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"Wir sehen Kultur viel zu oft als Luxus"

Ein Gespräch mit der SPD-Bundestagskandidatin Regina Leenders

veröffentlicht am 21.09.2021
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Die 30-jährige Regina Leenders (SPD) kandidiert für den Bundestag und hofft nach einem ambitionierten Wahlkampf auf viele Stimmen aus dem Wahlkreis Ostallgäu, zu dem auch Memmingen gehört. Foto: SPD

Memmingen (as). Sie will in den Bundestag: Die 30-jährige Regina Leenders kandidiert für die SPD im Wahlkreis 257 Ostallgäu, zu dem auch Memmingen gehört. Den Theaterinteressierten in der Region ist ihr Gesicht bereits vertraut, denn Regina Leenders (vormals Vogel) ist Schauspielerin am Landestheater Schwaben. Die Lokale unterhielt sich mit der jungen, engagierten Politikerin über einige der Themen, die ihr am Herzen liegen.

Frau Leenders, Sie sind als Schauspielerin beruflich ausgelastet, haben sich aber dennoch entschieden, aktiv und an vorderster Front Politik zu betreiben und sind derzeit nonstop unterwegs, um für Ihre Politik zu werben. Was motiviert Sie dazu und warum ist die SPD Ihre Partei?

In erster Linie möchte ich Politik machen, weil ich der Ansicht bin, dass wir in einer Zeit leben, in der aktives politisches Engagement wichtig ist. Es geht um den Erhalt unseres demokratischen Systems, das immer heftiger, gerade von rechts, angegriffen wird, es geht um die Schließung der Schere zwischen arm und reich und die Erhaltung unseres Lebensraums.

Für mich persönlich geht es, vor allem seit der Corona-Krise, aber auch darum, dass wir Kunst und Kultur und die Beschäftigten in dieser Branche nicht vergessen. Wir sehen Kultur viel zu oft als Luxus und nicht als das Forum, in denen wir uns existentielle Fragen stellen über uns, unsere Gesellschaft, unsere Gegenwart und Zukunft. Dieses Fragen stellen, dieses Kommunizieren, hat das Potenzial uns in einer Demokratie immer wieder zusammenzuführen, indem wir um Werte streiten oder auch zusammen träumen oder trauern. Ich möchte auch dafür eine starke Stimme sein. Denn über unsere Branche gibt es viel zu viel Unwissenheit und hartnäckige Mythen.

Immer wieder klagen Unternehmen darüber, nicht genügend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Die Warnungen vor einem drohenden Fachkräftemangel in der Wirtschaft werden lauter. Gleichzeitig sind junge Menschen besonders von prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Häufig hangeln sich qualifizierte junge Menschen nach Ausbildung oder Studium erst einmal von Praktikum zu Praktikum, bevor ihnen der Einstieg in Arbeit gelingt. Mit welchen Maßnahmen will die SPD junge Menschen auf ihrem Weg in den Beruf unterstützen?

Wir müssen unbedingt die prekären Beschäftigungsverhältnisse verbessern. Leiharbeiter z.B. müssen ab Tag eins genauso viel verdienen wie Festangestellte. Mini Jobs dürfen nicht ausgenutzt werden. Wir sind dafür, den Großteil der Mini-Jobs wieder in die soziale Sicherung zu überführen. Gerade Frauen profitieren davon, da sie oft zu wenig in die Rente einzahlen. Gerade für junge Menschen müssen wir die sachgrundlose Befristung prüfen und abschaffen. Und natürlich auch dafür sorgen, dass Praktikanten und Auszubildende nicht als normale Fachkraft ausgenutzt werden, um Geld zu sparen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Gegen den Fachkräftemangel müssen wir aber auch einiges tun. Wir wollen den Weg der dualen Ausbildung weiter stärken, viele Ausbildung attraktiver gestalten durch Vergütung und die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Qualifizierung und Weiterbildung transformieren. Denn jeder sollte ein Recht auf Weiterbildung haben. Deshalb müssen wir dies konkret verfolgen.

Immer weniger junge Berufstätige finanzieren immer mehr Rentner. In einigen Jahren geht die Babyboomer-Generation in den Ruhestand. Altersarmut ist bereits jetzt ein Problem. Wie will die SPD die Renten absichern und stabilisieren?

Wir wollen ein stabiles Rentenniveau von 48 Prozent und auf keinen Fall eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Außerdem wollen wir, dass alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einzahlen (also Selbstständige, Abgeordnete und Beamte) und die betriebliche Rente stärken. Zusätzlich wollen wir eine standardisierte private Altersvorsorge anbieten, die sich am schwedischen Vorbild orientiert. Aber, was ganz wichtig ist, sind höhere Löhne, mehr Tarifbindung und den Mindestlohn auf min. 12 Euro zu erhöhen.

Seit viele Jahren wird über die mangelnde Wertschätzung und unattraktiven Löhnen in Pflegeberufen debattiert, ohne dass sich irgendetwas ändert. Welches Konzept verfolgst Du und Deine Partei, um die Situation zu verbessern und damit auch die Angehörigen pflegebedürftiger Menschen zu entlasten?

Hier wurde ja schon einiges versucht. Leider ist das Vorhaben eines allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrags an einem kirchlichen Träger gescheitert. Da müssen wir aber dranbleiben. Wir müssen uns mit den kirchlichen Trägern hinsetzen und einen Weg erarbeiten, wie ihr Arbeitsrecht dem allgemeinen Tarif- und Arbeitsrecht sowie der Betriebsverfassung anzugleichen ist. Wir haben aber mehr Tarifbindung dadurch erzeugt, dass die Refinanzierung der Pflegeleistungen nun an die Tarifbindung gebunden ist. Ich bin dafür, darauf hinzuwirken, den Pflegemindestlohn noch einmal zu erhöhen und vor allem einen neuen und bundesweit einheitlichen Personalbemessungsrahmen zu etablieren. Denn wir müssen die Arbeitsbedingungen in der Pflege massiv verbessern. Ein Teil der Wahrheit ist aber auch, dass sich mit Pflege viel Geld verdienen lässt. Dieses fließt aber kaum zurück in unser Gesundheitssystem. Deshalb ist die Ökonomisierung des Gesundheitssystems unbedingt zu stoppen. Hier brauchen wir ein generelles Umdenken.

Eltern zerreißen sich zwischen Vollzeitjobs, hohen Mieten und einer Kinderbetreuung, die in der Pandemie ganz zusammenbrach und auch vorher nur mäßig funktionierte. Welche Rahmenbedingungen will die SPD schaffen, um Familien und vor allem auch die 2,7 Millionen Alleinverziehenden zu entlasten, die ein viermal so hohes Armutsrisiko haben wie Paarfamilien mit Kindern?

Wir wollen eine Kindergrundsicherung, damit Kinder vor Armut geschützt sind und Familien unterstützt. Diese besteht aus zwei zentralen Bereichen. Zum einen aus einer Infrastruktur: gute und beitragsfreie Kitas, ein Ganztagsangebot für Schulkinder, eine soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche und freie Fahrt in Bus und Bahn im Nahverkehr sowie ein Recht auf Mobilität vor allem im ländlichen Raum. Zum anderen besteht die Kindergrundsicherung aus einem neuen existenzsichernden, automatisch ausgezahlten Kindergeld, das nach Einkommen der Familie gestaffelt ist. Das heißt: je höher der Unterstützungsbedarf, desto höher das Kindergeld. Außerdem wollen wir das ElterngeldPlus zu einer flexiblen, geförderten Elternzeit nach dem ersten Lebensjahr des Kindes ausbauen und die Kinderkrankentage auf 20 Tage pro Kind, Jahr und Elternteil ausweiten. Bei mehr als zwei Kindern maximal 45 Tage pro Elternteil und 90 Tage für Alleinerziehende. Zudem sollten die Kinderrechte endlich ins Grundgesetz.

Viele Bürger haben den Eindruck, dass der Klimawandel sie teuer zu stehen kommt. Die CO2-Abgabe sollte einen Anreiz für Vermieter darstellen, in nachhaltige Heizsysteme zu investieren, stattdessen hat die Union dafür gesorgt, dass die Mieter auf den Kosten sitzen bleiben. Wie will die SPD verhindern, dass die Maßnahmen gegen den Klimawandel zu Lasten der geringer Verdienenden geht?

Wir wollen die EEG-Umlage bis 2025 abschaffen und aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Dazu dienen auch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Der Strom wird dadurch erheblich günstiger. Zudem sind wir immer noch dafür, dass die Vermieter den CO2-Preis tragen. Mit dem weiteren Anstieg des CO2-Preises werden wir für zusätzliche sozial gerechte Ausgleichsmaßnahmen sorgen. Ein Pro-Kopf-Bonus wäre durchaus denkbar.

Wie Sie bereits festgestellt haben: Kultur ist immer noch ein Luxus in unserer Gesellschaft. Kulturetats werden gekürzt, Museen wie die MEWO Kunsthalle klagen über zu wenig Personal, kreative Berufe sind unterbezahlt. Als Schauspielerin bist du selbst davon betroffen. Welche Ideen und Pläne willst Du einbringen, um die Situation zu verbessern?

Kultur ist in den Kommunen eine sogenannte freiwillige Leistung. Daher müssen wir einerseits die Kommunen finanziell unterstützen, die gerade nach der Corona-Krise geschwächt sind, und andererseits die Kommunen vom Wert der Kultur überzeugen. Wir brauchen meiner Ansicht nach eine größere und lautere Debatte über den Stellenwert von Kunst und Kultur. Daher fordere ich das Staatsziel Kultur ins Grundgesetz zu schreiben. Außerdem möchte ich die kulturpolitischen Spitzengespräche zu einem bundesweiten Kulturplenum weiterentwickeln, in denen neben Kommunen, Ländern und Bund auch Kulturproduzenten, ihre Verbände und die Zivilgesellschaft vertreten sind, um einen neuen Kulturkonsens über die Aufgaben und Verfahren der Kulturpolitik zu erarbeiten. Und natürlich müssen die Arbeitsbedingungen und die Löhne verbessert werden sowie die soziale Sicherung von Künstlern und Kulturschaffenden. Dies kann durch die Absicherung der Solo-Selbstständigen, Mindestgagen und Ausstellungshonorare in der freien Szene und die Verbesserung der Künstlersozialkasse geschehen. Auch die Tarifverträge müssen teilweise erheblich verbessert werden.

Herzlichen Dank für das sympathische und informative Gespräch, Frau Leenders!