Museumsbeauftragte Daniela Seidel im ersten Raum der Ausstellung im Heimatmuseum Freudenthal/Altvater: „Ankommen in der neuen Heimat“, einem vom Krieg geprägten Memmingen. Foto: Svenja Gropper
Memmingen (sg). Seit der Neueröffnung im Mai erfährt das Heimatmuseum Freudenthal einen enormen Zulauf. Das Thema „Flucht und Integration“ beschäftigt junge wie ältere Menschen im Kontext der eigenen Familiengeschichte - aber auch, weil wir seit einigen Jahren wieder Menschen aus verschiedensten Ländern aufnehmen. Können wir dabei aus der Geschichte lernen, wie Integration gelingen kann? Dieser Frage sind wir einmal nachgegangen.
Flucht und Vertreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seien mit der heutigen Aufnahme Geflüchteter nicht vergleichbar, meint Oberbürgermeister Jan Rothenbacher.
1946 kamen die Menschen mit Leiterwägen und Kisten an. Sie durften fast nichts mitnehmen, mussten die Heimat schnell verlassen. „Die Vertreibung aus der alten Heimat, aus Freudenthal, begann in Viehwagons. Es war eine Fahrt ins Ungewisse!“, erzählt Daniela Seidel, Museumsbeauftrage des Heimatvereins Freudenthal/Altvater. Etwa 20.000 Heimatvertriebene kamen 1946 in Memmingen an. Das war ein gewaltiger Bevölkerungsanstieg, denn fast genauso viele Memminger lebten nach dem Krieg in der Stadt.
Heute zeigen sich unterschiedlichere Bilder: Menschen flüchten über das Mittelmeer und haben kaum Gepäck bei sich. Auf der anderen Seite sind es Menschen, die mit großen Autos und vielen Koffern ankommen. Die meisten wählen Deutschland als Einreiseland aus.
Flüchtlingsunterkünfte waren 1946 die Baracken des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers am Hühnerberg. Heute hingegen sind es oftmals Turnhallen, aber auch von privaten Personen zur Verfügung gestellte Zimmer oder Wohnungen.
Keiner hatte was
„Damals waren es Vertriebene - die Menschen wollten ihre Heimat nicht verlassen! Heute sind es größtenteils Flüchtlinge – Menschen, die vor Krieg in ihrem eigenen Land, einem Regime und in Hoffnung auf ein besseres Leben flüchten“, erklärt Seidel einen prägnanten Unterschied. Die Sudetendeutschen waren stolz auf ihre Kultur und ihre Arbeitsleistung. Ein ähnlicher Status und Bildungsstand, vor allem auch eine gemeinsame Sprache, habe es möglich gemacht gemeinsam mit den Memmingern die Wirtschaft vor Ort wieder neu aufzubauen. Es habe trotz Skepsis und Anfeindungen ein Gemeinschaftsgefühl gegeben. Denn nach dem Krieg fingen alle bei Null an, sagt Seidel, das verband auf eine Art und trug letztlich zu einer gelingenden Integration bei.
Es wurde weder nach einem Aufenthaltsstatus gefragt, noch „Willkommensgeld“ gezahlt. „Unterstützung, welche wir oftmals unkoordiniert in unsere Flüchtlingspolitik stecken, wäre bei unseren ‚Trümmerfrauen‘, die nach dem Krieg beim Wiederaufbau geholfen haben, ebenso gut aufgehoben gewesen“, bezieht Seidel Stellung.
„Die staatlichen Leistungen heute sind zu großzügig, da dürfte man strenger sein“, meint auch Alois Berger, Gründer der Berger Holding GmbH & Co. KG. Er hat diese heute weltweit erfolgreiche Firma ohne einen Pfennig aufgebaut.
Mit Nichts zum Millionär
Alois Berger, heute 90 Jahre, verließ seine Heimat mit 13 Jahren. „Gott sei Dank haben die uns vertrieben“, überrascht er mit seiner Aussage, und erklärt: Die jungen Tschechen aus Prag, nur eine Stunde entfernt, fingen nach dem Krieg an die Landbevölkerung zu tyrannisieren, die Menschen hatten zunehmend Angst. Mit seiner Familie kam er aus dem Böhmerwald, Pasecken nahe Winterberg, nach Altisried im Allgäu. Zunächst erfuhr auch seine Familie, wie so viele, Ablehnung und Zurückweisung. Ab dem ersten Tag musste er ein „Hirtenbub“ sein und hat zumindest einen Schlafplatz und Essen bekommen. Gekümmert habe sich allerdings sonst niemand um ihn oder seine Familie. „Denen werde ich es noch zeigen“, dachte der 13-jährige Bub damals. „Alle Böhmerwälder waren Schaffer“, erzählt Berger. Für ihn ist klar: Dass Bayern nach dem Krieg Heimatvertriebene hatte, habe die bayerische Wirtschaft weitergebracht.
Unseren Werten verpflichtet
Gelungene Integration sei es, sich an die jeweilige Landeskultur anzupassen und aufeinander zuzugehen, betont Seidel. Heute ist Integration wesentlich komplexer als nach dem Zweiten Weltkrieg, da Menschen vieler unterschiedlicher Kulturen nach Deutschland kommen, mit verschiedensten Sprachen, Religionen und Traditionen. 23 Herkunftsländer gab es laut Memminger Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren: Ukraine, Afghanistan, Türkei, Irak, Syrien, Eritrea, Tunesien, Iran, Cote d'Ivoire, Gambia, Äthiopien, Jordanien, Guinea, Russland, Nigeria, Somalia, Eritrea, Benin, Pakistan, Vietnam, Mali und Palästinensische Gebiete.
„Wer nach Deutschland kommt, ist unseren Werten verpflichtet. Wer in Deutschland eine neue Heimat findet, braucht die Bereitschaft zu arbeiten und sich zu integrieren“, bezieht auch Rothenbacher klar Haltung. Integration ist seiner Meinung nach dann gelungen, wenn eine Gemeinschaft auf Augenhöhe entsteht.