Wer erbt, darf auch genießen: Mit robustem Charme und bestrickender Mimik überzeugt Anke Siefken in der Hüetlin & Roeck Mühle als resolute Online-Oma Renate Bergmann. Fotos: Sonnleitner
Die Memminger Schauspielerin Anke Siefken brilliert auf der Memminger Meile als resolute Online-Oma
Memmingen (as). Tacheles reden, ja, das kann sie. Renate Bergmann sagt, was Sache ist, und zeigt dabei in Torsten Rohdes neuestem Buch über die resolute Online-Oma "Wer erbt, muss auch gießen" einen erfrischenden Sinn fürs Makabre. Die Vorstellung in der Hüetlin & Roeck Mühle geht weit über eine Lesung hinaus, denn die Memminger Schauspielerin Anke Siefken schlüpft genüsslich und mit Haut und Haar in das Blümchenkleid der vierfach verwitweten Berliner Oma und Ex-Trümmerfrau und bietet den Zuschauern im ausverkauften Raum ein äußerst amüsantes Schauspiel.
Nein, die
82-jährige Renate Bergmann entspricht nicht dem Klischee der süßen Oma, die
betulich strickend im Schaukelstuhl sitzt. Lächeln und nicken kann sie zur Not zwar
auch - aber nur, um Schwerhörigkeit vorzutäuschen, wenn Tochter Kirsten (ihres
Zeichens Lebensberaterin für Kleintiere) sie wieder einmal auf die
ertragreichen Lebensversicherungen ihrer diversen verstorbenen Männer
anspricht.
Schließlich
ist „geerbt nicht geschenkt“, sondern ihrer Mühen Lohn, meint Renate. Warum
also teilen? Vier Männer hat sie gut unter die Erde gebracht, auf vier verschiedenen
Friedhöfen. Das dauernde Gießen, Zupfen und Harken beansprucht sie derzeit
sehr, darum muss Autor Torsten Rohde auch alleine anfangen, denn Renate
verschwand kurzerhand auf dem Friedhof, um ihren Wilhelm zu begießen. Doch: „Die
langen Wege Formen die Waden schön“, verkündet Renate die Vorteile der
Grabpflege.
Seit 48 Jahren dieselbe Kleidergröße: Oma Bergmanns Geheimtipp: Abends zeitig die Zähne ins Glas - sonst nascht man nur!
Graugelockte Flittchen mit Rollator
Die Blümchen auf ihrem Kleid können nicht über die Haare auf ihren Zähnen hinwegtäuschen und überhaupt weiß Renate, was eine Harke ist bzw. wie man diese wirkungsvoll zwischen den Rädern eines Rollators verkeilt: Gilt es doch so manches „graugelocktes Flittchen“ zu Fall zu bringen, dass sich über Walters Grab her macht. Sie kennt diese Tricks von Gertrud, ihrer besten Freundin, die sich 1962 fast ihren Wilhelm gekrallt hätte. Auch Gertrud ist Pragmatikerin: „Warum heiraten, wenn man auch so an das Geld kommt?“, und: „Wer kauft schon ein ganzes Schwein, nur weil er ab und zu Wurst essen will?“, lautet ihr Credo. Und Gertrud hat‘s immer noch drauf, und arbeitet mit allen Tricks: Wenn sie nicht gerade eine Reifenpanne am Rollator simuliert, dann beharkt sie fremde Frauengräber, um reiche Witwer anzulocken.
„Ich habe ein schönes Händchen für Friedhöfe und Beerdigungen“, bekennt Renate ihr besonderes Talent. „Man kommt vor die Tür und unter Leute“ - und eine kostenlose Mahlzeit gibt‘s auch noch obendrauf. So viel Routine hat sie mittlerweile entwickelt, dass sie schon an keiner Baustelle mehr vorbeigehen kann, ohne eine Handvoll Erde hinein zu werfen.
“Korn drückt den Zucker“
Mit der Einleitung „Ich sach immer.....“ haut die Online-Oma, die über Twitter berühmt und berüchtigt wurde, ein Bonmot nach dem anderen raus und genehmigt sich auch ganz gern mal einen, denn “Korn drückt den Zucker“. „Bei großen Problemen hilft der Fachmann, bei kleinen tut‘s der Flachmann“, weiß Renate.
Zwischendurch hält sie immer mal wieder ihr Handy ins Publikum, um zu illustrieren, über wen ihrer Verwandten und Bekannten sie gerade ihren resolut-rustikalen Charme versprüht. Genüsslich begießt sie sich und das Publikum mit Kölnischwasser („das beruhigt und erfrischt“) und klimpert mit den Ringen an ihren Fingern, die sie im Übrigen nicht mitnehmen will: “Ein Grab ist ja kein Wertstoffhof!“. Renate sucht dann auch schon mal fröhlich ihre Beerdigungsmusik raus - die neue Platte von Helene Fischer will sie aber noch abwarten…!
Seit zwei Jahren touren Torsten Rohde und Anke Siefken gemeinsam mit der imaginär-virtuellen Oma durchs Land. Für die Schauspielerin, die in der Rolle der herzerfrischenden Twitter-Oma brilliert, ist der Auftritt auf der Memminger Meile ein Heimspiel - und ein sehr erfolgreiches noch dazu, wie der Applaus der etwa 200 Zuschauer beweist.