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Zwischen Fliehkraft und Gravitation: "Der kleine Prinz" feierte im Großen Haus Premiere

veröffentlicht am 05.12.2015

König und Prinz Der König (Joséphine Weyers) auf Planet 2 klagt über seinen Mangel an Untertanen. Eine Hinrichtung würde ihn aufmuntern, doch der kleine Prinz (Julian Ricker) zieht weiter. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Phantastische Kostüme, ein geniales Bühnenbild und stimmungsvoller Jazz sind die markanten Zugaben der Inszenierung von Andreas Baesler, basierend auf der 1943 erschienenen Erzählung des französischen Autors Antoine de Saint-Exupéry. Baesler hat aus dem Figurenarsenal der „Berufenen“, die einen Asteroiden oder Planteten bewohnen, die schillerndsten ausgewählt bzw. neu erschaffen und bot eine eigenwillige psychoanalytische Interpretation mit  kraftvoll gezeichneten Figuren. Das Premierenpublikum spendete lang anhaltenden Applaus.

Das Stück beginnt mit der Bruchlandung des Piloten, der an einem Fallschirm von der Bühnendecke hängt (lustvoll fluchend: Fridtjof Stolzenwald als verkrachte Existenz). Fertig mit der Welt, begegnet er mitten in der Wüste ausgerechnet jemandem, der ausgezogen ist, sie zu entdecken: dem kleinen Prinzen (bleibt etwas blass: Julian Ricker) von Astroid B 612. Zunächst hält der Pilot das Kind im himmelblauen Schlafanzug, das ihm naiv und freundlich begegnet, für eine Folge seines Alkoholkonsums.

Prinz und Rose Der kleine Prinz und seine Rose (Barbara Weiß).

Er erfährt, dass dessen Flug durch den Kosmos auch eine Flucht ist: Der kleine Prinz flieht vor der Verantwortung für seine ewig nörgelnde, hypochondrische Rose (schön, stolz und voller Dornen: Barbara Weiß). Der Konflikt zwischen Freiheitssuche und bindender, fürsorglicher Liebe, zwischen Fliehkraft und Gravitation, bestimmt seine Reise. Verlockende Antagonistin der Rose ist die Schlange (Joséphine Weyers als biblische Verführerin), die den kleinen Prinzen beschwört, das Abenteuer zu suchen. Weyers brilliert außerdem als derber, bierseliger König ohne Untertanen - eine der einsamen Gestalten, denen der kleine Prinz unterwegs auf winzigen Planeten und Asteroiden begegnet.

Jedoch ob herrschsüchtig, eitel (in Gestalt des Travestiekünstlers Conchita Wurst: Christian Müller) oder geldgeil: All diesen Figuren ist gemein, dass sie manisch um sich selber kreisen - auf die Businesslady (Michaela Fent) und den schlauen Börsen-Fuchs (Christian Müller)  trifft dies sogar im Wortsinne zu. Der kleine Weltenwanderer erfährt also vor allem, dass die großen Leute sehr, sehr sonderbar sind...

Die Musik beflügelt das Stück

Effektvoller Auftritt: Joséphine Weyers als giftgrün glitzernde Schlange, die den kleinen Prinzen umgarnt. Effektvoller Auftritt: Joséphine Weyers als giftgrün glitzernde Schlange, die den kleinen Prinzen umgarnt. Foto: Forster/Landestheater Schwaben

Schmiermittel und Schrittmacher der intergalaktischen Szenerie der Inszenierung ist die Musik des äußerst vielseitigen Komponisten Wolfgang Lackerschmid, der das Geschehen mit seinem Quartett mehr als untermalt. Der lässig-leichte Jazz verleiht dem „Kleinen Prinzen“ Flügel. Die (an einigen Stellen etwas holprigen) Liedtexte von Walter Weyers transportieren die Botschaft des Stückes, mal beschreibend, mal karikierend oder poetisch. Gesanglich bezauberte vor allem Barbara Weiß das Publikum.

Sabine Manteuffel erschafft mit ihrem Bühnenbild einen ganzen Kosmos. Aus der Bühnenmitte ragt die Kuppe eines Planeten heraus. Eine große Leinwand zeigt das Weltall oder bildet ab, was in den Köpfen der Figuren vorgeht. Denn alle Gestalten entpuppen sich letztendlich als Phantasiegebilde, die im Kopf des Fliegers kreisen – doch sind sie darum weniger real? - "Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose", zitiert Barbara Weiß als Rose den berühmten Satz der Schriftstellerin Gertrude Stein. Soll heißen: Die Namen, die wir den Dingen geben, erzeugen und verkörpern Bilder, Gedanken und Gefühle. Sprache ist eine mächtige Instanz, die sich ihre eigene Welt erschafft.

"Man sieht nur mit dem Herzen gut"

Weyers beschreibt die Welt als "großes Ich, das taumelnd um sich kreist." Die Kunst und Weisheit besteht nun darin, die verschiedenen Welten, in der fast jede der Figuren für sich allein lebt und um den eigenen Nabel kreist, zu einem Kosmos zu vereinen. Oder mit Weyers Worten: „Nur wenn wir uns umeinander drehen, können wir vorwärs gehen und uns selbst verstehen." Ein hochaktuelles Thema angesichts des Einbruchs des "Fremden" durch die Flüchtlingskrise. - Merke: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Info: Der kleine Prinz, interpretiert als  Plädoyer für Freundschaft und Mitmenschlichkeit, gehört zu den zwanzig meistgelesenen Büchern der Welt. Das Buch, erschienen 1943 in New York, wo sich Saint-Exupéry im Exil aufhielt, gilt als literarische Umsetzung des moralischen Denkens und der Welterkenntnis seines Autors und als Kritik am Werteverfall der Gesellschaft. Ein Interview mit Wolfgang Lackerschmid finden Sie hier auf der Lokale-Homepage unter dem Stichwort „Jazz“.

Weitere Vorstellungen in Memmingen am 12. und 22. Dezember sowie am 6.  und 7. Januar 2016, jeweils um 20 Uhr, am 10. Januar 2016  um 19 Uhr. Kartenreservierung unter Telefon 08331/ 9459-16.