
Memmingen (as). Regisseur Peter Kesten verlegt die Handlung des 1664 uraufgeführten bitterbösen Lustspiels auf eine Fitnessbühne. Die von Molière karikierte zeitgenössische Verblendung gegenüber heuchlerischer Moral und frömmelnder Bigotterie wird bei Kesten zur naiven Anbetung eines selbsternannten Yoga-Gurus. Seine Wahl des Ambientes bleibt schleierhaft und wirkt etwas bemüht - eine Andeutung auf postmoderne Körperkultur als Religionsersatz?
Der reiche Spießbürger Orgon verehrt den heuchlerischen Betrüger Tartuffe (Arne Loos als guruhafter Yogalehrer mit Karl Lagerfeld-Einschlag) als „Gipfel der Menschlichkeit“ und quasi göttliche Quelle von Läuterung und Seelenheil. Zum Entsetzen einiger Familienmitglieder nimmt Orgon den Mittellosen in sein Haus auf, der sich wie eine Zecke in den Pelz des reichen Hausherren bohrt. Die Situation eskaliert, als er seine wenig selbstbewusste Tochter Mariane (Barbara Weiß) dazu zwingen will, die Verlobung mit ihrem Herzblatt Valère (Christian Müller) zu lösen und stattdessen Tartuffe zu heiraten.
Orgons kluger Schwager Cléante (Fridtjof Stolzenwald, schlagfertig mit Golfausrüstung) und sein Sohn Damis (Julian Ricker mit napoleonischem Zweispitz) haben Tartuffe längst durchschaut, doch Orgon schlägt alle Warnungen in den Wind und enterbt seinen Sohn, als dieser ihm von Tartuffes Avancen berichtet: Der abgefeimte Betrüger ist nämlich nicht nur hinter Orgons Vermögen her, sondern umschmeichelt auch sein Weib Elmire (Michaela Fent). Der verblendete Orgon indes weigert sich standhaft, Tartuffes Untreue zu erkennen und es erfordert einiger häuslicher Intrigen, bis der Heilige endlich als Halunke entlarvt ist.
Eher anstrengend als erheiternd

"Die Grenzen der Vernunft sind gar zu eng gezogen und jeder hätt sie gern einmal überflogen" - André Stuchlik (in lila Jogginganzug mit clowneskem Rüschenkragen) gibt den Familienpatriarchen Orgon, der sich mit seiner Verehrung der vermeintlichen Lichtgestalt Tartuffe zum Narren macht, als chronisch-cholerischen Polterer. Was für den Zuschauer eher anstrengend als erheiternd ist.
Antagonistin des Hausherrn in diesem Ränkespiel ist das erfrischend respektlose Dienstmädchen Dorine (Anke Fonferek in Lackstiefeln zu weißem Schürzchen). Mit ihrer schonungslosen Direktheit bringt sie den Patriarchen zur Weißglut. Überhaupt stach Anke Fonferek aus dem ansonsten eher unambitionierten Spiel heraus und hatte mit dem Satz "Macht doch Euren Scheiß alleine!" die ansonsten eher spärlichen Lacher auf ihrer Seite.
Ein alter Hut?
Die Figuren von Franziska Harbort (Bühne und Kostüme) tragen Versatzstücke historischer Aufmachung wie hochgetürmte weiße Perücken, Reifröcke und Rüschenmieder über ihrer Trainingskleidung - ganz so, als hätten sie vergessen, die alten Zeiten abzulegen. Das Bühnenbild irritierte etwas und trug daher wenig zur Wirkung der Inszenierung bei. Ebenso wie die sportlichen Verrenkungen (Barbara Weiß unterhält das Publikum "zum Aufwärmen" mit einer längeren Fitness-Tanzeinlage) eher vom Witz der Molierschen Verse ablenken. Und damit den Esprit der beliebten französischen Komödie durch Muskelspiele ersetzen.
Fazit: Trotz einiger origineller Ansätze verpufft das satirische Potenzial von Molières Komödie in der Inszenierung. Sicherlich: Molières Gesellschaftskritik hat ihre revolutionäre Wirkung verloren und würde heute keinen Theaterskandal mehr auslösen. Da ihr Grundmotiv, Heuchelei und Selbstgerechtigkeit, in unserer Zeit jedoch keineswegs ausgestorben ist, hätte es sicherlich wirkungsvollere Ansätze gegeben, das Lustspiel in unsere Zeit zu übersetzen.
Weitere Inszenierungen im Großen Haus am 11., 14 und 27. Juni. Kartenreservierung unter Telefon 08331/ 9459-16.