Freimütig, grundehrlich, sympathisch und amüsant: Jens Schnarre brilliert als Museumswärter Dave in Dr. Kathrin Mädlers Inszenierung von Nick Hornbys Monolog "NippleJesus". Foto: Forster/Landestheater Schwaben
Memmingen (as). Nick Hornbys „NippleJesus“ ist eine vergnügliche Reflexion über Sinn und Unsinn des modernen Kunstbetriebes, unverstellt und direkt wahrgenommen aus der Perspektive eines ebenso sympathischen wie bildungsfernen Normalbürgers. Jens Schnarre als Museumswärter Dave versteht es, die Zuschauer in dem von Dr. Kathrin Mädler schlicht und eindringlich inszenierten, gut einstündigen Monolog völlig in seinen Bann zu ziehen.
Körper-Abgüsse, Seifen-Heilige, ein Märtyrer-Herz aus Holz... - bevor Museumswärter Dave (Jens Schnarre) seine Zuschauer in einen erfrischend freimütigen Monolog verstrickt, führt MEWO-Museumsleiter Dr. Axel Lapp die Premierenbesucher durch die aktuelle internationale Ausstellung „Relikte & Reliquien“ in der MEWO-Kunsthalle. Anhand von Fotografien, Bildern und Objekten, die sich auf vielfältige Weise mit der Ästhetik, der Aura und der Bedeutung religiöser Kultgegenständen auseinandersetzen, werden die Besucher eingestimmt auf den Monolog "NippleJesus", eine zündende Kunstbetrachtungssatire des zeitgenössischen englischen Autors Nick Hornby.
Bild Nr. 49 im Südflügel
„Wie
schwer kann es schon sein vor einem Bild rumzustehen?“, fragt sich Dave - nicht
ahnend, dass Bild Nr. 49 im Südflügel zu
einer Prüfung für ihn werden soll. Der ehemalige Türsteher hat nämlich einen neuen Job
als Museumswärter mit Sonderauftrag: In einem Separee, Zutritt ab 18 Jahren, soll
der bullige Dave ein Kunstwerk bewachen, das die Gemüter der Besucher in Wallung
versetzen könnte.
Aber warum? Es handelt sich doch bloß um eine Darstellung von Jesus am Kreuz? Eine ergreifende allerdings, das überdimenionierte Kreuzigungsbild zeigt das leidende, schmerzverzerrte Gesicht den Gekreuzigten im Todeskampf in Nahaufnahme. „Es muss verdammt weh getan haben, da angenagelt zu werden“, bemerkt Dave.
Bei näherer Betrachtung erkennt er
schockiert, dass es sich um eine Collage handelt, bestehend aus einer Unzahl
kleiner Bilder weiblicher Brustwarzen, ausgeschnitten aus Pornoheften. Dave ist
entsetzt. Als er jedoch die sympathische, junge Künstlerin Martha kennenlernt, wandelt sich seine Abscheu in Bewunderung.
Der unvoreingenommene
Dave ist ein guter Beobachter. "Die meisten Leute gucken, gehen und sagen
nichts, weil sie wohl Angst haben, Scheiße zu labern“, attestiert er den
Bildungsbürgern, die die Ausstellung besuchen. Er hat viel Zeit zum Nachdenken
und auch, wenn er Marthas Absicht nicht so ganz versteht - sein Interesse ist
geweckt.
Nicht knien, nicht beten!
„Ich möchte, dass die Leute sehen, was ich gesehen habe“ - Dave findet das Bild clever und er vertraut der Künstlerin, deren Skandalbild zu beschützen, mehr und mehr zu seiner persönlichen Passion wird. So nutzt er seine Erfahrung als Rausschmeißer auf ungeahnte Weise, indem er einem Pfarrer verbietet (als ein Akt der Teufelsaustreibung) vor dem Kunstwerk zu knien und zu beten.
Dennoch kann der treue Wächter nicht verhindern, dass das Werk einem Anschlag zum Opfer fällt. Die
Zerstörer trampeln auf Jesus zerschundenem Gesicht auf dem Boden herum – „Das ist
blasphemischer als alles, was Martha gemacht hat“, findet Dave. Umso größer ist sein Erstaunen, als die Künstlerin geradezu euphorisch auf die Zerstörung ihres Werkes reagiert...
„Dicht rangehen, um pikiert sein zu können“
Das Komödiensolo NippleJesus aus der Kurzgeschichtensammlung Speaking with the Angel" ist wie eine Novelle aufgebaut, wobei das "unerhörte Ereignis" nicht eigentlich die Zerstörung des als Blasphemie gebrandmarkten Kunstwerks ist, sondern der Verrat am wohlwollenden Betrachter, an Dave als Beschützer und Verteidiger des Bildes. Nicht nur die Heuchler, die „dicht rangehen, um pikiert sein zu können“ werden vorgeführt: Die Kunst ist Mittel zum Zweck, hier wendet sich das Blatt bzw. die Leinwand gegen ihren Betrachter, der ausspioniert und als intolerant an den Pranger gestellt werden soll.
Dave muss erkennen, dass Martha auch ihn nur benutzt hat –
dass er nur Teil der Inszenierung war, die von einer Videokamera
festgehalten wurde. Ähnlich wie der rostige Metalldorn, die Waffe eines
Nachtclubbesuchers, die Dave dazu bewog, seinen Job als Türsteher an den Nagel
zu hängen, war das Bild NippleJesus eine
provokative Waffe gegen seine Betrachter, die unfreiwillig zu Darstellern in einem
Film über Intoleranz wurden.
„Destroyed by Christians“
Die
Fotografie „Piss Christ“ des US-amerikanischen Fotokünstler Andres Serrano provozierte
seit ihrer ersten Ausstellung 1987 in New York große Skandale und wurde
mehrmals zerstört. Foto: Sonnleitner
„Destroyed by Christians“ – Auch die großformatige Fotografie „Piss Christ“ ist Teil der MEWO-Ausstellung. Das wohl bekannteste Werk des US-amerikanischen christlichen Fotokünstlers Andres Serrano hat Nick Hornby zu seiner Geschichte inspiriert. Seit den späten 80er Jahren sorgt das Werk für Skandale und wird immer wieder zerstört, wenn es in Ausstellungen zu sehen ist, denn die scheinbar anheimelnde Fotografie zeigt ein in den Urin des Künstlers eingetauchtes Kruzifix.
Diese moderne Annäherung an religiöse Themen provoziert, weil sie den
von der Kirche verbannten Aspekt von bloßer Biologie und Sexualität zurück ins Spektrum der Betrachtung rückt. Insofern rührt die Darstellung Serranos an den Kern des Geschehens - ist der gekreuzigte Jesus nicht gerade deswegen
ein so
machtvolles Symbol, weil hier ein Mensch aus Fleisch und Blut (für
unsere
Sünden) zu Tode gefoltert wurde? Ein lebendiges Wesen, das qualvoll
spürt, wie
die Lebenssäfte aus ihm herausließen? Was also ist blasphemisch an einem
Jesus, der
aus (nährenden) weiblichen Brüsten besteht?
„Christus ist da, wo man ihn findet“
„Christus ist da, wo man ihn findet“, hat Dave (Jens Schnarre) erkannt. Der innere Prozess des arglosen und vorurteilsfreien Kunstwächters berührte die Premierenzuschauer, die lang anhaltenden Beifall für einen rundum gelungenen Premierenabend spendeten.Weitere Aufführungen der Inszenierung "NippleJesus" am 17. Februar, 10. und 19. März, 7., 24. und 28. April, 4. und 7. Mai, 16. Juni sowie am 6. Juli. Die Abende beginnen jeweils um 19.30 Uhr mit einer kurzen Führung durch die Ausstellung "Relikte & Reliquien". Karten gibt es beim Landestheater Schwaben, Telefon 08331/ 9459-16 oder online unter www.landestheater-schwaben.de.
Die Ausstellung in der MEWO Kunsthalle ist noch bis 7. Mai dienstags, mittwochs, freitags, samstags sowie an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr, donnerstags von 13 bis 19 Uhr zu sehen.