Der ÖDP-Fraktionsvorsitzende im Memminger Stadtrat Michale Hartge mit Susanne Socher von Mehr Demokratie e.V. Bayern. Foto: Sonnleitner
Memmingen (as). "Information statt Klamauk" gab es beim Politischen Aschermittwoch der ÖDP Memmingen-Unterallgäu in der Kattunfabrik. Susanne Socher von Mehr Demokratie e.V. Bayern erläuterte, dass es nicht zur „Keule Bürgerbegehren“ auf kommunaler Ebene kommen muss: „Mehr und frühe BürgerInnen-Beteiligung ist nicht nur nötig, sondern auch möglich.“
In seiner Begrüßung betonte der ÖDP-Fraktionsvorsitzende Michael Hartge, dass die Kommunalwahl im März diesmal auch Wandel bedeuten müsse, um nach dem Motto „Global denken, lokal handeln“ auch auf kommunaler Ebene in Sachen Klimaschutz voranzukommen: „Wer Klimaschutz will, muss ihn auch wählen“, betont Hartge - und bei so manchem Mitbewerber vermisse er eine Aussage zu diesem Thema.
Direkte Demokratie muss keinen Fronten bilden
Von engagierten Diskussionen begleitet war der Vortrag von Susanne Socher. Die Geschäftsführerin von "Mehr Demokratie Bayern" berät seit 17 Jahren Bürger und Gemeinden zum Thema Bürgerbegehren. In Memmingen erläutert die engagierte Streiterin für mehr Beteiligung und politische Mitentscheidung, wie die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene funktioniert. Dabei müsse ein Ratsreferendum keineswegs, wie zuletzt in Memmingen, konträr zum Bürger angestrebt werden. Vielmehr könnte der Stadtrat bei strittigen Fragen von sich aus ein Bürgerbegehren initiieren, anstatt die Bürger außen vor zu lassen und zu riskieren, dass diese ihre Beteiligung durch einen Bürgerentscheid erzwingen, wie es beim Bahnhofsareal der Fall war. Auf diese Weise müsse direkte Demokratie nicht immer Fronten bilden. Doch stünden gekränkter Stolz und Eitelkeit dem oft im Wege, so Socher.
Die Angst vor dem Bürger
Erschwert werde die gemeinsame Entscheidungsfindung dadurch, dass Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft verschiedene Interessen und Handlungsmuster aufweisen. So stehe der Wille, gewählt zu werden KEIN KOMMA und die Angst vor Machtverlust auf Seiten der Politiker gegen den Wunsch der Bürger nach Mitsprache und selbstbestimmtem Handeln - während es das primäre Interesse der Verwaltung sei, Risiken zu vermeiden und langfristige Lösungen zu finden, führt die Referentin aus. Hier spiele auch eine gewisse Angst vor dem Bürger eine Rolle.
"Der Stadtrat macht eh nur sein eigenes Ding“
Sochers Fazit, dass alle Instanzen letztendlich jedoch an einem Strang ziehen, provoziert heftigen Widerspruch aus den Reihen der Zuhörer. „Die Politik fühlt sich dem Bürger nicht verpflichtet“; „Die etablierten Parteien verwalten nur den Status quo“; „Die Stadt hört dem Bürger nicht zu“; „Der Stadtrat macht eh nur sein eigenes Ding“, wenden einige ÖDP-Mitglieder frustriert ein. Der Kombibadentscheid zeige, dass Stadt und Stadtrat diesbezüglich "nichts dazugelernt haben", meint ein Zuhörer. „Was fehlt, ist eine Schnittstelle zwischen Stadtrat und Bürger,“ bemängelt ein anderer.
"Niederlagen nicht persönlich nehmen"
In Anbetracht der vielfältigen, nicht ausgeschöpften Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung wie dem Bürgerantrag (bei dem die Bürger ein Thema auf die Tagesordnung der Stadtrat setzen können) und positiver Erfahrungen wie dem erfolgreichen Bürgerentscheid für den Artenschutz macht die Referentin, kräftig unterstützt von der Kreisvorsitzenden Gabriela Schimmer-Göresz, Mut, sich verstärkt einzumischen und so Einfluss auf den Erhalt der Demokratie zu nehmen. „Runde Tische sind keine Wellnessveranstaltung“, so Socher, „doch es braucht Leute, die immer wieder aufstehen und Niederlagen nicht persönlich nehmen“.
"Raum für persönliche Begegnung schaffen"
Bürgerbeteiligung werde ein immer wichtigeres Thema: „Die Menschen haben gemerkt, dass sie etwas bewirken können“- und Probleme wie den Klimawandel könne ein Stadtparlament nicht alleine angehen. „Wenn man die Menschen jetzt nicht mitnimmt, wird sich das rächen“, mahnt Socher unter Verweis auf Pegida als Vorläufer der AfD. Wichtig sei es, jenseits von Twitter und facebook wieder Raum für persönliche Begegnung zu schaffen. So könnten die Gemeinden zu "Reallaboren für direkte Demokratie" werden. „Denn wo ein Fall faires Verfahren stattfindet, wird die Entscheidung auch akzeptiert“, betont Socher.
Info: Bürgerbegehren und - entscheide gibt es in allen Bundesländern. Knapp 40 Prozent aller bürgerinitiierten Verfahren finden in Bayern statt, da hier die besten Durchführungsbestimmungen gegeben sind und auch über Themen abgestimmt werden kann, die in den meisten anderen Bundesländern ausgenommen sind, wie z. B. die Bauleitplanung. Ein Bürgerbegehren zum Bahnhofsareal wäre also in vielen anderen Bundesländern nicht möglich gewesen.
Ein Ziel von „Mehr Demokratie e.V.“ ist es, Volksbegehren auf Bundesebene zu ermöglichen.