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Wohlstandsmehrung durch Verzicht?

Der Wirtschaftsstandort Deutschland unter der Lupe

veröffentlicht am 13.05.2023
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Nachdrücklich referierte Prof. Dr. Klaus Josef Lutz beim IHK-Maiempfang über die Gefahren und Chancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Foto: Svenja Gropper

Memmingen/Legau (sg). Beim diesjährigen gut besuchten IHK-Maiempfang in der Rapunzel Welt wurde klar, dass die Krisen noch lange nicht vorbei sind. Die Wirtschaft spürt die Auswirkungen und Nachwirkungen noch allzu deutlich. Über geopolitische und globale Zusammenhänge und die damit verbundene wirtschaftlich kritische Lage in Deutschland hielt Prof. Dr. Klaus Josef Lutz, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages, einen kurzweiligen Vortrag, der starke Impulse setzte.

„Freude und Trauer liegen oft nah beieinander“, mit diesen Worten eröffnete Moderatorin Maxi Weiß den diesjährigen IHK-Maiempfang bei Rapunzel in Legau. Vor kurzem ist Dr. Andreas Kopton, langjähriger und geschätzter Präsident der IHK, verstorben. Es wäre aber ganz in seinem Sinne den Abend heute wie geplant stattfinden zu lassen, so Weiß. Sein Nachfolger, Gerhard Pfeifer, richtete zu Beginn im Gedenken an Kopton wertschätzende Worte an die zahlreich erschienen Gäste.

In einer kurzen Talkrunde sprachen der IHK-Präsident Pfeifer, die Geschäftsführerin der Rapunzel Naturkost GmbH Margit Epple und die Vorsitzende der IHK-Regionalversammlung Schwaben Andrea Thoma-Böck über die aktuelle wirtschaftliche Situation. Rapunzel blickt nächstes Jahr auf eine 50-jährige Firmengeschichte zurück, in denen es zu einem erfolgreichen, internationalen Unternehmen gewachsen ist. Geblieben sei die Philosophie „Wir machen Bio aus Liebe“, so Epple. Ein Unternehmen also für die jungen Generationen, denen der Sinn im Beruf immer wichtiger werde, kommentierte Weiß. Thoma-Böck stellte kurz die aktuelle IHK-Konjunkturumfrage vor, die zum einen zwar eine leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Schwaben zeige, jedoch nach wie vor auch den Frust und Unmut in allen Branchen deutlich mache. Noch sei die befürchtete Rezension, also der wirtschaftliche Einbruch, ausgeblieben, die Zukunftsaussichten seien jedoch alarmierend. Dabei sei die Ignoranz der Politik nach wie vor grenzenlos, so Thoma-Böck.

Deindustrialisierung in Deutschland?

Auch Memmingen, größter Wirtschaftsstandort in Schwaben mit vielen mittelständischen Familienunternehmen, sei real von Geschäftsaufgaben und Insolvenzen betroffen. Immer mehr Unternehmer haben „keine Lust mehr“, eine mangelnde Perspektive oder keine gesicherte Nachfolge. Eine alarmierende Zahl: 66 Prozent der Unternehmer in Schwaben sind überzeugt, dass die Deindustrialisierung bereits in vollem Gange ist.

Wie es dazu kommen konnte und was der Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt tun kann - dazu war Prof. Dr. Klaus Josef Lutz, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages, als Referent geladen. In einem kurzweiligen Parforceritt durch die Schattenbereiche der globalen, europäischen und deutschen Lage in Wirtschaft und Politik sortierte Lutz lebendig, mit Humor, aber auch zynisch und mit scharfer Zunge die Zusammenhänge und Hintergründe. Es sei ein Thema, das man stundenlang diskutieren könne, so Lutz einleitend. Er gebe einzelne Flash Lights und Impulse. Dabei kritisierte er insbesondere den politisch ideologisierten Zustand, in dem wir uns befinden sowie die Taxonomie der Europäischen Union (EU). Denn 85 Prozent der Gesetze, die auch die regionale Wirtschaft betreffen, werden in der EU beschlossen. In Deutschland werden die EU-Gesetze schließlich noch angepasst, was für Unternehmer zunehmend einschränkend und mit immer höherem bürokratischem Aufwand erlebt werde. Die Regulatorik der EU treffe die Wirtschaft ganz konkret im Tagesgeschäft – statt Freiheit zu fördern werden zunehmend Verbote beschlossen. In den Nachbarländern werden die gleichen Gesetze und Regelungen durchaus flexibler ausgelegt, weshalb eine Abwanderung von deutschen Unternehmen nicht nur ins ferne, sondern durchaus auch ins nahe Ausland zu beobachten sei. Hier zeige sich bereits der Beginn eines langsamen und schleichenden Deindustrialisierungsprozesses in Deutschland, so Lutz.

Wirtschaftswunder, aber wie?

Und er fragt ketzerisch: "Wollen wir Wohlstandsmehrung durch Verzicht? Wie geht ein Wirtschaftswunder für Deutschland mit erneuerbarer Energie, ohne konkrete Pläne der Politik – aber mit Abschaltung der eigenen Atomkraft?" Während zugleich weltweit 438 neue Atomkraftwerke derzeit im Bau, in der Planung oder Vorplanung seien, so Lutz deutlich. Ganz zu schweigen von den ungenutzten Gas-Ressourcen in Deutschland, während „wir weltweit Kohle einkaufen, weil wir nicht den Mumm haben uns mit den Grünen anzulegen.“ Lutz fordert eine technologische Diskussion statt quer subventionierte Energiepolitik.

China ließ er bei seinen Ausführungen weitestgehend außen vor, verwies jedoch deutlich auf deren Monopol beispielsweise bei Solarmodulen, Pharmaprodukten oder Mikrochips. Dies zeige, wie abhängig auch Deutschland von China sei - und wie essentiell eine gute kulturelle und politische Beziehung bliebe. Dabei spielte er insbesondere auf Baerbocks letzten Besuch in China an.

Haltung zeigen

Hoffnung setzt Lutz auf die Wahlen in den nächsten zwei Jahren: Die Landtagswahl 2023 in Bayern und die Europawahl 2024. Es gehe um Richtungsentscheidungen. Denn die Ideologisierung der Politik stehe der Freiheit der Unternehmen im Weg. Daher müsse die IHK als Sprachrohr der Unternehmen immer wieder mit der Politik in der Diskussion bleiben und für Freiheit und nachhaltig-soziale Marktwirtschaft einstehen, so Lutz nachdrücklich.

„Was mich optimistisch stimmt: Wenn Unternehmer erkennen, in welcher Gefahr sich unser System und unsere Wirtschaft befinden. Wer Europa nicht ernst nimmt, hat nicht begriffen wie sehr diese Struktur unser Leben bestimmt“, beendete er sein Plädoyer für mehr Freiheit und für eine mutige Haltung, ein Einstehen für die eigene Meinung.
Er erntete nicht nur zustimmenden Applaus, sondern schied an diesem Abend auch die Geister. Doch letztlich machte er vor, was er fordert: Er zeigte offen und ehrlich seine eigene Haltung.

Event-Film
Zum diesjährigen IHK-Maiempfang können Sie auf YouTube einen kurzen Event-Film der IHK Schwaben ansehen und damit noch mehr Einblicke in die Veranstaltung erhalten.