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"Im Paradies gibt‘s kein Archiv"

Ein spannender Rundgang durch das Memminger Stadtarchiv

veröffentlicht am 08.03.2018
Tag der Archive 2018

Die Besucher bestaunen eine Urkunde zum Memminger Rathaus von 1589. Im Mittelpunkt der Betrachtung beim Vorschaubild steht eine alte Stadtansicht auf einer Planmappe, wo z.B. Hopfengärten verzeichnet sind, die bis weit ins 19. Jahrhundert  hinein die Stadt umgaben sowie die alte Richtstätte Katzenweiher. Rechts davon auf dem Tisch ist das Album zu sehen, das die Stadt dem damaligen Memminger Bürgermeister Julius von Roeck 1879 zum 25-jährigen Dienstjubiläum überreicht hatte. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Anlässlich des neunten bundesweiten Tags der Archive bot das Stadtarchiv Memmingen zwei Führungen durch seine Archivmagazine an. Stadtarchivar Christoph Engelhard präsentierte den Besuchern ausgewählte Dokumente aus verschiedensten Jahrhunderten zur Geschichte der (Reichs-)Stadt Memmingen und informierte sie über Aufgaben und Nutzen eines städtischen Archivs.

Stadtarchiv Memmingen

Die schweren Siegel erhöhen die Attraktivität alter Urkunden.

Erste Station der Führung ist der Lesesaal, wo Christoph Engelhard einige Archivschätze zur Ansicht ausgebreitet hat, deren Geschichte er den interessierten Zuhöreren sehr interessant und spannend zu vermitteln weiß. Wer bisher dachte, dass Archivarien eine eher trockene Materie sind, wird durch die Erläuterungen Engelhards eines Besseren belehrt.

Stadtarchiv Memmingen 2018

Der Speiseplan des Memminger Spitals von 1623.

"Nur wenn‘s Probleme gab, gibt‘s Dokumente"

Auch banale Dinge sind überliefert wie die Speiseordnung des Memminger Spitals (heute Unterhospitalstiftung) von 1623. Ansonsten gilt: „Alltägliches oder Dinge, über die nicht gestritten wurde, stehen nicht im Archiv“, klärt Engelhard schmunzelnd seine Zuhörer auf. „Im Paradies gibt‘s kein Archiv. Nur wenn‘s Probleme gab, gibt‘s Dokumente.“

Höhepunkt der Vorführung im Lesesaal - neben einer Planmappe, auf der die Hopfengärten ebenso verzeichnet sind, die bis weit ins 19. Jahrhundert  hinein die Stadt umgaben wie die alte Richtstätte Katzenweiher - war ein prachtvoll eingebundenes Album, das die Stadt dem damaligen Memminger Bürgermeister Julius von Roeck 1879 zum 25-jährigen Dienstjubiläum überreicht hatte. Es zeigt Gebäude, die in seiner Zeit entstanden wie das ehemalige Schlachthaus und die frühere Elsbethenschule.

Stadtarchiv Memmingen 2018

Theologisches Studienbuch mit Randnotizen von Christoph Schappeler.

Große Aufmerksamkeit bekam auch ein Buch aus der Inkunabel- und Handschriftenabteilung: Ein theologisches Studienbuch von Petrus Lombardus mit Randnotizen von Christoph Schappeler, Reformator und Mitverfasser der berühmten "Zwölf Artikel".

"Ausschaltung" der Memminger Juden

Natürlich birgt ein Archiv auch traurige Kapitel der Stadtgeschichte. Eine Mappe enthält die komplette Bauakte der Memminger Synagoge, die 1908/9 eingeweiht wurde. Protokolle über die Reichskristallnacht, ein Verzeichnis der geplünderten Wohn- und Geschäftsräume und ein schnödes Formblatt „abgemeldeter“ Gewerbetreibender belegen  die systematische "Ausschaltung" der Juden (zunächst nur) aus dem wirtschaftlichen Leben der Stadt.

Stadtarchiv Memmingen 2018

Das Gewerbeverzeichnis aus der NS-Zeit listet die "abgemeldeten" jüdischen Gewerbetreibenden auf.

Stadtarchiv Memmingen 2018

So sah die gute Stube des Oberbürgermeisters 1945 aus.

Im Anschluss führt Engelhard seine Gäste noch durch zwei Archivgeschosse, von denen eins allein den überaus zahlreichen Dokumenten aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vorbehalten ist. Hier lagern hunderte Meter modernen Verwaltungsschriftwechsels, darunter einige Regale voller Ordner zur  Landesgartenschau im Jahr 2000, die in wochenlanger Kleinarbeit durchgesehen, aussortiert und als Akten in Kartons abgelegt werden. „Man wird sicherlich mal auf dieses Jahrhundertereignis in Memmingen zurückblicken“, erklärt Engelhard die Relevanz.

Stadtarchiv Memmingen 2018

Eines von 25.000 gedruckten Exemplaren der berühmten "Zwölf Bauernartikel".

Stadtarchiv Memmingen 2018

Von der Restauratorin des Stadtrachivs schön eingefasste Urkunde aus dem 16. Jahrhundert.

Eid auf den bayerischen König

Der zweite Archivraum beherbergt Akten, Bücher und  - stehend in Aluboxen aufbewahrt - Urkunden vom 13. Jahrhundert bis 1945. Darunter befinden sich u.a. eine Papsturkunde von Alexander VI. (Rodrigo de Borja) von 1496 und der protokollierte Eid auf den bayerischen König 1802, der das Ende der freien Reichsstadt Memmingen bekundete. Allein die Ratsprotokolle nehmen 20 bis 30 Regalmeter in Anspruch, auch Akten zu Baugenehmigungen und Stiftungen sind hier aufbewahrt. Außerdem werden alle vor dem 2. Weltkrieg gedruckten Erzeugnisse der Memminger Medienlandschaft hier archiviert.

Bei allen Recherchen zu beachten ist die 30-jährige Sperrfrist zum Schutz personenbezogener Dokumente. Für wissenschaftliche Zwecke können archivische Sperrfristen in der Regel jedoch auf Antrag verkürzt werden.

Stadtarchiv Memmingen 2018

Das Urbarium von 1574 verzeichnete die damaligen Besitzrechte. 

Stadtarchiv Memmingen 2018

Dies Urkunde von Kaiser Maximilian I. (1806) erlaubt  der Adeligen Memmingerin Rose von Zoller, ein Wappen zu führen.

Großes Interesse an persönlichen Dokumenten

„Das Leben vollzieht sich jenseits der Verwaltung, darum haben wir großes Interesse an persönlichen Dokumenten wie  Nachlässen, (Kriegs-)Tagebüchern und Briefen“, informiert der Stadtarchivar seine eifrig nachfragenden Zuhörer, die er über den Nutzen eines städtischen Archivs  aufklärt: So kann man hier zur Geschichte Memmingens und des Umlandes recherchieren oder Unterlagen über einen Stadtteil oder zur Historie eines bestimmten Hauses suchen: „Wir heben auf, was kommt“, schmunzelt  der Archivar,  auch Jahresberichte von Schulen oder Einwohnerkarteien.  Wer eine Geburts- oder Sterbeurkunde sucht, wird also hier fündig.

Auf Anfrage der Lokalen nannte Stadtarchivar Chistoph Engelhard eine Auswahl möglicher Forschungsthemen für wissenschaftliche Arbeiten, die das Stadtrachiv unterstützen könnte:

 -          Essen und Trinken in früheren Jahrhunderten

-          Schule auf dem Land

-          Christoph Schappelers Anmerkungen in einem theologischen Werk des Petrus Lombardus

-          Geschichte einer Memminger Zunft

-          Alltag im Nationalsozialismus anhand von Tagebüchern oder Zeitzeugenberichten

-          US-Militärregierung in Memmingen ab 1945

Weitere Infos unter www.stadtarchiv.memmingen.de. Der Lesesaal ist von Dienstag bis Donnerstag jeweils von 14 bis 17 Uhr oder nach vorheriger Vereinbarung geöffnet. Kontakt: stadtarchiv(at)memmingen.de oder Telefon 08331/850-143.