Memmingen (sg). Die neue Verkehrsführung in der Innenstadt spaltet die Memminger Stadtgesellschaft mittlerweile fast schon in zwei Lager. Nun beschloss der Stadtrat die Umsetzung der dritten Stufe – die Umwandlung des Weinmarkts in einen Fußgängerbereich sowie die Einbahnregelung am Schrannenplatz – zum 1. März 2025.
Anfang Oktober hatte die CSU/FDP-Fraktion eine Diskussion zum Thema „Memmingens Innenstadt geht uns alle an!“ im Rohrbeck’s veranstaltet (wir berichteten). Schon dort brodelte es bei den innerstädtischen Händlern und Gastronomen gewaltig. Dabei geht es weitaus um mehr als den autofreien Weinmarkt, wie auch ein Statement des Stadtmarketing Memmingen e. V. von Mitte Oktober verdeutlicht. Zentrale Punkte darin sind das Baustellen-Management der Stadt, „das erheblich zu wünschen übriglässt“, die Parksituation und die „äußerst rigide“ Parküberwachung. „Dreiviertel der Kunden kommen aus dem Umland“, daher seien gute Erreichbarkeit, kurze Wege und einfaches kostengünstiges Parken Voraussetzungen für eine attraktive Innenstadt. Das Zusammentreffen mehrerer städtebaulicher Maßnahmen in diesem Jahr, vor allem die erschwerte Erreichbarkeit seit Juni habe „zu erheblichen Frequenzrückgängen und Umsatzeinbußen geführt, die zum Teil existenzgefährdend sind“, schreibt das Stadtmarketing. In dem Schreiben wird vorab auch auf die für Händler und Gastronomen allgemein herausfordernde Zeit durch die Krisen der letzten Jahre hingewiesen.
Händler wollen alte Verkehrsführung
Über 50 Unterschriften brachte Stadtrat und Gastronom Uwe Rohrbeck (CRB) in die Stadtratsitzung mit, die den Inhalt des Schreibens vom Stadtmarketing ausdrücklich unterstützen. Doch sie gehen weiter und fordern die Rückabwicklung der ersten beiden Stufen der neuen Verkehrsführung.
Zu der Stadtratsitzung waren rund 80 Bürger gekommen, darunter Gastronomen und Händler, die Rohrbeck vernehmbar Applaus spendeten. Außerdem Mitglieder des adfc Memmingen-Unterallgäu – diese standen vorab am Marktplatz mit ihren Rädern „Spalier“ – und Mitglieder von KIMM e. V., der Klimainitiative Memmingen, bei denen sich der Applaus den Redebeiträgen von SPD, Grünen und Linken anschloss. Es gebe über 40 internationale Studien, die belegen, dass der Einzelhandel durch Verkehrsberuhigung und eine höhere Aufenthaltsqualität letztlich mehr Besucher anziehe, so Matthias Ressler (SPD). „Reden wir unsere Stadt nicht schlecht!“, betonte er, denn damit schaden sich Händler und Gastronomen nur selbst.
Häufung von Baustellen
Michael Haider, Wirtschaftsförderer der Stadt Memmingen, fasste den „Berg an Schreiben“, der die Verwaltung in den letzten Wochen erreicht hat, kurz zusammen – von Kritik („alles Irrsinn“) bis hin zu positiven Rückmeldungen. Messbar sei, dass es laut Bericht der Polizei keine Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit der Verkehrsdrehung gegeben habe, so Haider. Zudem lägen der Stadt kaum Rückmeldungen zur Baustelle in der Zangmeisterstraße vor, obschon es auch dort massive Einschränkungen gab. Kritik beziehe sich vor allem auf Weinmarkt und Roßmarkt. „2024 wurden einige Maßnahmen gleichzeitig umgesetzt: Die Baustelle am Weinmarkt begann verspätet. Sanierungen im Parkhaus Schwesternstraße, in der Herrenstraße und der Zangmeisterstraße waren nicht mehr aufschiebbar. Die innerstädtische Verkehrsführung wurde geändert. Hinzu kamen stadtauswärts längere Bauarbeiten an der Heimertinger Straße und in der Schaltwerkstraße. Das alles hat den Einzelhandel und die Innenstadt über Gebühr belastet“, sieht auch Oberbürgermeister Jan Rothenbacher. „Wir würden das Parkhaus Schwesternstraße mit 355 Parkplätzen aber nicht sanieren, wenn wir den Bedarf nicht sehen würden.“
Willkommenskultur
Der Rathauschef setzte die Überschrift „Erreichbarkeit und Willkommenskultur“ über alle Schreiben, und das wolle er auch unterstützen. So werden die Parkplätze am Roßmarkt noch gedreht sowie zusätzliche Parkplätze in der Lindauer Straße und am Schweizer Berg geschaffen. Zudem soll das Karstadt-Parkhaus künftig rund um die Uhr geöffnet sein. Die Parküberwachung sei auf mehr Kulanz hingewiesen worden, so Rothenbacher. Zudem sei die neue Verkehrsführung im Digitalen Zwilling eingefügt sowie an Navigationssysteme kommuniziert worden.
Dritte Stufe im Frühjahr
„Wir diskutieren heute gezielt über die Terminierung der dritten Stufe der Umsetzung“, erklärte das Stadtoberhaupt – diese beinhaltet die Umwandlung des Weinmarkts in einen Fußgängerbereich (Linienverkehr, Radfahrer und Taxen mit Krankentransporten frei), sowie der Einbahnregelung am Schrannenplatz von West nach Ost. Rothenbacher verwies dazu auf die demokratisch gefassten Beschlüsse im Stadtrat 2020, 2022 und 2023. Es gebe formell keine Grundlage über die grundsätzliche Maßnahme zu diskutieren, betonte Rothenbacher. Auch Michael Foit (CSU) appellierte an den „demokratischen Anstand“, beantragte aber zusätzlich eine unabhängige Evaluierung ein Jahr nach der Umsetzung.
Christoph Baur (CSU) und Dr. Monika Schunk (Bündnis 90/Die Grünen) wiesen schließlich noch darauf hin, dass eine gute Kommunikation – auch nach außen - und ein Zusammenstehen in den letzten Monaten gefehlt haben. „Wir sollten nicht gegeneinander aufhetzten“, so Baur. „Das gilt auch in den Medien und auf social media“, betonte Schunk.
Schließlich wurde die Umsetzung der dritten Stufe zum 1. März 2025 sowie eine noch konkret auszuarbeitende Evaluierung ein Jahr später vom Stadtrat einstimmig beschlossen. Vor dem Hintergrund, dass der Weinmarkt bis Ende Februar 2025 endgültige fertiggestellt sein wird und gleichzeitig das Jubiläumsjahr 1525 am Weinmarkt beginnt, ist die Umsetzung der dritten Stufe der Verkehrsführung bis spätestens zum 1. März erforderlich. Dies entspricht auch dem Beschluss des Plenums vom 14. Dezember 2020. Der Stadtrat schöpft somit den Zeitrahmen der Maßnahme komplett aus.
Der Unmut der Gastronomen, die das Rathaus danach verließen, war jedoch offensichtlich noch nicht ganz verflogen.