Gastgeber Karl Albrecht, Direktor der FOS/BOS, sprach mit Andrea Thoma-Böck (links) über die Entwicklung der Schülerzahlen an der Berufs- und Fachoberschule. Die IHK wirbt für die duale Ausbildung, doch der Trend geht weiter in Richtung Fachoberschule bzw. Abitur und Hochschulstudium. Moderiert wurde der Abend von Unternehmensberaterin Maxi Weiss. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Zwei Jahre lang musste er dem Virus weichen, nun konnte der traditioneller Maiempfang der IHK Regionalversammlung Memmingen und Unterallgäu endlich wieder stattfinden - diesmal in der Aula der FOS/BOS Memmingen mit etwa 200 Gästen. Keynotesprecher war der Zukunftsforscher, Theologe und Journalist Michael Carl, der einen Blick in die nahe Zukunft warf.
Zwei Jahre Coronapandemie, dann der Krieg in der Ukraine, harte Lockdows in China - die Stimmung in der Wirtschaft ist deutlich eingetrübt, konstatierte Veranstalterin Andrea Thoma-Böck, Vorsitzende der IHK-Regionalversammlung Memmingen und Unterallgäu, auf die Frage von Moderation Maxi Weiß. Das zeige die aktuelle Konjunkturumfrage, welche die negativen Erwartungen der Unternehmer, bedingt durch massive Herausforderungen wie durchbrochene Lieferketten und extrem schlechte Rohstoffverfügbarkeit bei explodierenden Energiepreisen, widerspiegele. Auch ohne Embargo sei die Wirtschaft „extrem existenzbedroht“. Sollte ein Gasembargo eintreten, befürchtet Thoma-Böck „eine starke Rezession verbunden mit extrem hoher Arbeitslosigkeit und Unternehmenszusammenbrüchen“. Ein Gasembargo würde vor allem unserer Wirtschaft schaden – „und sollte Russland den Hahn zudrehen, wird’s schwierig.“
Befragt, was sie sich für die Zukunft wünschen, erklärte Thoma-Böck: „Eine konsequente Entbürokratisierung zur Entlastung der Unternehmen, mehr Freiraum für Innovationen, eine gründliche Steuerreform und europaweit vergleichbare Strompreise.“ Viel Beifall vom Unternehmerpublikum bekam sie für ihre Forderung nach Industriestrompreisen, „weil die explodierenden Energiepreise der Inflationstreiber Nummer eins sind.“
"Zeitenwende oder Zeitenende?"
Wohin deuten die Zeichen der Zeit? Was erkennen wir, was blenden wir aus? Haben sich unsere Sichtweisen überholt?
Bereits vor Corona bezeichnete der Zukunftsforscher, Theologe und Journalist Michael Carl die 2020er Jahre als Zeitalter der Krisen. In seinem Institut in Leipzig beleuchtet er die Frage nach der Zukunft und dem Stellenwert des Menschen in künftigen Arbeits- und Lebenswelten. Als Keynote Speaker des IHK-Maiempfangs warf er in seinem Vortrag „Update Zukunft“ einen Blick ins Jahr 2030 - in eine Zukunft, die „nicht mehr unseren heutigen Logiken folgt, die anders ist“. Bereits heute sei die Welt geprägt von Veränderungen, die sich nicht mehr aus dem linearen Denken herleiten lassen.
„Die Krise, mit der wir uns beschäftigen sollten, ist viel elementarer als die Pandemie“, so Carl. "Wir stehen vor Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können."
So sei es absehbar, dass "wir in zehn Jahren eine völlig andere Vorstellung davon haben, was es bedeutet zu arbeiten. Wir müssen von vielen Selbstverständlichkeiten Abschied nehmen.“ Auch der Klimawandel werde in seinen Auswirkungen völlig unterschätzt. Nachhaltigkeit reiche nicht mehr aus, um künftigen Generationen eine Zukunft zu geben.
Viel Spielraum für Gestaltung
Doch Carl will keine Endzeitstimmung schüren, sondern Hoffnung wecken auf die Chancen, die im Wandel liegen: „So viel Spielraum für Gestaltung war lange nicht!“, lautet sein Appell an die versammelten Unternehmer.
Angesichts der demografischen Krise sei es längst überfällig, einen neuen Generationenvertrag zu verhandeln. "In allen Branchen in allen Regionen werden 2030 Arbeitskräfte fehlen", prognostiziert Carl. Die Kräfteverhältnisse würden sich verschieben, die Begriffe auf den Kopf gestellt: „Die wahren Arbeit-Geber sind dann jene, die ihre Arbeitskraft geben und die entscheiden dann, wie und wo sie sich einbringen wollen.“
Wie kann man dem Kunden mehr in Rechnung stellen, ohne den Rahmen (ganz wörtlich genommen) zu sprengen? Der Schweizer Zauberer Sven Spacey präsentierte sein „magisches Projektmanagement“ anhand von Puzzlesteilen auf einer Magnettafel dem amüsierten Publikum.
Die digitale Diagnostik in der Medizin werde in etwa zehn Jahren dazu führen, dass die normale Lebenserwartung in Mitteleuropa bei 100 Jahren liege. Im Jahr 2100 würden die Menschen dank individualisierter Medizin und 3D-Druck von Organen (wie heute bereits in USA praktiziert) bis zu 200 Jahr alt – „ein demografischer Wandel auf Speed“, so Michael Carl.
Die Herausforderung für die Unternehmer sei es, den Übergang zu meistern und zum Beispiel Lokführer auszubilden, die bereits in zehn Jahren überflüssig sind. Erfolgreich seien dann die Unternehmen, „die Menschen aufnehmen und kontrolliert wieder loslassen können“, indem sie mit der Konkurrenz kooperieren. Der Berufsweg der Zukunft sei eine Lernreise, die der neue Arbeit-Geber bestimmt.
Roboter als Kümmerer
Carl stellt seiner faszinierten Zuhörerschaft einige Errungenschaften der Zukunft vor, an denen heute gearbeitet wird. Dazu gehört ein kommunikationsstarker Roboter, der in der Pflege als Kümmerer eingesetzt werden könnte, denn: „Nach vier Minuten vergessen Menschen erwiesenermaßen, dass sie mit einem Stück Plastik reden“ - auch wenn wir uns das heute nicht vorstellen können. Ebenso wenig wie das 3D-gedruckte gesundheitsoptimierende Nahrungsmittel, „perfekt angepasst an den tagesaktuellen genetischen Code des jeweiligen Menschen.“ Tagesaktuell in Verbindung mit Genetik – ein Widerspruch? Nein, denn „mittlerweile wissen wir, dass wir den genetischen Code des Menschen im laufenden Betrieb anpassen können".
Etwas gruselig erscheint wohl so manchem auch die „2045 Initiative“, die daran arbeitet, ein vollständiges Backup des menschlichen Hirns via Computer Schnittstelle auf ein anderes Medium, einen Online-Avatar zu übertragen. Bislang weitgehend unbeachtet von der öffentlichen Wahrnehmung entwickelt Tesla-Chef Elon Musk derweil mit „Neurolink“ eine Schnittstelle zwischen Hirn und Computer.
Schöne neue Welt - Krise oder Chance? Das hängt wohl davon ab, was wir daraus machen.
Zum Abschluss des informativen Abends entführt Katrin Weißensee die Zuschauer mit ihrer Sandmalerei in eine magische Welt voller Poesie.