Memmingen (as). Dass zur Auftaktveranstaltung „World Café“ in der Stadthalle etwa 170 BürgerInnen mit und ohne Behinderung kamen, übertraf die Hoffnungen und Erwartungen der Veranstalter. Die Behindertenbeirätin Verena Gotzes sprach von einer "überwältigend großen Zahl" an Gästen, die der Einladung der Stadt Memmingen zur Diskussion um zentrale Themen der Teilhabe behinderter Menschen am alltäglichen Leben gefolgt waren.
Einleitend erinnerte Verena Gottes daran, dass es noch vor 25 Jahren kein Bewusstsein für Barrierefreiheit gab: „Unzugängliche öffentliche Gebäude, kleine Telefonzellen, keine Toiletten - unser Lebensraum war sehr beengt.“ Der demographische Wandel käme behinderten Menschen zugute, weil das Thema Barrierefreiheit wichtig für eine älter werdende Gesellschaft sei. "Früher wurden wir eher als Kostenfaktor denn als Menschen mit Behinderung gesehen", so Gotzes, heute sei der Behindertenbeirat zu einer "kleinen, parteiübergreifenden, politischen Macht" geworden.
Heidi Dintel erklärte den im kleinen Saal der Stadthalle versammelten Teilnehmern das Ziel der 2006 verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention, die mittlerweile von 138 Staaten unterzeichnet wurde - von Deutschland im Jahre 2009. Nachdem die bayerische Regierung bereits Aktionspläne erstellt hat, ist jetzt die Kommune gefordert. Dintel erläuterte den Begriff „Inklusion“ als Teilhabe in allen Lebensbereichen „weg vom Prinzip Fürsorge“. Abhängig von den Fähigkeiten des behinderten Menschen ist diese Teilhabe unabhängig oder auch assistiert. „Inklusion ist ein gesamtgesellschaftliche Auftrag, der nicht von der Verwaltung durchgesetzt werden kann“, betonte Dintel. Daher müssten alle Bürger sich zusammen auf den Weg machen, Richtlinien für die Umsetzung der Konvention zu erstellen.
"Diagnosen schaffen Kategorien"
Professor Markus Jüster von der Hochschule Kempten hatte ein sehr anschauliches Bild gewählt, um den Zuhörern den Begriff „Inklusive Pädagogik“ nahezubringen. Er erklärte an Hand der Zeichentrickfiguren der Fernsehserie „Wickie und die starken Männer“ dass es sich bei dieser Crew genau genommen um „einen Haufen Behinderter“ handele (Wickie habe ADHS, der Kapitän nur ein Auge, der Harfinist sei man manisch-depressiv usw.).
„Diagnosen sorgen dafür, dass wir andere Menschen nicht mehr im Zusammenhang sehen, sondern in Kategorien einteilen.“ Es seien nicht nur die Einschränkungen, die das Leben schwer machten, sondern die Gesellschaft, in der man mit diesen Behinderungen lebe. Jüster erinnerte daran, dass Inklusion uns alle früher oder später betrifft, denn niemand sei bis ins hohe Alter kerngesund.
"Was können wir verändern?"
Schließlich forderte Jüster die Gäste auf, sich an die acht Tische im Foyer der Stadthalle zu begeben und unter der Fragestellung „Was ist wichtig? Was können wir verändern?“ zusammen mit einem Diskussionsleiter verschiedene Kernthemen wie „Fortbewegung mit Bus oder Bahn“, „Arbeitsplatz selber aussuchen“ oder „Gleiche Schule und gleiche Ausbildung für alle“ zu besprechen und die Ergebnisse jeweils auf einem Plakat festzuhalten. Die entstandenen Plakate werden dann vom Lenkungskreis ausgewertet, damit die umsetzbaren Ideen und Vorschläge der Bürger in das weitere Vorgehen eingearbeitet werden können.