Beim Poetry Slam im ehemaligen Rex-Kino (v.l.): Moderator Felix Römer, Miedya Mamod, Florian Wintel und Leticia Wahl kamen in die zweite Runde. Aber auch Aylin Celik, Meral Ziegler und Anke Fuchs ernteten viel Applaus für ihre Vorträge. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Sechs junge Talente der Szene aus ganz Deutschland, allesamt subtile Beobachter und feinsinnige Sprach-Artisten, standen beim diesjährigen Poetry Slam der Memminger Meile auf der Bühne des alten Rex-Kinos. Siegerin des Abends wurde die 24-jährige Studentin Leticia Wahl aus Marburg.
Slam Poet und Moderator Felix Römer kündigt eine "klatschintensive Veranstaltung" an, denn von der Intensität des Applauses hängt es ab, wer siegreich aus der Poesie-Schlacht hervorgeht. Die sechs Kandidaten hatten jeweils sechs Minuten Zeit für ihren Vortrag.
Was die literarische Form des Beitrags betrifft, so kann der Slammer sich der ganzen Bandbreite von Prosa oder Lyrik bedienen - wichtig ist, dass der Text das Publikum berührt, die Qualität des Vortrags spielt also auch eine wichtige Rolle. Viele der, meist jungen, Slammer bauen rhythmische Passagen ein, sei es im Textvortrag, der dann zum Rap wird, und/oder durch (Körper-)perkussion.
Zum Rhythmus ihres Herzens und ihrer Hände rappt Siegerin Leticia Wahl ihr „Liebesgedicht an mein eigenes Herz“. Gesten- und geistreich entwirft sie anhand von Introspektionen und "Rückblenden" im imaginären Spiegel das Verhaftetsein in alten Mustern und Ängsten und – „Augen auf und Herz zurück!“ - den Aufbruch zu neuen Erfahrungen.
Geben ist seliger denn
nehmen – doch „Wie viel kann ich geben ohne mich selbst aufzugeben?“ - Mit
dieser Frage beschäftigt sich die Studentin in ihrem zweiten bildreichen Text. Dabei versetzt sie sich in eine Frau hinein, die sich ausgelaugt, ja „ausgeweidet“ fühlt, weil sie
für ihre Mitmenschen zum Selbstbedienungsladen geworden ist.
„Glaubst Du, die Welt wird wieder gut?“
Dann wird’s politisch. Aylin Celik klopft mit der Frage an: „Glaubst Du, die Welt wird wieder gut?“ und kommt nach einer sprachlich virtuosen Analyse der weltpolitischen Lange zu keinem eindeutigen Ergebnis - doch das mit Überzeugung!
„Warum ich keine Deutsche sein darf, aber trotzdem eine bin", fragt (sich) die halbtürkischstämmige Meral Ziegler, die in wütendem Tonfall eindringlich schildert, wie sie trotz ihres beeindruckenden und kreativen Umgangs mit der deutschen Sprache immer wieder über ihren Migrationshintergrund stolpert.
Intime und originelle Einblick
in ihren Seelenhaushalt gibt Miedya Mamod aus Essen. „Wir fühlen uns nicht nach
Familie an, aber wir sehen ganz gut aus im Bilderrahmen“ - Mit einem Text anhand
eines XXL-Kondome-Packs zum 20. Geburtstag („Ein Vorratspack Schutz“)
thematisiert sie den Verlust von Liebe, Intimität und Lebensfreude der Eltern-Generation.
"Zwischen PMS, Vollmond und kalten Füßen"
Tatort Badezimmer: Um ein unerwünschtes Haar im Kontext weiblicher Befindlichkeiten "zwischen PMS, Vollmond und kalten Füßen" geht es in Anke Fuchs' komödiantischen Text für die reife - und neuerdings vernünftige - Frau ab 30.
Florian Wintel macht sich
Gedanken um gesellschaftliche Konventionen und um Kommunikationsrituale. Small
Talk beschreibt er als „wortreiche Art, sich anzuschweigen“. Seine schonungslose Offenheit bezüglich der oft fragwürdigen Rituale zwischenmenschlichen Umgangs stößt beim Publikum auf reichlich Gegenliebe.
Anlässlich des Selbstmords der Katze seiner Freundin beschreibt Wintel in der zweiten Runde herrlich skurril, dass Wahrheit ("eine bedrohte Disziplin") nicht Konsenz bedeuten muss und warum es Sinn macht, sich über Geschmack und Standpunkte zu streiten.
Das vom Alter her sehr
gemischte Publikum spendet viel ehrlichen Beifall an diesem Abend. Anklang
fanden alle sechs Poeten mit ihren mutigen und persönlichen Texten. Nach einer
Ausscheidungsrunde waren noch drei Kandidaten im Rennen: Miedya Mahmod, Florian
Wintel und Leticia Wahl. Die Marburgerin bekam eine Prise mehr Applaus als Florian Wintel. Als Siegerin wurde sie vom Kulturamt Memmingen mit einem
Memmingen-Monopoly-Spiel und einer Flasche Whiskey beschenkt.
Vorschaubild: Siegerin des Poetry Slam ist die 24-jährige Leticia Wahl, hier umrahmt von Julia Meyer und Kulturamtsleiter Dr. Hans-Wolfgang Bayer. Wahl studiert Erziehungswissenschaft und Psychologie in Marburg.