Großes Fest im Hause der Carpulets: Julia, die Tochter des Hauses (erst cool, dann an der Macht ihrer Gefühle zerbrechend: Regina Vogel) mit ihrer Amme (als Zynikerin mit viel Sinn für den komischen Auftritt: Anke Fonferek) und dem ihr von den Eltern aufbefohlenen Bewerber Paris (wirbt kühl und sparsam um Julia: Jan Arne Looss). Fotos: Forster/Landestheater Schwaben
Memmingen (as). Mit großem Applaus belohnte das Publikum im ausverkauften Stadttheater Robert Teufels sehr moderne Inszenierung von Shakespeare "Romeo und Julia", der wohl berümtesten Liebesgeschichte aller Zeiten. In völlig neuen, wenn auch nicht schönen, Kleidern und auf Turnschuhen kommt die berühmte Vorlage daher und weigert sich, romantische Klischees zu bedienen. Der Abend hielt einiges (auch an amüsanten) Überraschungen für die Theaterbesucher bereit, unter denen sich auch viele junge Zuschauer befanden.
"Laberst du mich
blöd an, du Wichser?" – der aggressive und unflätige Monolog von Julias Cousin Tybalt (Jens Schnarre) eröffnet und beendet den Reigen
von Mord und Zerstörung, den der Hass zweier verfeindeter Veroneser Familien gebiert und dem das junge Liebespaar Romeo und Julia als jüngste Sprösse beider
elitärer Familien schließlich durch ihren Suizid zum Opfer fällt. Eine Geschichte, die weniger etwas über die Natur der Liebe als
über die Verrohung der Menschen sagt und darum sehr heutig ist, meint Regisseur
Robert Teufel.
Welt voller Wut und Hass
Mercutio (brilliert als "Enfant terrible": Sandro Sutalo), ein scharfzüngiger Verächter der Liebe, hätschelt seinen Freund Romeo (zartfühlend, aber auch blutiger Rächer: Rudy Orlovius).
„Ich habe ein Faible für Menschen, die mit der Welt
nicht
klarkommen, die sich an ihr abarbeiten“, beschreibt der Frankfurter
Gastregisseur in einem Interview sein Lieblingsbühnenpersonal. Romeo und
Julia werden in den erbitterten und blutigen Streit
zweier Familien, zweier Systeme hineingeboren. Eine feindselige Welt
voller
Wut und Hass, in die die Liebe so plötzlich und fatal wie ein tödliches
Virus
einbricht, ist ihr fatales Erbe.
Teufel
konzentriert sich auf diesen Aspekt des Stückes, reduziert die Phase der
romantischen Annäherung der beiden Liebenden auf das Wesentliche, nimmt dabei
in Kauf, dass die Liebe der beiden auf den Zuschauer eher unmotiviert wirkt. In
den 500 Jahren seit ihrer Entstehung hat die unsterbliche (da durch ihren frühen Tod
begrenzte) Liebesgeschichte der beiden jungen Veroneser ein Ideal geschaffen
und unsere Vorstellung von Romantik geprägt.
Elemente des epischen Theaters
Doch daran weiterzuarbeiten ist
nicht die Absicht der Inszenierung. Nicht die Einfühlung und das Mit-Leiden des Zuschauers sind
gefragt. Immer wieder wird die Tragik im Geiste des epischen Theaters durchbrochen, die Handlung durch
überzogene Theatralik oder durch nur angedeutete Gesten eher vorgeführt.
Vollends aufgebrochen und in Frage gestellt erscheint die Bühnenrealität, als Romeo (Rudy Orlovius) und Julia (Regina Vogel) am Ende des Stücks mit einem Blick auf die Uhr wieder auf(er)stehen, um die Ereignisse zu kommentieren und zu erzählen, wie die Geschichte endet: Mit der Versöhnung beider Sippen über den Gräbern ihrer Kinder.
„Seid nett zu Euren Kindern“
Julia mit ihren Eltern Lady Carpulet (zappelig und kaltschnäuzig: Claudia Frost) und dem Herrn des Hauses Carpulet (unberechenbar und bei Bedarf tyrannisch: Fridtjof Stolzenwald).
„Seid nett zu Euren
Kindern“ – die Botschaft wirkt etwas banal, ist aber weitreichender
gemeint: Wenn
wir nicht aufpassen, wie wir miteinander umgehen wird die Freiheit, die
wir im Zuge
der Aufklärung erreicht haben, eine vorübergehend Episode gewesen sein,
so Teufel in einem Interview. Überall auf der Welt entstehen Systeme,
die alte Konflikte bedienen, Konflikte „die nicht mehr durchdrungen
werden und
mittlerweile inhaltsleer sind.“ Ihr
gemeinsames Merkmal: Andere werden „einfach platt gemacht“, weil sie zur falschen Gruppe gehören.
Als Textgrundlage verwendet die Inszenierung eine etwas "entschnörkelte" Übersetzung
von Gesine Danckwart (2004). In den Szenen steht die poetische, wenn auch auf
das alte Vermaß verzichtende, Sprache der Übersetzung direkt neben heutiger
Umgangssprache - versetzt mit vielen Anspielungen auf Banalitäten des modernen Alltags.
Vertauschte Rollen: Julia (Regina Vogel) trägt ihren Romeo (Rudy Orlovius) nach ihrer Trauung über die Schwelle.
Kontrastierend zur tragischen Verzweiflung des jungen Liebespaares
stehen Klamauk und Komik der Szenen, in
denen Romeo mit seinen Freunden Mercutio (Sandro Sutalo) und Benvolio
(Christian Bojidar Müller) “abhängt“. Besonders die Figur des Mercutio reizt
die Regie voll aus: Mit heruntergelassene Hose beobachtet das Publikum ihm beim
Urinieren an die Mauer, welche die Bühne nach hinten begrenzt (wohl auch als Sinnbild
für die unüberwindliche Trennung der beiden Familien).
Das Bühnenbild von Rebekka Zimlich ist völlig schmucklos und
nackt in dunkelgrauer Granit-Optik an Boden und Wänden gehalten. Sowohl die Gruft der Familie
Carpulet als auch das Innere des Hauses und die Straßenszenen spielen sich in diesem kühlen, schlichten Rahmen ab.
Zum Schluss der knapp zweistündigen Inszenierung (keine Pause) gab es begisterten und lang anhaltenden Beifall für Macher und Aktuere, das neue Ensamble hat sich bereits spürbar in die Herzen der Zuschauer gespielt.
Vorschaubild: Das berühmte Liebespaar in modernem Outfit: Julia in Sweatshirt und Mütze, der Romantiker Romeo trägt Amors Flügel in himmelblau auf dem Rücken.
Weitere Vorführungen am 16. Februar, 20 Uhr,
12. März, 19 Uhr, 4. April, 20 Uhr, 13. Mai, 20 Uhr, und 14. Juni, 20
Uhr.