In „Wir“ geht es um Verbindendes und Trennendes in Europa, zwischen Du (Michael Noroditski) und Ich (Linda Prinz) und um schwammig werdende Grenzen. Foto: LTS © Jürgen Bartenschlager
Memmingen (sg). Am Landestheater Schwaben (LTS) werden bereits zum zweiten Mal Werkstattinszenzierungen von jungen Autoren und Regisseuren auf die Studio-Bühne gebracht. „Europa“ vereint drei Stücke - die Themen reichen dabei von Identität, Traditionen, Verlust, Leben, Tod und Erbe bis zum Warten auf die Erlösung. Brillant gespielt erntete der gut besuchte, kurzweilige Premierenabend kräftigen Applaus.
Sechs junge Nachwuchstalente aus Europa und China haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht, um Europa zu entdecken, um sich inspirieren zu lassen für ein Theaterprojekt besonderer Art. Drei Autoren des Studiengangs Szenisches Schreiben von der Universität der Künste Berlin, dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig Universität Gießen sowie dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig haben in Schwaben recherchiert und Texte geschrieben wie sie formal und inhaltlich kaum unterschiedlicher sein könnten - vereint in „Eurotopia“, einer Wortschöpfung aus Europa und Utopie. Drei junge Regisseurinnen vom Landestheater Schwaben haben diesen Vorlagen schließlich mit sieben Schauspielern auf der Bühne Leben eingehaucht. Nicht zuletzt sind das Bühnenbild und filmische sowie musikalische Effekte dabei gut gelungen.
Schaum
Verschiedene Themen mischen sich in dieses Stück, das mit einer 17-jährigen, lebenslustigen Susanne (Delia Rachel Bauen) beginnt und mit einer strengen, einsamen Chefin eines „Schaumimperiums“ endet, die eine tödliche Diagnose erhalten hat. Jahrzehntelang hat sie geforscht und entwickelt, heute ist ihr Apfelaroma das klarste und beste, das es gibt. Dafür arbeiten Menschen sogar unter Lebensgefahr in dunklen Stollen. Nun steht ein Vulkanwinter vor der Tür, wie es ihn zuletzt 1816 gab. Der Flugraum über ganz Europa ist gesperrt. Für Susannes Jugendfreund Leo (Levi Roberta Kuhr) ein Glücksfall, denn so bleiben die Touristen aus und die Mönchsrobben kommen wieder an Land, um sich zu paaren. Der Gegensatz zwischen Leo und Susanne symbolisiert durchaus die Gegensätze in Europa, zeigt die Folgen und löst sich nur teilweise kurz auf, als Susanne zu ihm reist, um ihm das millionenschwere Schaumimperium als Erbe anzubieten, um sie herum das schäumende griechische Meer …
Wir
Europa erscheint wie ein Liebespaar, von der Verliebtheit bis zur großen Krise. Es beginnt als Wir mit starkem Zusammenhalt und trennt sich dann in ein Ich (Linda Prinz) und ein Du (Michael Naroditski), die sich immer wieder kurz tangieren. Es geht um (Mutter)Sprachen, um (europäische) Identität, um schwammig werdende Grenzen. Im ersten Teil erscheint Europa als eine absolut lobenswerte Einheit, im zweiten Teil kommen schließlich auch die Schattenseiten zutage wie Kriege, Illegalität und ein Überfluss an Vorschriften. „Wir schauen uns zu wie wir aneinander vergehen“, sagt das Ich. Ernste Themen kommen eindrücklich, aber auch immer wieder humorvoll beim Publikum an.
Spiel mit dem Feuer
Der Abend endet mit einer Komödie, einem Stück, das für Lacher sorgt und ebenso absurd wie ernst ist. „Alte Bräuche neu geboren. Sie sind dazu auserkoren.“ – so steht es in der Einladung zur Sommersonnenwende im Leipheimer Moos. Dort treffen Josef (Tom Christopher Büning), ein aufstrebender deutscher Arzt, die Sängerin Helene (Almut Kohnle) und Jean (Sebastian Egger) aufeinander. Inmitten einer Hühnerschar wartet Jean auf einen Haubentaucher, den er taufen will und der Erlösung verspricht, während Josef versucht sich streng an den für den Brauch notierten Plan in einem kleinen Büchlein zu halten und Helene sich vom Publikum feiern lässt. In der Absurdität dieses Stückes klingen auch aktuelle Themen wie die Sorge vor Rechts, die Frage nach Toleranz und der Wert von Traditionen an. Es spiegelt unruhige Zeiten, Krisen und Unsicherheit und zeigt mit den drei Personen auf, wie Menschen damit umgehen und in welche - von außen offensichtlich wahnwitzigen oder wahnsinnigen - Verhaltensweisen sie sich flüchten.