Mit fliegendem Zopf und Superbunny: Regina Vogel verkörpert die zehnjährige Jette in dem heiter-melancholischen Monolog "Schlafen Fische?" meisterhaft. Fotos: Karl Forster
Memmingen (as). Erfrischend respektlos, aber
dennoch tief anrührend ist das Stück „Schlafen Fische?“ von Jens Raschke, das vom
Landestheater Schwaben in Kooperation mit dem
Kinderhospiz Sankt Nikolaus aufgeführt wird. Großen Applaus bekam Regina Vogel bei der Premiere im Studiofoyer für ihre einfühlsame Darstellung der Jette. „Schlafen Fische?“ thematisiert nicht nur die Trauerarbeit der Zehnjährigen nach dem Tod ihres kleinen Bruders Emil, sondern auch die große Einsamkeit und Verlorenheit der
Geschwister, wenn die Welt der Eltern sich – oft jahrelang - einzig um ihr schwerkrankes
Kind dreht.
Schon der Aufführungsort ist ungewöhnlich: "Schlafen Fische?" spielt im Foyer vor dem Studio, wo die etwa 60 Premierenzuschauer auf drei langen Holzbänken aufgereiht sitzen. Die Fensterfront vor ihnen ist mit bunten Blättern bemalt. Die Natur bereitet sich also auch im Stück auf den Winter vor und aus dem Aufenthaltsort für Theatergäste ist - was Bühnenbilder Ulrich Leitner minimalistisch mit einem Holzblock andeutet, der als Sarg und als Grabstein fungiert - ein Friedhof geworden.
Der zehnjährigen Maya hat das Stück gefallen. "Sie hat es wie eine Zehnjährige gespielt", lobt sie Regina Vogels Darstellung. "Ich hab mich darin wiedererkannt". Foto: Sonnleitner
Zusammen mit Mr Bernie, dem intergalaktischen Superbunny, den sie Emil
zum 5.
Geburtstag geschenkt hatte, kommt Jette einmal in der Woche her, um
ihren toten
Bruder zu besuchen, der mit sechs Jahren an einer unheilbaren Krankheit
gestorben ist. Das war vor einem Jahr, kurz nach ihrem neunten
Geburtstag. Jetzt
ist sie schon zehn, „das ist eine Eins mit einer Null dahinter“, hat
Jettes Papa ihr erklärt. Das nenne man "zweistellig". Ein komisches
Gefühl, zweistellig zu sein,
findet Jette - Emil war nur einstellig, als er starb…
Es
ist ungerecht, dass manche Menschen sogar dreistellig werden und ihr Bruder so
früh sterben musste. "Und wie kann ein gütiger Gott mir meinen Bruder wegnehmen?", fragt
sich Jette wütend.
Die Einsamkeit des Geschwisterkindes
Aus
ihrer noch kindlichen Sicht erzählt die Zehnjährige von der Zeit vor und nach Emils Tod und
erinnert sich an Spiele und Gespräche mit Emil. Sie erzählt auch von ihrer
Eifersucht, denn sie hat vor dem Bruder bereits die Mutter verloren - zumindest
deren Zuwendung, denn diese hat sie vor lauter Sorge um ihr schwerkrankes Kind
nicht mehr wahrgenommen und tut es auch später, versunken in Trauer und Depression, nicht. Und so
mischen sich in Jettes eigene Trauer um Emil auch Schuldgefühle, weil sie
sich manchmal gewünscht hatte, er wäre nicht mehr da.
Es ist eine Freude, Regina Vogels Spiel zuzusehen. Ihr gelingt es, sich nahtlos in die zehnjährige Jette hineinzufühlen und ihrer Figur im steten Wechsel zwischen heiteren Impulsen, Nachdenklichkeit und Trauer einen erfrischend kindlichen und altersgerechten Ausdruck zu verleihen. Sehr plastisch wird ihre Darstellung zudem durch die imaginären Dialoge mit dem Vater und dem Bruder. - „Wie geht denn das, tot sein?“, hatte Emil sie gefragt, als sie kurz vor seinem Tod zusammen Beerdigung gespielt hatten.
„Und dann kamen die Erwachsenen dran..."
Jette beschreibt die ungelenke Herangehensweise
der großen Menschen an das Tabuthema Tod. Die Kindergartenfreunde hatten Emils weißen
Sarg mit vielen bunten Bildern bemalt, die Erwachsenen schrieben ihren Namen –
in Druckbuchstaben.
Die kindliche Herangehensweise an
existenzielle Erfahrungen wie den Tod unterscheidet sich grundlegend von
der der Erwachsenen. So kann Jette vieles, was ihr Vater sagt, nicht
nachvollziehen, weil es zu pragmatisch oder zu abstrakt ist. Außerdem
muss sie
feststellen, dass Papa auf Fragen wie „Was wird aus uns, wenn wir tot
sind?“ keine Antwort weiß.
Auf eine Frage hat Jette jedenfalls selbst eine Antwort gefunden: "Natürlich schlafen Fische, wann sollten sie sonst träumen?".
Tiefgang ohne Schwere
Autor
Jens Raschke und Regisseur Thomas Ladwig zeigen, dass Tiefgang auch ohne
Schwere daher kommen kann und
dass man den Zuschauer auch ins Herz trifft, ohne direkt auf die
Tränendrüse zu
drücken. Jettes Umgang mit dem Thema Tod ist direkt und unverstellt,
konkret
und gleichzeitig fantasievoll-bildhaft, frei von religiösen Dogmen und
gesellschaftlichen Konventionen und vielleicht gerade deswegen so
anrührend. Ein
einfühlsames Stück von leiser, spröder Poesie, das ohne Pathos auskommt,
das die Dinge beim Namen nennt, ohne pietätlos zu sein.
Kartenreservierung unter Telefon 08331/ 9459-16 (Montag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr) oder unter vorverkauf@landestheater-schwaben.de