschaft wird die gefeierte junge F-16-Kampfpilotin der US-Air Force zur „Chairforce“, den „Sesselfurzern“, wie sie es verächtlich nennt, versetzt. Töten ist immer noch ihr Auftrag, doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert. „Irak erledigt - neue Wüste, gleicher Krieg“: Hat sie soeben noch Raketen von ihrem pfeilschnellen Falken „Tiger“ aus vom Himmel regnen lassen, ist sie nun in einem Container in der Wüste Nevadas gelandet. Von hier aus soll sie Drohneneinsätze im 8.000 Meilen entfernten Afghanistan per Joystick steuern – mit einer Reaper, der „Königin der unbemannten Fluggeräte“, wie der Kommandant versucht, der ehrgeizigen Soldatin den Elf-Millionen-Dollar-Todesengel ohne Cockpit schmackhaft zu machen.
In ihren 12-Stunden-Schichten hat diese nun „den Kopfhörer voller Leute“, die Befehle geben und Todesurteile verhängen. Weit, weit weg und doch ganz nah dran: Wie ein Aasgeier kreist die Kamera, das Auge des Reapers, in diesem perfiden Kampf manchmal stundenlang über den Teilen zerfetzter Körper. Solange, bis die Wärmebildkamera kein Signal mehr empfängt und die Überreste des Fremden, Bedrohlichen im allgegenwärtigen Grau verschwimmen, das auch sie mehr und mehr zu verschlingen scheint.
„Kiss & Let Die“
Als Pilotin einmal im Jahr zuhause, kehrt die Kriegsheldin jetzt täglich zu Mann und Tochter zurück. „Kiss & Let Die“: Morgens küsst sie ihre Lieben und fährt dann zum Töten wie zur Schichtarbeit, zunächst noch getragen von den Allmachtsfantasien einer „Drohnengöttin“.
Tag für Tag wird aus der Mutter eines kleinen Mädchens, das mit rosa Ponys spielt, der verlängerte Arm eines kalten Mordinstruments. Doch irgendwann ist der Heimweg durch die Wüste Nevadas nicht mehr lang genug, um die Eindrücke der „toten grauen Haufen“ der liquidierten "Schuldigen" aus ihrem Kopf zu verdrängen. Die Grenzen verschwimmen ...
Sehr starke Darstellerin
Bei diesem Stück müssen die Zuschauer sich warm anziehen, und das keineswegs nur aufgrund der eisigen Temperaturen im trostlosen Beton der Lärmschutzhalle am Memminger Flughafen. Wie bereits in dem Monolog „Schlafen Fische?“ versteht Regina Vogel es, ihre Zuschauer vom ersten Moment an zu fesseln und in das unwirklich-grausige Geschehen dieses scheinbar virtuellen Krieges gegen mutmaßliche Terroristen zu verstricken. Die Entscheidung über Leben oder Tod degeneriert hier zum Glücksspiel, bei dem nicht nur Terrorverdächtige ohne Anklage und Gerichtsverfahren getötet werden: Bekanntlich kommen bei Drohneneinsätzen auch regelmäßig Zivilisten als „Kollateralschaden“ zu Tode.
"Schweiß, Grips und Mut“
Regisseur Peter Kesten zeigt die vermeintliche Heldin, die sich in einer Männerwelt mit „Schweiß, Grips und Mut“ behauptet, als wilde, kämpferisch-aggressive Frau. Er lässt sie, die sich zunächst ihre arrogante Siegesgewissheit und schließlich - "am Boden" - ihr Entsetzen von der Seele brüllt, oft in voller Lautstärke agieren. Ein paar Lautstärkevariationen hätten der dichten, knappen und drängenden Sprache des Monologs jedoch mehr Eindringlichkeit verleihen können.
Plastizität verleihen die raffinierten Lichtwechsel dem Geschehen und dem minimalistischen Bühnenbild von Marie Wildmann, das mit zwei Scheinwerferreihen am Boden eine Landebahn andeutet und sich ansonsten auf einen Bürosessel beschränkt. Ein sehr wirkungsvolles Instrument der Inszenierung sind die Leinwandprojektionen.
Das Premierenpublikum spendete langanhaltenden Applaus für eine spannende und aufwühlende Inszenierung mit einer faszinierenden und mitreißenden Darstellerin.
Weitere Aufführungen in der Lärmschutzhalle am Flughafen (Parkmöglichkeiten in der Kiss & Fly-Zone) gibt es am 8., 12, 22. und 23. Mai. Karten gibt es unter Telefon 08331/ 9459-16 oder unter vorverkauf@landestheater-schwaben.de. Informationen zur Anfahrt auch auf landestheater-schwaben.de oder an der Theaterkasse.
Info: Das US-Militär benutzt Kampfdrohnen bereits seit 2001, mindestens sieben Staaten sind betroffen: Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien, Somalia, Jemen und Libyen. Unter Friedensnobelpreisträger Barack Obama wurden Drohnenmorde zur Routine. Mutmaßliche Terroristen wurden von Reaper-Drohnen eliminiert - eine Hinrichtung ohne Prozess. Jeden Dienstag wurden dem Präsidenten sogenannte „Kill Lists“ mit Zielpersonen vorgelegt, die er unterzeichnete. Viele der Opfer waren unschuldige Zivilisten, sogenannte Kollateralschäden.
Donald Trump hält die Zahl der Drohnentoten geheim. Einem Bericht zufolge soll es unter seiner Administration jedoch bereits in den ersten neun Monaten mehr zivile Drohnen-Tote gegeben haben, als unter Barack Obama in acht Jahren.
Derzeit forschen die USA offiziell an Drohnen, die selbstständig Ziele erfassen, verfolgen und ohne menschliche Aufsicht töten können.