Anne (Mirjam Smejkal) versucht zu verstehen, was ihren Vater (André Stuchlik) verwirrt hat. Foto: LTS © Jürgen Bartenschlager
Memmingen (sg). Erinnern und vergessen, die Welt nur noch fragmentarisch wahrnehmen, zunehmend die Orientierung verlieren – das ist der Alltag des Demenzkranken André in der Tragikomödie „Vater“. Bravourös und berührend gespielt hat das preisgekrönte Stück von Florian Zeller nun am Landestheater Schwaben (LTS) Premiere gefeiert.
Der 80-jährige André ist zunehmend verwirrt. Er kämpft mit „kleinen Löchern im Gedächtnis“, wie er selbst es beschreibt. Gegenstände verschwinden und besonders verwirren ihn die veränderte Anordnung der Möbel und unbekannte Personen in „seiner“ Wohnung. „Bei uns geschehen merkwürdige Dinge“, sagt er. Um die Konfusion auf die Spitze zu treiben, konfrontiert seine Tochter Anne ihn mit widersprüchlichen Plänen für ihre Zukunft. Doch in der Selbstwahrnehmung ist André alles andere als ein Pflegefall. Dabei fragen die Menschen in seinem Umfeld ihn häufig, ob er sich nicht erinnere. Und immer wieder sucht er seine Uhr, die ihm Orientierung und Halt gibt.
Verzerrte Wirklichkeit
André Stuchlik brilliert in der Rolle des gleichnamigen André, ebenso Mirjam Smejkal in der Rolle seiner Tochter Anne. Das schwere und ernste Thema wird mit der humorvollen Art von André aufgelockert, in dessen Welt die Zuschauer mitgenommen werden. Die Wahrnehmung und die Figuren sind dabei bewusst fragmentiert dargestellt – auch das Bühnenbild von Inés Naufal spiegelt das bruchstückhafte und orientierungslose Empfinden. Durch die Doppelbesetzung von Anne und Pierre (Annes Ehemann) veranschaulicht das Stück zudem eindringlich die Schockmomente von André, wenn er die eigentlich vertrautesten Menschen in seiner Umgebung nicht mehr erkennt. Die Szenen haben keinen linearen Verlauf, spiegeln die Desorientierung und Verzerrung der Wirklichkeit. Viele Fragen bleiben ungeklärt, bis André zuletzt sogar fragt, wer er selbst ist.
Demenz in der Gesellschaft
Die Figur André steht stellvertretend für über 8 Millionen Demenzerkrankte in Europa, rund 2 Millionen davon leben in Deutschland. In den letzten 20 Jahren hat das Thema Demenz gesamtgesellschaftlich deutlich mehr Gewicht bekommen. Nicht nur in dem Stück trifft die Diagnose ein ganzes Familiensystem. Der Umgang mit der Erkrankung hängt dabei auch von vorgeprägten Beziehungsstrukturen ab. So können Konflikte stärker zutage treten, über positive Emotionen kann zugleich eine tiefe Verbindung bleiben.
Der französische Autor und Drehbuchschreiber Florian Zeller, der zu den renommiertesten Dramatikern unserer Zeit gehört, hat mit seinem Stück „Vater“ Menschen mit der Diagnose Alzheimer eine Bühne gegeben – und dies auf eine einfühlsame, kenntnisreiche und dabei dramaturgisch ausgefeilte Weise gestaltet. Es bietet einen Zugang und Verständnis für die Erkrankung und baut Berührungsängste ab, die auch Angehörige aus Unwissenheit oft haben. In Memmingen hat die Premiere von „Vater“ langanhaltenden Applaus geerntet.
Kirche und Theater
Am Sonntag, 12. Mai, um 17 Uhr findet in St. Josef außerdem ein Theatergottesdienst zu dem Stück statt.