Von Politikverdrossenheit war an diesem Abend nichts zu spüren: Über 1.600 Bürger verfolgten interessiert die von der Memminger Zeitung initiierte Podiumsdiskussion zur Oberbürgermeister-Wahl in der Memminger Stadthalle.
Memmingen (as). Auf sehr große Resonanz stieß die von der Memminger Zeitung
initiierte Podiumsdiskussion zur Oberbürgermeister-Wahl am 23. Oktober: Über
1.600 interessierte Bürger strömten in die Stadthalle. Da selbst die Stehplätze
im großen Saal schnell besetzt waren, wurde die Veranstaltung auch in den
kleinen Saal übertragen.
Zum Einstieg testen die Moderatoren Uli Hagemeier, Redaktionsleiter
der Allgäuer Zeitung, und Helmut Kustermann, Leiter der MZ-Lokalredaktion, mit
erfrischend-provokativen, wenn auch ein wenig respektlosen, Fragen die
Schlagfertigkeit der vier Kandidaten. So wollen sie z.B. vom Memminger Kandidat Gottfried Voigt wissen, wie vielen Duzfreunden er einen Gefallen schuldig sei, wenn er
ins Rathaus einziehe.
"Was planen Sie für die Ortsteile?"
Dann geht es in „medias res“. Die erste Sachfrage bezieht sich erwartungsgemäß auf die
Memminger Ortsteile. Gerecht müsse es zugehen, meint Stadtrat Gottfried Voigt.
Nach konkreten Projekten gefragt, nennt er einen neuen Kindergarten für Dickenreishausen,
eine Umgehung für Amendingen und die Sanierung der Straßen nach Hurren und
Eisenburg.
Markus Kennerknecht setzt auf regelmäßige Gespräche mit Vertretern der
Bürgerausschüsse und Vereine. Als
anzugehende Projekte nennt der Leiter des Immenstädter Bauamts u.a. die Anbindung
der Amendinger Baugebiete an die Donaustraße und eine „maßvolle bauliche
Entwicklung Steinheims“.
Dr. Robert Aures, Referatsleiter im Bayerischen
Gesundheitsministerium, plädiert für den, seines Erachtens nach, bisher
vernachlässigten Dialog mit den Bürgern und fordert eine transparente und offene
Verwaltung.
Christoph Maier spricht Steinheim an, hier müsse der dörfliche
Charakter bewahrt und der Kostenrahmen beim Ausbau des Bürgerzentrums
eingehalten werden. In Amendingen will er, im Falle seiner Wahl, ein funktionales Feuerwehrhaus und
einen Dorfgemeinschaftsplatz realisieren.
"Würde Sie ein Gebetsturm stören?"
Das nächste Thema ist das
geplante 20 Meter hohe Minarett, mit dem die türkisch-islamische Union die
Moschee in der Schlachthofstraße krönen will.
Hier spricht sich Christoph Maier,
dessen prägnante und präzise Antworten sich stellenweise wohltuend von der
wortreichen politischen Rhetorik seiner Mitkandidaten abheben, als einziger
Kandidat klar gegen den Gebetsturm aus. Dieser sei “einzig und allein dafür da,
dass dort ein Muezzin herunterruft“, was
er als „Form der Okkupation“ bezeichnet.
Die anderen drei Kandidaten betonen
die Religionsfreiheit als hohes Gut. "Wir müssen mit gutem Beispiel
vorangehen", meint Gottfried Voigt, und uns nicht mit anderen Kulturen
vergleichen, so der Kandidat der Freien Wähler - auch als
Antwort auf Dr. Aures, der auf die Intoleranz in islamischen Ländern Andersgläubigen gegenüber verweist. „Ein
Minarett soll nicht zu hoch sein wie ein Kirchturm“, sagt der CSU-Kandidat.
Markus Kennerknecht, Kandidat der SPD und FDP, beruft sich, wie zuvor Aures und
Voigt, auf die baurechtlichen Vorgaben. Würden diese eingehalten, “sage ich ‚ja‘
zum Minarett“. Eine Stadt wie Memmingen könne eine Moschee vertragen, ob mit
oder ohne Minarett, erklärt er mit Hinweis auf die jüngste Freiheitspreisverleihung.
Nach einem Memmingen-Quiz mit kniffligen Fragen wie „Was wog die schwerste Fischertags-Forelle seit 1900?“ ging es munter weiter mit umstrittenen Memminger Themen wie der Ikea-Ansiedlung, der Klinikums-Fusion und - ein Dauerbrenner - der Verkehrsführung am Weinmarkt.
"Gefährdet Ikea den Einzelhandel?"
Grundsätzlich begrüßen alle
Kandidaten die Ikea-Ansiedlung am Autobahnkreuz. Dem geplanten Fachmarktzentrum
als Konkurrenz zum innerstädtischen Handel stehen Voigt und Kennerknecht
kritisch gegenüber. Man müsse „hart verhandeln“, um den innerstädtischen Handel
bestmöglich zu schützen, meinen beide. Vor allem Sportartikel und Textilien
seien die konkurrierenden Felder, weiß Kennerknecht. Sein Fazit: Fachmarktzentrum:
ja, aber ohne innenstadtrelevante Sortimente.
Aures verweist auf den bereits gefassten Stadtratsbeschluss und attestiert der Stadt eine "gute Verhandlungsposition". Maier sieht im Fachmarktsortiment eher eine Chance, das Angebot für die Kunden zu erweitern. So könnten im Fachmarktzentrum zum Beispiel nur große Sportgeräte verkauft werden.
Sind Sie für eine Klinik-Fusion?
Die seit Jahren diskutierte Fusion des Memminger Klinikums mit den Krankenhäusern in Ottobeuren und Mindelheim ist ein weiterer wichtiger Punkt. Ein ganz klares "ja" kam von Dr. Aures - unter
der Voraussetzung, dass die medizinische Qualität und der Patient im
Vordergrund stünden. "Wir sind die Schwereren, also auch die Mehreren", meint Aures zur Frage nach den Beteiligungsverhältnissen.
Um Landrat Weirather nicht schon im Vorfeld
zu verschrecken, äußern sich Kennerknecht und Voigt zurückhaltend zu diesem Punkt. Grundsätzlich stehen auch sie zu einer
Fusion. "Daraus resultierende Einsparungen kann man wieder in das Klinikum
investieren", meint Voigt. Kennerknecht denkt auch an die Beschäftigten, für die
das Klinikum ein attraktiver Arbeitgeber bleiben müsse.
"Keine Fusion um jeden Preis" will Maier. Um keine Vermögenswerte zu verschleudern, müsse ein Besitzverhältnis klar zugunsten des Memminger Klinikums angestrebt werden.
"Soll der Weinmarkt für den Verkehr gesperrt werden?"
Bei dieser strittigen Frage liegen die Meinungen der
Kandidaten nicht weit auseinander. "Klare Regeln im Rahmen eines
Gesamtverkehrskonzepts" will Gottfried Voigt aufstellen. Eine Verkehrsberuhigung
des Weinmarkts am Wochenende nach Geschäftsschluss hält er für denkbar. Für
eine solche Regelung spricht sich auch Maier aus, allerdings beschränkt auf
Kraftfahrzeuge.
Eine halbjährige Testphase hält Dr. Aures für sinnvoll, um eine Schließung an Wochenenden und Feiertagen zu erproben. Kennerknecht weiß von zwei Verkehrsgutachten, die belegen, dass eine dauerhafte Sperrung des Weinmarkts ohne eine bauliche Veränderung der umliegenden Straßen nicht machbar sei. Falls er gewählt wird, möchte er mit den Anwohnern ein Konzept erarbeiten.
Erlösender Gong
Die Redezeit war begrenzt und so erlöste der Gong die Zuhörer (und - so schien es - zuweilen auch die Gefragten), wenn sich die Kandidaten bei präzisen Nachfragen wortreich durchs argumentative Unterholz arbeiteten.
Von Politikverdrossenheit war an diesem Abend jedenfalls nichts zu spüren. Die Besucher nutzten nicht nur die Möglichkeit, die vier Kandidaten im direkten Vergleich zu erleben, sondern formulierten auf Karten auch viele Fragen, von denen einige auf dem Podium behandelt wurden.
"Was wollen Sie für die Jugend tun?"
Die Fragen aus dem Publikum betrafen unterschiedliche Themen wie das
Verschwinden kostenloser Parkplätze, die Angebote für Jugendliche, die
Fahrradfreundlichkeit der Stadt und - natürlich - das seit langem diskutierte
Freizeitbad.
"Was wollen Sie für die Jugend tun?", lautet die Frage eines jungen
Zuhörers. Kennerknecht schlägt vor, die Kulturwerkstatt auszubauen, die Sportvereine verstärkt zu unterstützen und den Jugendlichen mehr Möglichkeiten für
ehrenamtliches Engagement zu bieten. Auch Voigt spricht sich für die
verstärkte Förderung von Vereinen aus, allerdings werde hier schon viel getan,
relativiert er.
Dr. Aures plädiert dafür, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst zu fragen und deren Ideen in Workshops zu entwickeln. Ganz anders geht Maier an das Thema heran: "Auch die Jugendlichen sind gefordert." Junge Menschen müssten mehr Initiative (auch im Stadtrat) zeigen, anstatt auf Angebote zu warten.
Freizeitbad - ja oder nein?
Mit einem klaren "ja" plädiert Maier für ein neues Freizeitbad. Die Sanierung des Hallenbad sei unzureichend, der Platz zu beschränkt. Dr. Aures führt die Kosten ins Feld, die er mit 30 bis 40 Millionen Euro beziffert. Hauptsächlich gehe es darum, den Eintrittspreis niedrig zu halten, da das Freibad ein Familienbad sei. “Wer ein Spaßbad will, muss ein bisschen fahren“, so Aures.
Auch für Voigt steht der bezahlbare Eintritt im Mittelpunkt: "Wir müssen die Kirche im Dorf lassen“, meint der FW-Kandidat. Kennerknecht gibt zu bedenken, dass der mittel und langfristige Erhalt der beiden jetzigen Bäder sehr kostenintensiv sei und lässt durchblicken, dass er das Projekt "Freizeitbad" für die bessere Lösung hält.
"Sie haben sich wacker geschlagen", bedankten sich die Moderatoren bei den vier Kandidaten, die mit großem Applaus vom Publikum verabschiedet wurden.
Das Vorschaubild zeigt die Kandidaten (v.li.) Markus Kennerknecht (SPD), Christoph Maier (AfD), Gottfried Voigt (Freie Wähler) und Dr. Robert Aures (CSU) mit den Moderatoren Helmut Kustermann, Redaktionsleiter MZ (links außen) und Uli Hagemeier, Redaktionsleiter Allgäuer Zeitung (rechts im Bild). Fotos: Radeck