Memmingen (as). „Wie sinnhaft erleben Menschen ihre Arbeit?“ - Das sei eine zentrale Frage für Gesundheit und Leitungsfähigkeit der Mitarbeiter, erklärte der Soziologe Professor Bernd Bardura, Hauptreferent beim Zukunftsforum Wirtschaft im Allgäu. Um die „starke Belegschaft“ drehte sich das Pilotprojekt zum betrieblichen Gesundheitsmanagement des Unterallgäuer Gesundheitsamts im voll besetzten kleinen Saal der Stadthalle. Der Unternehmensdiagnostiker Badura erörterte die Zusammenhänge zwischen emotionaler Mitarbeiterbindung, Gesundheit und Betriebsergebnis.
Der renommierte Soziologe Prof.
Bernd Bardura war Hauptreferent beim Zukunftsforum Wirtschaft im Allgäu. Fotos: Sonnleitner
Im
Zeitalter der digitalisierten Wirtschaft konstatiert Professor Bernd Badura zwei globale
Trends: den fundamentalen Wandel
von Hand- zu Kopfarbeit und von Fremd-
zu Selbstorganisation. Letzteres erfordere Vorgesetzte, die Vertrauen in ihre
Mitarbeiter haben und diese unterstützten und auch "machen lassen", anstatt macht- und kontrollorientiert
zu denken „Ausgeprägte Hierarchien sind nicht mehr funktionsfähig in den neuen
Märkten“, so Badura.
„Wie sinnhaft erleben Menschen ihre Arbeit?“
Mit zunehmender Technisierung gewinnen „weiche Faktoren“ an Bedeutung, die Unternehmenskultur wird zum entscheidenden Faktor für die Schaffenskraft der Mitarbeiter. Entscheidend für deren Leistungsbereitschaft und Motivation sei die emotionale Bindung der Angestellten an die Ziele und Werte des Unternehmens. Die zentrale Frage sei darum: „Wie sinnhaft erleben Menschen ihre Arbeit?“
Als Unternehmensberater tritt Bardura für das ein, was in der modernen Arbeitswelt eigentlich selbstverständlich sein sollte: Eine menschenfreundliche Unternehmenskultur, die, statt Kontrolle, Respekt und Anerkennung vermittelt und in der ein fairer und gerechter Umgang herrscht. Stattdessen gebe es in vielen Unternehmen und besonders in Behörden ein latentes Gefühl der Angst, sich offen zu äußern. „Angst ist bei der Mitarbeiterführung ein gefährliches Gift“, so der Experte. Sie beeinträchtige nicht nur die Gesundheit der Angestellten, sondern auch den Erfolg des Unternehmens.
Wie geht es den Anwesenden?
Der international renommierte Experte und Berater der WHO Bernd Badura hat die Unternehmenskultur in 70 Organisationen analysiert und konstatiert eine zunehmend erschöpfte Arbeitswelt - nicht zuletzt dadurch bedingt, dass die Mitarbeiter bei Technisierung und Digitalisierungsprozessen zu wenig mitgenommen werden. Bei seiner Analyse schaut er nicht nur auf Fehlzeiten, sondern auf die verborgenen Beeinträchtigungen derer, die zwar anwesend sind, aber nicht wirklich leistungsfähig oder-willig oder sogar innerlich bereits gekündigt haben.
Besonders psychogene Beeinträchtigungen haben in den Jahren enorm zugenommen. Dies zeige sich in Form von Rückenschmerzen, Schlafstörungen. Müdigkeit, Erschöpfung, Burnout und Depressionen. 53 Prozent der Mitarbeiter seien bereits müde und erschöpft, wenn sie zur Arbeit kommen. „In einer Arbeitswelt mit Kopfarbeiten ist das ein fataler Zustand.“
Badura sieht das mangelnde Gesundheitsbewusstsein in deutschen Unternehmen als einen Faktor dafür, dass die beschwerdefreie Lebenserwartung in Deutschland nur bei etwa 56 Jahren liegt, in Schweden jedoch bei über 73 Jahren. Leider sei die Bedeutung von betrieblichem Gesundheitsmanagements und Stressmedizin weder von der Arbeitswelt noch von der Medizin bislang wirklich erkannt worden."Führungskräfte pflegen das Image, überarbeitet zu sein"
Zweiter Referent des Abends war der Unternehmensberater Jürgen Schuster. Aus
seiner Erfahrung heraus beschrieb und bestätigte er die Prozesse und Symptome
kontinuierlicher Belastung, welche zu Verspannungen, Schlafstörungen und
letztendlich zum Burnout führten. Leider pflegten viele ständig mürrische
Führungskräfte das Image, überarbeitet zu sein und zeigten wenig Kompetenz
darin, ihre Mitarbeiter zu unterstützen und zur Selbstständigkeit anzuleiten. Den
Mitarbeitern satt dessen Druck zu machen, sei kontraproduktiv: „Das Gehirn ist
in Ruhephasen kreativer.“ Auch
mangelndes Konfliktmanagement trage zu „massiver Energieverschwendung“ in
Unternehmen bei.
“Die Leute wollen ja was bewirken!“
„Die Leute spüren es, wenn sie wirklich gesehen werden“, so Schuster. Arbeit müsse nicht unbedingt Spaß machen, aber solle durchaus zur Zufriedenheit beitragen. Ein menschenfreundlicher Stil erhöhe zudem die Produktivität der Mitarbeiter: “Die Leute wollen ja was bewirken!“, erklärt der Unternehmensberater.
„Kann
jemand stolz darauf sein, dass er bei dir arbeitet?“, ist die zentrale Frage,
die Unternehmer sich stellen sollten.
Ein klares Bekenntnis zur Belegschaft bestehe in Gesundheitsangeboten, zum Beispiel in Form von Stressworkshops. Bislang diene jedoch höchstens ein Obstkorb als Feigenblatt für die Gesundheitsvorsorge im Betrieb.
Jährliches Gesundheitsbudget für Angestellte
Auch
Diplom-Betriebswirt Sascha Marquardt sieht Sinnhaftigkeit und Stolz auf das
Unternehmen als zentralen Punkt für Mitarbeiterbindung und Motivation an. Die
Menschen sollten zu „Markenbotschaftern“, also zu Fans ihrer Unternehmen werden, anstatt „nur zum Schaffen zu
kommen“.
Neben dem sozialen und dem finanziellen sei der gesundheitliche Faktor
ein Baustein für das Glück der Beschäftigten. Marquardt plädiert für ein
Gesundheitsbudget. Zum Beispiel könnte das Unternehmen die gesundheitlichen
Maßnahmen seiner Mitarbeiter jährlich mit 300 Euro bezuschussten.
Info: Das Pilotprojekt
des Unterallgäuer Gesundheitsamts soll fortgeführt und durch Workshops ergänzt werden.
Unser Vorschaubild zeigt den zweiten Referenten des Abends, Unternehmensberater Jürgen Schuster aus Kirchheim.