Ein wertvolles Erbe: Der überdachte Wehrgang an der Kohlschanze ist das älteste bekannte Zeitzeugnis seiner Art. Fotos : Sonnleitner
Memmingen (as). Das aufwändig sanierte Teilstück der historischen Stadtmauer „An der Kohlschanze“ kann ab sofort im Rahmen von Stadtführungen erkundet werden. Feierlich übergab Oberbürgermeister Manfred Schilder nun die Schlüssel an die Memminger StadtführerInnen.
Von außen betrachtet deutet nichts darauf hin, dass sich hinter der Tür neben dem Schuhhaus Cornelius in der Kalchstraße ein bauhistorisches Erbe verbirgt, dessen Bedeutung weit über die Stadtgrenzen Memmingens hinausgeht: Es handelt sich, soweit bekannt, um den ältesten überdachten Wehrgang Deutschlands. Entdeckt wurde die Relevanz dieses sowohl historisch als auch für die Vermarktung der Stadt wertvolle Zeitzeugnis vor drei Jahren vom Bauforscher und Bauingenieur Dr. Christian Kayser vom Münchner Ingenieurbüro Kayser und Böttges, Barthel und Maus. Das Büro leitete die ebenso aufwendige wie behutsame Sanierung des Bauwerks, das Kayser als "das eigentliche Denkmal reichsstädtischer Freiheit und Geschichte" bezeichnet. Nun ist das Werk vollbracht und der gut 75 Meter lange Wehrgang kann im Rahmen von Stadtführungen – auf Wunsch auch privat – besichtigt werden.
"Ungeheuer beeindruckend"
„Das Bauwerk ist ungeheuer beeindruckend, der Blick von der Mauer auf die umliegende Stadt lässt einen eintauchen in unsere bewegte Stadtgeschichte“, begeisterte sich Manfred Schilder bei der ersten Begehung des Mauerabschnitts „An der Kohlschanze“, bei der auch die StadtführerInnen ins Schwärmen gerieten.
Überdachung wurde 1373 errichtet
Überdacht wurde dieser besonders interessante Teil der insgesamt etwa zwei Kilometer langen erhaltenen Stadtmauer im Jahr 1373, wobei der Mauerzug, der die Kalchervorstadt mit einschloss, bereits im späten 13. Jahrhundert erbaut wurde. Dr. Kayser wies auf die aufwendigen und kostspieligen Details des Dachwerks hin, die darauf hindeuten, dass Memmingen sich damals in einer Blütezeit befand.
Bislang ging die historische Forschung allerdings davon aus, dass Wehrgangsüberdachungen erst zu Beginn des 15. Jahrhundert gebaut wurden, parallel zum Aufkommen von Feuerwaffen, da das Pulver trocken gehalten werden musste. Die Stadt Memmingen sei hier Vorreiter wohl gewesen, hatte Kayser bei der ersten Begehung des Wehrgangs 2019 erklärt.
„Jedes Detail dieses grandiosen Denkmals erzählt eine Geschichte“, betont der Bauforscher, der den StadtführerInnen und Medienvertretern im Laufe der Besichtigung viele interessante Details aus der Baugeschichte erläuterte.
Aufgang inmitten der Stadtmauer
Nachdem das Kalchtor 1632 während des Dreißigjährigen Krieges zerstört wurde, musste ein neuer Maueraufgang geschaffen werden. So wurde die dreischichtige Mauer für den Bau der Treppe, die auf den Wehrgang hinaufführt, von innen her ausgenommen: „Eine mittelalterliche Mauer besteht aus drei Teilen, zwischen äußerer und innerer Schale liegt das Füllmauerwerk, das ist bei jeder mittelalterlichen Burg- oder Wehrmauer so“, so Kayser. „Hier hat man sich das zunutze gemacht und die Mauerfüllung, Mörtel oder kleine Steine, auf wenigen Metern ausgekratzt und eine Treppe hineingebaut. Man kann hier also mitten im Querschnitt einer Mauer hochgehen und damit die historische Baukonstruktion eins zu eins erleben“, erklärte der Experte den faszinierten Zuhörern.
Oben angekommen, verläuft der Weg auf der Mauer zunächst zwischen der Brustwehr mit ihren Schießscharten auf der rechten und privaten Terrassen auf der linken Seite, bevor sich der Blick auf das stattliche Mauerwerk aus Kalktuffstein und auf den Wehrgang öffnet. „Bei der Sanierung“, erklärte Kayser, „wurde die einzigartige hölzerne Wehrgangüberdachung mit der ihr angemessenen Sorgfalt sowohl von Seiten der Planer als auch der beteiligten Handwerker behandelt. Reparaturen an dem Dachwerk wurden auf das unbedingt Notwendige beschränkt und zimmermannsmäßig mit Einfühlung in den Bestand ausgeführt.“
Besichtigungsmöglichkeiten
Der historische Wehrgang Kohlschanze kann ab Frühjahr 2022 in Rahmen der öffentlichen Freitagsführung „Zauber der Altstadt I Prunk & Pomp“ besichtigt werden, auf Wunsch auch in privaten Führungen. Tieferen Einblick in die Geschichte der Stadtmauer gibt die dreiteilige Führung „An der Mauer – Auf der Lauer“. Am 10./16./17. Juni können Interessierte die Wehranlagen Stück für Stück begehen und erkunden. Der Abschnitt Kohlschanze ist Teil der Führung am 16. Juni.
Feierliche Schlüsselübergabe: Oberbürgermeister Manfred Schilder übergibt die Schlüssel für das Denkmal an das Team der StadtführerInnen vor der historischen Stadtmauer (v. li.): Herbert Heuß, Oberbürgermeister Manfred Schilder, Birgit Kitzmann, Anni Lanzl, Elisabeth Breternitz, Heidi Stölzle, Sabine Rogg und Sabine Streck.