Auch der künstliche Luftröhrenschnitt wurde beim Notfallsymposium an Tierpräparaten geübt. Hier unter Anleitung von Oberarzt Dr. Dirk Wernerus, Unfallchirurg am Klinikum Memmingen (rechts). Fotos: Ralph Koch/Klinikum Memmingen
Memmingen (dl). Ein Kleinteil
verschluckt, am Herd verbrüht oder von einem Auto angefahren – Kindernotfälle
kommen glücklicherweise selten vor, aber gerade deshalb fehlt bei solchen
Einsätzen oft die notwendige Routine, weiß Notfallklinikleiter Dr. Rupert
Grashey vom Klinikum Memmingen und hat deswegen solche Ereignisse auf die
Tagesordnung beim Notfallsymposium in der Memminger Stadthalle gesetzt. Ein
weiteres Thema war die medizinische Erstversorgung bei einem Terroranschlag.
Kindernotfälle bilden nur rund fünf Prozent aller Notarzteinsätze. „Sie sind
selten, häufig aber emotional stark belastend“, erklärte Notfallmediziner Dr.
Rupert Grashey den rund 350 Notfallsymposiums-Teilnehmern aus vier Ländern. Kinder hätten nicht nur eine andere Physiologie, andere
Vitalwerte und eine empfindlichere Psyche als Erwachsene, sondern auch die
Medikamentendosierung könne bei Kindern unter Berücksichtigung von
Körpergewicht und Körpergröße nicht von einer Dosis für Erwachsene abgeleitet
werden.
„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Bei den noch unreifen Organen wie Leber und Niere funktioniert der Medikamenten- und Narkoseabbau anders als beim Erwachsenen“, schilderte Dr. Nina Sellerer vom Dr.-von-Haunerschen Kinderspital in München. „Zudem ist der Sauerstoffbedarf dreimal höher, die Sauerstoffreserve aber dreimal geringer als beim Erwachsenen. Dadurch sind die Kinder im Vergleich neunmal schneller gefährdet.“ Aus diesem Grund sei bei Kindern noch mehr als bei Erwachsenen Schnelligkeit gefragt. „Allerdings kann ein Beatmungsschlauch aufgrund der viel engeren Luftröhre und der schnell anschwellenden Schleimhäute im Rachenraum schlechter gelegt werden“, erklärte Kinderintensivmediziner Dr. Ralf Pallacks vom Klinikum Memmingen.
Verletzungen bei einem Attentat
Großer Übungsbedarf bei
Rettungskräften besteht auch beim aktuell viel diskutierten Thema Terror: „Bei
Terroranschlägen werden wir mit ganz
anderen Verletzungen konfrontiert, als wir es aus unserer alltäglichen Arbeit im
Rettungsdienst gewohnt sind“, beschrieb Professor Dr. Christian Schinkel,
Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Handchirurgie und Orthopädie am
Klinikum Memmingen. „Die Verletzungen bei einem Attentat ähneln
Kriegsverletzungen, also beispielsweise Stich- und Schusswunden oder Verletzungen
durch Splitterbomben.“ Deswegen würde oft die Versorgung in den ersten zehn
Minuten über Leben oder Tod entscheiden. „Denn meist verlieren die Opfer viel
Blut“, so Schinkel.
Hier könne beispielsweise ein künstlicher Zugang in den Brustkorb notwendig werden, um die Lunge zu entlasten. Solch eine invasive Notfalltechnik benötigt viel Übung, weiß Manfred Lorenz vom Deutschen Roten Kreuz Bodensee-Oberschwaben, der einen Workshop betreute, bei dem der künstliche Lungenzugang oder ein Luftröhrenschnitt an Tierfleischpräparaten geübt werden konnte.
Eigenschutz von Rettungskräften
Thema beim Symposium war heuer auch der Eigenschutz von Rettungskräften: „Denn das Aggressionspotential gegenüber Helfern hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen“, begründete Notfallmediziner Grashey die Themenauswahl.Sind
Rettungskräfte am Einsatzort Gefahren ausgesetzt, gilt laut dem oberallgäuer
Gesundheitspädagoge Christian Löckher-Hiemer: „Riskieren Sie nichts! Ihr Leben
und Ihre körperliche Unversehrtheit gehen vor." Wenn man sich als
Rettungskraft unsicher fühle, solle man die Polizei dazu rufen und im
Rettungswagen warten, bis die Streife am Einsatzort eingetroffen ist, erklärte
er bei einem Deeskalationstraining.
Heuer erstreckte sich das Symposium erstmalig über zwei Tage: „Wir haben den Wunsch vieler Teilnehmer aus den letzten Jahren aufgegriffen und die Workshops und Vorträge zeitlich getrennt“, so die Organisatoren. „Denn bisher war es so, dass, wer die Workshops besuchte, die Referenten verpasste.“ Die rund 350 Teilnehmer kamen aus Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Italien zum fünften Notfallsymposium in die Memminger Stadthalle.
Info: Nach den großen Allgäuer Notfallsymposien der 1980er und 1990er Jahre hatten die Veranstalter vom Klinikum Memmingen (Dr. Rupert Grashey, Professor Dr. Lars Fischer und Professor Dr. Christian Schinkel) diese Reihe nach langer Pause im Jahr 2012 wieder aufleben lassen, um über die neuesten Standards in der Rettung, Versorgung und Therapie von Notfallpatienten zu informieren. Sie waren damit weit über die Grenzen des Allgäus hinaus auf großes Interesse gestoßen.
Unser Vorschaubild: Kindernotfälle kommen relativ selten vor. Deswegen ist in diesem Bereich Weiterbildung besonders gefragt.