Memmingen (jmg). Die Schuldenkrise und die Rating-Agenturen - Sündenböcke oder Problemursache? Über dieses knifflige Thema hat der Leiter des Forschungsbereichs Öffentliche Finanzen im Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Dr. Friedrich Heinemann in den Räumen der Memminger Sparkasse referiert.
Weit über 100 Zuhörer aus Politik, Wirtschaft, Behörden, Verbänden und Gesellschaft verfolgten gespannt den Ausführungen Heinemanns. Auch wenn diese Agenturen eine sehr wichtige und nicht mehr wegzudenkende Rolle am Markt spielen, wird deren Arbeit von Vielen Marktteilnehmern nicht immer positiv gesehen.
„Auch wir waren nicht immer einverstanden, was die Rating-Agenturen geliefert haben“, sagte Sparkassenvorstandsvorsitzender Thomas Munding und unterstrich damit, dass die Agenturen zwar wichtig und nicht mehr wegzudenken seien, aber auch sehr differenziert gesehen wird. So sind die Rating-Agenturen beispielsweise die Lieferanten ungünstiger Nachrichten, wenn ihre vorgenommenen Bewertung für ein Unternehmen oder auch einen Staat ungenügend ausfällt. Ratings sollen jedoch nur Informationen geben und Transparenz für Investoren schaffen und sind nicht eigenverantwortlich für eine Krise.
„Kein Markt funktioniert übrigens ohne diese Ratings“, erklärte Heinemann. „Insbesondere die überschuldeten und in ihrer Bonität herabgestuften Staaten leiden aber unter den schlechten Benotungen, die die Agenturen vergeben. Überhöhte Verschuldung, geringe Wettbewerbsfähigkeit, unterlassene oder fehlende Reformanstrengungen kann zu schlechter Kreditqualität und hohem Ausfallrisiko führen.
„Doch ohne Rating kein Zutritt zum Kapitalmarkt“, so Heinemann. Immer wieder, vor allem von Europäischen Schulden-Staaten, wird die Unabhängigkeit der Rating-Agenturen angezweifelt. Unter den weltweit etwa 150 Agenturen beherrschen allerdings nur die drei größten Institute Standard & Poor's, Moody's sowie Fitsch – allesamt amerikanische Agenturen - den Markt. Was in Europa den Ruf nach Europäischen Rating-Agenturen laut werden lässt. Dabei sind die Agenturen grundsätzlich unabhängig, dürfen keinen Interessenskonflikten unterliegen und unterstehen einer Aufsichtsbehörde und benötigen eine Zulassung, um überhaupt als Ratings anerkannt werden.
Nach Paragraph 52 SolvV wird „Eine Ratingagentur für Risikogewichtungszwecke von der Bundesanstalt nur dann anerkannt, wenn die Methodik zur Bonitätsbeurteilung Objektivität, Unabhängigkeit, laufende Überprüfung und Transparenz gewährleistet ist. Heinemann bezweifelt daher, ob eigene Europäische Rating-Agenturen bessere Bewertungen abgeben könnten.
Dr. Friedrich Heinemann, zum Fazit seiner Ausführungen: „Rating-Agenturen haben in der Finanzkrise mitunter eine zweifelhafte Rolle gespielt. Mehr Wettbewerb unter den Agenturen wäre deshalb künftig wünschenswert. Verantwortlich für die exzessive (Staats)Verschuldungen sind jedoch Wähler und Politiker – nicht die Agenturen.
Die Veranstaltung wurde vom Memminger Europabüro in Zusammenarbeit mit der Sparkasse Memmingen-Lindau-Mindelheim und der Europäischen Union organisiert.