Der Gänsehüterin Salome (Elisabeth Hütterl) gefällt Titus auch mit roten Haaren sehr gut. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Eine herrlich verrückte Sommerkomödie ist derzeit an der Grimmelschanze zu sehen: Das Landestheater zeigt die von dem österreichischen Dramatiker, Schauspieler und Opernsänger Nestroy 1840 verfasste Gesellschaftssatire „Der Talismann“ um den Emporkömmling Titus Feuerfuchs als frech-frivoles Freilichttheater.
„Das Vorurteil ist eine Mauer, von der sich noch alle Köpf‘, die gegen sie ang‘rennt sind, mit blutige Köpf‘ zurückgezogen haben“, klagt der arbeitslose Barbiergeselle Titus Feuerfuchs (äußerst pfiffig: Tobias Loth). Als Rotschopf hat er keine Chance auf beruflichen Erfolg und privates Glück, denn rote Haare sind ein gesellschaftliches „no go“.
Sein Schicksal wendet sich, als er dem Friseur "Monsieur Marquis" zufällig das Leben rettet und zum Dank eine schwarze Perücke erhält. (Nun gut, sie ist dunkelgrün, aber wer würde es wagen, den Damen, die im Stück das sagen haben, zu widersprechen?) Aus der roten Ruben wird ein „schöner schwarzer Krauskopf“, ein Vorzeigemann, mit dem sich sogar die Bissgurken bei Hofe gerne schmücken möchten.
Eine Überportion Wiener Schmäh
Nestroy, ein Anhänger das Matriarchats, hat auf jede Stufe der Karriereleiter eine Frau gesetzt, an der Titus vorbei muss. Und der hängt sein Fähnchen sehr gekonnt in den Wind. Mit Eloquenz und einer Überportion Wiener Schmäh schmeichelt sich der feurige Titus bei dem köstlich-krätzigen Witwentrio ein, bestehend aus Gärtnerin Flora Baumscheer (Claudia Frost), der Kammerzofe Constantia (Anke Fonferek) und Schlossherrin Frau von Cypressenburg (Miriam Haltmeier).
Alles geht gut, bis er eines Tages enttarnt wird und Farbe bekennen muss … Doch als Titus endlich den Mut hat, sich selbst treu zu sein, findet er auch die wahre Liebe in Gestalt der rothaarige Gänsehüterin Salome (herzig: Elisabeth Hütter).
Die Arbeitswelt steht Kopf
Die (Arbeits-)welt steht Kopf in der vom österreichischen Regisseur Gregor Turecek erfrischend schrill und schräg inszenierten Wiener Volkstheater, die durch bissigen Sprachwitz besticht (wobei der österreichische Dialekt eine Hürde für die meisten Schauspieler darstellt).
Starke, machtbesessene Frauen als Schlüsselfiguren für jede Gesellschaftsschicht bilden ein böses, machtbesessenes Matriarchat, das keinen Deut weniger skrupellos und ausbeuterisch ist als unsere männlich dominierte Arbeitswelt. Und die Männer (Klaus Philipp als Gärtnergehilfe Plutzerkern) spielen brav mit. Ein amüsantes Zuckerl: David Lau, der sich als Bediensteter und Lustknabe der gnä‘ Frau von Cypressenburg lasziv an der Stange räkelt.
Spielspaß und abgespacete Kostüme
Die Schauspieler kosten ihre Rollen aus und ihr Spielspaß, der boshafte Charme des Stücks und die entblößende Sprache der Satire (zumindest das, was die Zensur seiner Zeit dem mehrfach arrestierten Nestroy gestattete) sorgen für große Heiterkeit im Publikum. Ein besonderes Schmankerl sind die von Manuela Rzytki und Katharina Pizzera mit Keyboard und Geige vertonten Couplets (Gesangseinlagen).
Grün, grün, grün sind alle meine Kleider … - die abgespaceten Kostüme von Anike Sedello, die jede der Figur zu einem ganz eigenen Pflänzchen stilisieren, sind eine Augenweide. Die Schauspieler agieren auf einem großen Gerüst mit Türmen, das vor der alten Ziegelmauer an der Grimmelschanze aufgebaut ist. Es stellt das Schloss dar, steht aber auch für die gesellschaftliche Rangordnung.
Fazit: Das Sozialexperiment Nestroys, die Umkehrung Arbeitswelt, ist gescheitert, Stück und Inszenierung jedoch sehr gelungen. Absolut sehenswert!
Weitere Aufführungen am 3., 4., 5. und 6. Juli , jeweils um 19.30 Uhr, bei schlechtem Wetter im Stadttheater (Info-Telefon: 08331/ 9459-13). Karten unter Telefon 08331/ 9459-16.