Hochzeit in Helsingör: Der neue König Claudius (Jens Schnarre) heiratet die Frau seines toten Bruders (Claudia Frost) - beide oben im Bild. Wenig erfreut darüber: Prinz Hamlet (Jan Arne Looss) und seine Ophelia (Regina Vogel). - Unser Vorschaubild: Auch die Liebe zwischen Hamlet und Ophelia fällt den Intrigen am Hof zum Opfer. Fotos: Monika Forster
Memmingen (as). „Etwas ist faul im Staate Dänemark“ - Es ist
eine große Herausforderung die Tragödie „Hamlet“, das bedeutendste Werk des
genialen Uraltmeisters Shakespeare, in heutiger Form auf die Bühne zu bringen.
Nicht zuletzt dank eines starken Ensembles hat Gastregisseur Jochen Strauch den
Psychothriller um den an der Wirklichkeit verzweifelnden dänischen Prinzen,
dessen Onkel seinem Vater Leben, Krone und Frau nahm, meisterhaft bewältigt. Fesselnd,
intensiv und ausdrucksstark ist Jan Arne Looss in der Titelrolle.
„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ – hier könnte man den berühmten Satz aus Hamlets Monlog noch um „Schein oder Sein …. “ erweitern: Es geht um Trug und Täuschung, um die manipulativen Mechanismen der Macht, die zweifellos auch heute noch an der Tagesordnung sind - wie die Rochaden der jüngsten Politikgeschichte zeigen.
„Die
Zeit ist aus den Fugen“
Der Prinz ist zerrissen zwischen
zwei Welten: Der nach Selbstverwirklichung strebende, selbstreflexive
Menschen der Renaissance, der das bisherige Weltbild infrage stellt,
wird mit der überkommenen kriegerischen Machtpolitik
von Vater und Onkel konfrontiert. Ja, nicht nur das: Durch die
Racheforderung des Geistes seines Vaters wird sie ihm zum verbindlichen
Auftrag.
Privates und Politik vermischen sich, dennoch tritt die politische Handlung des auf eine mittelalterliche nordische Erzählung zurückgehenden Tragödienstoffes (Krieg mit Norwegen) in der Inszenierung in den Hintergrund zugunsten der sozialpsychologischen. Hierzu gehört auch die Liebesgeschichte zwischen Hamlet und Ophelia (verzweifelnd am Geliebten: Regina Vogel) - bis auch diese von Heimtücke und Verrat vergiftet ist.
"Nur reden will ich Dolche, keine brauchen"
Obwohl vor über 400 Jahren geschrieben: Shakespeares gilt als meisterhafter Psychologe und seine vielschichtigen Charaktere sind erstaunlich heutig, wie besonders die Figur des Hamlets zeigt.
Prinz
Hamlet ist der Fixstern im Inszenierungskosmos von Regisseur Jochen Strauch – man
könnte auch sagen: die Sonnenfinsternis. Innerlich zerrissen, ist er weiser
Narr und gehetztes Tier zugleich. Kahlgeschoren und halbnackt mit wildem
Bodypainting, das den legendären tintenschwarzen Wams ersetzt, wirkt der
Königssohn verletzlich und aggressiv zugleich. Denn der
kluge und sensible Student Hamlet kann sich dem Auftrag seines Vaters
nicht entziehen, seinen Tod zu rächen. Er sieht aber keinen Sinn darin und will Beweise für den
Meuchelmord seines Onkels.
"Es ist nicht und es wird auch nimmer gut"
Doch
so hilfreich Denken auch oft sein kann, am Hofe seines machtgierigen und skupellosen Onkels
Claudius (als aalglatter
Intrigant: Jens Schnarre) und seiner ehebrecherischen Mutter (die Fassade wahrend: Claudia Frost)
ist
es kein geeignetes Konfliktlösungsinstrument. Derart von „des Gedankens
Blässe
angekränkelt“, fühlt sich Hamlet in die Enge getrieben und denkt an
Selbstmord. „Wie langweilig, seicht, müd und unergiebig erscheint mir
all das Getue der Welt“,
heißt es in dem berühmten Monolog, indem
er über das "Sein oder Nichtsein" räsoniert (Textgrundlage ist die moderne Übersetzung von Erich Fried).
Wenn Jan Arne Looss halbnackend kauernd und lauernd in Froschposition am Bühnenrand hockt und glühenden Auges ins Publikum hinein monologisiert, gibt er seinem Hamlet etwas Lauerndes, ja, Besessenes (und erinnert ein bisschen an Gollum in „Herr der Ringe“). Doch große Sprünge kann er nicht machen, es gibt keinen Ausweg, er ist gefangen.
"Mir fehlt die Galle"
Hamlet
kommt zu keinem
Entschluss. Er kann sich nicht zum Handeln überwinden, also zum Mord an
Claudius, und flüchtet sich in den selbst auferlegten Wahnsinn. So, mit
der
Narrenkappe getarnt, kann er Zeit zu gewinnen und sich den Erwartungen
und
Manipulationen seiner Umgebung entziehen.
Verzweifelt tritt der destruktive Held schließlich die Flucht nach vorne an. Er spaltet seine Gefühle ab,
wird kalt-berechnend und brutal. Strauch lässt den sensiblen und
tiefsinnigen jungen Hamlet zum vertitablen Schlächter, zum rasenden
Massenmörder degenerieren. Nicht er, erklärt diese schließlich, sondern
sein Wahn habe die Morde begangen.
„Der Rest ist Schweigen“
Am Schluss ist die Herrscherfamilie Geschichte - aber vorher wird es noch richtig laut, krawallig und unübersichtlich auf der Bühne, wo Laertes, Hamlet und Claudius sich gegenseitig mit Dolch, Gift und Pistolen ins Jenseits befördern. Ein bisschen unfreiwillig komisch, war der fünfte Akt die einzige Schwachstelle des Stücks.
„Mitmachtheater“
Immer
wieder wird der Publikumsraum zur verlängerten Bühne. Beim „Mitmachtheater“ als
„theatralische Antwort auf die sozialen Medien“ vertauscht Regisseur Strauch
die Perspektiven, indem zwei Zuschauer aus dem Publikum zu Hauptdarstellern
der Schauspieltruppe werden. Diese führt - von Hamlet instruiert - am Hofe
eine Tragödie auf, die den Königs- und Brudermörder Claudius entlarven soll.
Geniales Bühnenbild
Optimal und funktional ausgestattet ist die Tragödie durch die Drehkonstruktion im Zentrum der Bühne (Bühne und Kostüme: Frank Albert): Eine große weiße Treppe dient als Terrasse des Königshauses in Helsingör, als Thronsaal und Tribüne. Inwendig bietet sie Raum fürs Private, wird zum Grab für Ophelia und ihren Vater, den königlichen Ratgeber Polonius (altklug und autoritär: André Stuchlik). Außerdem dient sie als Projektionswand für das Porträt des Geistes des toten Königs Hamlet. Indem die Treppe sich immer schneller dreht, zeigt das Bühnenbild auch die zunehmende Dynamik des Stücks an.
Heftiger und lang
anhaltender Applaus belohnt die durchweg glänzenden Schauspieler. Für seine Darstellung des Hamlet hätte Jan Arne Looss
eigentlich Standing Ovations verdient.
Weitere Aufführungen am 17.
Oktober, 4. November, 28. Dezember, 23. Februar 2019, 16. und 18. April 2019. Karten gibt es unter 08331/ 9459-16.