Die erste Seite aus Alexander
Tartagnus: Consiliorum volumen. Die "schönste Inkunabel" der wissenschaftlichen Stadtbibliothek Memmingen wurde 1477 in Venedig gedruckt. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (dl). Zum bundesweiten Tag der Archive an diesem Wochenende erweiterte das Memminger Stadtarchiv seinen Internetauftritt, um der überregionalen, ja weltweiten Forschung bedeutende Quellen der Memminger Stadtgeschichte zugänglich zu machen. Im Lesesaal stellte Stadtarchivar Christoph Engelhard regionalen Medienvertretern das Online-Projekt vor. Außerdem besichtigte man gemeinsam die Inkunabel- und Handschriftenabteilung.
Aus den teilweise prachtvoll verzierten, in Leder gebundenen Zeitzeugnissen des Mittelalters und der frühen Neuzeit leuchtet ein kirchengeschichtliches Werk heraus, entstanden um 1470 und verziert von einem bislang unbekannten Maler. "Unsere schönste Inkunabel", erklärte Engelhard stolz. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger bewunderten die Medienvertreter auch eines der Stammbücher der Memminger Meistersänger aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, überaus reich verziert mit kunstvollen Illustrationen.
Viele ungelöste Rätsel
Rätsel gibt ein theologisches Studienbuch auf,
das der Reformator Christoph Schappeler mitbrachte, als er 1513 nach
Memmingen
kam: „Vermutlich sind die handschriftlichen Randnotizen von Schappeler
selbst,
wir wissen es noch nicht“, meinte Stadtarchivar Engelhard. Offene Fragen
ranken sich auch um einige Handschriftenbände, die ebenfalls peu à peu
eingescannt, fotografiert und digitalisiert werden. Die historischen
Hintergründe sind zuweilen schwer zu ermitteln. "Die Forscher haben sich
meist auf den Buchdruck konzentriert und sich weniger mit den
Handschriften beschäftigt", erläuterte der Stadtarchivar. Ein vernetztes
Archiv der Handschriftensammlungen existiere daher bislang nicht.
Stadtarchivar Christoph Engelhard präsentiert ein exklusiv in Memmingen vorrätiges theologisches Werk, das den geistigen Horizont der Memminger Bevölkerung im 15. Jahrhundert widerspiegelt.
Die
Titel der Inkunabeln (frühe Drucke aus der Zeit von 1448 bis 1500, vom
Erscheinungsbild mittelalterlicher Handschriften geprägt) wurden bereits
in das
Verzeichnis eines internationalen Katalogs übernommen, verwaltet von der
British Library
in London. „Auf diese Weise stehen unsere
Quellen in Memmingen für Forscher weltweit zur Verfügung“, freut sich
Engelhard. Im Memminger Bestand findet sich sogar mit dem "Dominus quae
par" von Remigius, das um 1500 in Wien gedruckt wurde, ein weltweit
einmaliges Werk.
Die "Benninger Wunderhostie"
Die Exponate in einem Schaukasten neben dem Lesesaal im Stadtarchiv kreisen um die Benninger Wunderhostie, um die sich viele Legenden ranken.
Unter den markanten Quellen zur Memminger Stadtgeschichte, die nun auf den Webseiten des Stadtarchivs unter www.stadtarchiv.memmingen.de
einzusehen sind, befindet sich auch die Übertragung
der „Benninger Wunderhostie“: Der Überlieferung zufolge fand vor 800
Jahren im Benninger Ried ein Hostienfrevel statt. Am 12. März 1216 wurde
die „blutende Hostie“ nach Memmingen überführt. Alljährlich zum
Gregoriustag gingen
Geistliche und Bürger Memmingens mit der Bluthostie, dem sogenannten
„Hailtum“
in einer feierlichen Prozession um die Stadt. Die angeblich Wunder
wirkende Hostie wurde zum Zentrum der religiösen Gemeinschaft in
der aufstrebenden mittelalterlichen Stadt.