"Wir stehen vor dem Nix!" - Mit Plakaten und Grablichtern auf Hockern machten Friseure aus Memmingen und Mindelheim vor der Memminger Stadthalle auf die Probleme ihres Berufsstandes durch den wiederholten und weiter andauernden Lockdown aufmerksam. Fotos: Sonnleitner
Memmingen/Mindelheim (as). "Wir machen euch schön und nicht krank" war auf einem großen Transparent zu lesen: An die 200 selbständige Friseure und Friseurinnen aus Memmingen und Mindelheim haben sich, ausgestattet mit Grablichtern, Kamm und Schere, auf dem Stadthallenvorplatz zu einer stillen Demonstration versammelt. Enrico Karrer, Obermeister der Friseurinnung Memmingen-Mindelheim, hatte die Kundgebung mitinitiiert, um auf die desolate finanzielle Situation seines Berufsstandes hinzuweisen.
Ganz so still ging es denn doch nicht zu bei der Demo: Obermeister Enrico Karrer erntete lauten Beifall für seine Ansprache.
"Hier geht es letztendlich nicht um ein Hobby, das wir aus Spaß an der Freude ausüben, sondern um Unternehmer-Existenzen, um Arbeits- und Ausbildungsplätze und um das Wohlbefinden unserer Kunden, darunter auch Menschen, die sich selbst nicht mehr die Haare frisieren oder waschen können", verkündete Versammlungsleiter Enrico Karrer in seiner Ansprache an die Kolleginnen und Kollegen aus Memmingen und Mindelheim. "Wir stehen hier auch, damit unsere Kunden wieder ihr Recht auf Schönheit bekommen und ein gutes Gefühl haben, wenn sie morgens vor dem Spiegel stehen."
"Unternehmer entlasten und unterstützen"
Um das lokale Parlament auf die Misere aufmerksam zu machen, waren Ort und Zeit der Demonstration passend zum Ende einer Stadtratsversammlung in der Stadthalle gewählt, zuvor hatte der Obermeister Anträge gestellt, „damit wir Unternehmer, für die keiner verantwortlich sein will, entlastet und unterstützt werden - auch von unseren eigenen Kommunen", so Karrer, der hofft, mit der Demo ein Zeichen für ganz Bayern setzen zu können: "Wenn Memmingen es schafft, die Unternehmer zu entlasten, vielleicht können es dann viele andere bayerische Kommunen und Landkreise auch. Und wenn die Politik uns zuhört, könnten wir gemeinsam eine Lösung finden, um baldmöglichst wieder öffnen zu können", hofft Karrer.
"Wir zeigen den Leuten: Wir sind da"
Einen stillen Protest statt Pauken und Trompeten habe er gewählt, weil es in Zeiten von Fake News, Shit Storms und leerer Versprechungen einfach an der Zeit sei, still zu sein. Durch das Schweigen soll die Sprachlosigkeit der Inhaber und Angestellten sowie der Kunden über die Schließung zum Ausdruck gebracht werden. "Wir zeigen den Leuten: Wir sind da, auch wenn ihr uns nicht sehen und hören wollt."
Hygienekonzepte gewissenhaft umgesetzt
Dabei hielten sich alle Teilnehmer streng an die Auflagen, die Enrico Karrer im Vorfeld verlesen hatte. Meterstäbe markierte die geforderten Mindestabstände – ein Hinweis darauf, dass man sich auch in den Salons an die Hygienevorschriften gehalten hatte.: "Die Friseurbranche hat deutschlandweit bewiesen, dass wir durchaus in der Lage sind, stimmige Hygienekonzepte umzusetzen." Karrer hatte zudem im Vorfeld betont, dass sich die Friseurinnen und Friseure von Covid-Leugnern und Verschwörern distanzieren.
"Kleine Unternehmer fallen durchs Raster"
"Wir Unternehmer fallen durch alle Raster. Wir greifen nun schon zum zweiten Mal auf Rücklagen und Ersparnisse zurück. Uns sind bereits im letzten Jahr viele Umsätze weggebrochen", erklärte Obermeister Karrer gegenüber Pressevertretern. "Wir sind dankbar, dass unsere Angestellten Kurzarbeitergeld bekommen, das funktioniert auch gut", betonte er, "doch wir Unternehmer sind auf uns alleine gestellt. Wir haben 100 Prozent Verpflichtungen und gefühlt 0 Prozent Unterstützung“.
Viele Betriebe könnten die angekündigten Finanzhilfen aufgrund hoher bürokratischer Hürden nicht beantragen und bereits beantragte Hilfen seien noch nicht ausbezahlt, erläuterte Thomas Wagner, Vorstandmitglied der Friseurinnung und Lehrlingswart. "Und Stundungen verlagern nur das Problem." - Mit Karrer zusammen beantwortete Wagner die Fragen der Pressevertreter und zitierte eine Aussage des Zentralverbands der Friseure, der zufolge bis Ende April 2021 ein hoher Prozentsatz der Friseure bankrott sei.
"Der Staat ist wie ein Dinosaurier"
"Am 15. Dezember letzten Jahres mussten wir schließen und am Tag darauf flatterten die Einkommensteuervoraus- und Nachzahlungen ins Haus. Der Staat fühlt sich an wie ein großer Dinosaurier, der uns einfach frisst. Bei großen Firmen fließen Milliardenbeträge schnell und unbürokratisch. Als kleiner Unternehmer hat man das Gefühl, dass man uns nicht haben will", klagt Wagner. "Wer noch nicht lange selbständig ist und keine Rücklagen gebildet hat, übersteht das nicht." Er selbst sei schon lange im Geschäft, "doch mich rufen Kollegen an und weinen am Telefon, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll".
Auch in anderen Allgäuer Städten gab es Demonstrationen gegen die zweite Schließung der Friseursalons innerhalb eines Jahres. Der aktuelle Lockdown, der seit 16. Dezember gilt, wurde heute bis 14. Februar verlängert.