Die Besucher bestaunen eine Urkunde zum Memminger Rathaus von 1589. Im Mittelpunkt der Betrachtung beim Vorschaubild steht eine alte Stadtansicht auf einer Planmappe, wo z.B. Hopfengärten verzeichnet sind, die bis weit ins
19. Jahrhundert hinein die Stadt umgaben sowie die alte Richtstätte Katzenweiher. Rechts davon auf dem Tisch ist das Album zu sehen, das die Stadt dem damaligen Memminger Bürgermeister Julius von Roeck 1879
zum 25-jährigen Dienstjubiläum überreicht hatte. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Anlässlich des neunten bundesweiten Tags der Archive bot das Stadtarchiv Memmingen zwei Führungen durch seine Archivmagazine an. Stadtarchivar Christoph Engelhard präsentierte den Besuchern ausgewählte Dokumente aus verschiedensten Jahrhunderten zur Geschichte der (Reichs-)Stadt Memmingen und informierte sie über Aufgaben und Nutzen eines städtischen Archivs.
Erste Station der Führung ist der Lesesaal, wo Christoph Engelhard einige Archivschätze zur Ansicht ausgebreitet hat, deren Geschichte er den interessierten Zuhöreren sehr interessant und spannend zu vermitteln weiß. Wer bisher dachte, dass Archivarien eine eher trockene Materie sind, wird durch die Erläuterungen Engelhards eines Besseren belehrt.
"Nur wenn‘s Probleme gab, gibt‘s Dokumente"
Auch banale Dinge sind überliefert wie die Speiseordnung des Memminger Spitals (heute Unterhospitalstiftung) von 1623. Ansonsten gilt: „Alltägliches oder Dinge, über die nicht gestritten wurde, stehen nicht im Archiv“, klärt Engelhard schmunzelnd seine Zuhörer auf. „Im Paradies gibt‘s kein Archiv. Nur wenn‘s Probleme gab, gibt‘s Dokumente.“
Höhepunkt der Vorführung im Lesesaal - neben einer Planmappe, auf der die Hopfengärten ebenso verzeichnet sind, die bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Stadt umgaben wie die alte Richtstätte Katzenweiher - war ein prachtvoll eingebundenes Album, das die Stadt dem damaligen Memminger Bürgermeister Julius von Roeck 1879 zum 25-jährigen Dienstjubiläum überreicht hatte. Es zeigt Gebäude, die in seiner Zeit entstanden wie das ehemalige Schlachthaus und die frühere Elsbethenschule.
Große Aufmerksamkeit bekam auch ein Buch aus der Inkunabel- und Handschriftenabteilung: Ein theologisches Studienbuch von Petrus Lombardus mit Randnotizen von Christoph Schappeler, Reformator und Mitverfasser der berühmten "Zwölf Artikel".
"Ausschaltung" der Memminger Juden
Natürlich birgt ein Archiv auch traurige Kapitel der
Stadtgeschichte. Eine Mappe enthält die komplette Bauakte der Memminger
Synagoge, die 1908/9 eingeweiht wurde. Protokolle über die Reichskristallnacht,
ein Verzeichnis der geplünderten Wohn- und Geschäftsräume und ein schnödes Formblatt
„abgemeldeter“ Gewerbetreibender belegen die systematische "Ausschaltung" der Juden (zunächst nur) aus dem wirtschaftlichen
Leben der Stadt.
Im Anschluss führt Engelhard seine Gäste noch durch zwei Archivgeschosse, von denen eins allein den überaus zahlreichen Dokumenten aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vorbehalten ist. Hier lagern hunderte Meter modernen Verwaltungsschriftwechsels, darunter einige Regale voller Ordner zur Landesgartenschau im Jahr 2000, die in wochenlanger Kleinarbeit durchgesehen, aussortiert und als Akten in Kartons abgelegt werden. „Man wird sicherlich mal auf dieses Jahrhundertereignis in Memmingen zurückblicken“, erklärt Engelhard die Relevanz.
Eid auf den bayerischen König
Der zweite Archivraum beherbergt Akten, Bücher und - stehend in Aluboxen aufbewahrt - Urkunden
vom 13. Jahrhundert bis 1945. Darunter befinden sich u.a. eine Papsturkunde von
Alexander VI. (Rodrigo de Borja) von 1496 und der protokollierte Eid auf den bayerischen
König 1802, der das Ende der freien Reichsstadt Memmingen bekundete. Allein die Ratsprotokolle nehmen 20 bis 30 Regalmeter in
Anspruch, auch Akten zu Baugenehmigungen und Stiftungen sind
hier aufbewahrt. Außerdem werden alle vor dem 2. Weltkrieg gedruckten Erzeugnisse der
Memminger Medienlandschaft hier archiviert.
Bei allen Recherchen zu beachten ist die 30-jährige Sperrfrist zum Schutz personenbezogener Dokumente. Für wissenschaftliche Zwecke können archivische Sperrfristen in der Regel jedoch auf Antrag verkürzt werden.
Dies Urkunde von Kaiser Maximilian I. (1806) erlaubt der Adeligen Memmingerin Rose von Zoller, ein Wappen zu führen.
Großes Interesse an persönlichen Dokumenten
„Das Leben vollzieht sich jenseits der Verwaltung, darum haben wir großes Interesse an persönlichen Dokumenten wie Nachlässen, (Kriegs-)Tagebüchern und Briefen“, informiert der Stadtarchivar seine eifrig nachfragenden Zuhörer, die er über den Nutzen eines städtischen Archivs aufklärt: So kann man hier zur Geschichte Memmingens und des Umlandes recherchieren oder Unterlagen über einen Stadtteil oder zur Historie eines bestimmten Hauses suchen: „Wir heben auf, was kommt“, schmunzelt der Archivar, auch Jahresberichte von Schulen oder Einwohnerkarteien. Wer eine Geburts- oder Sterbeurkunde sucht, wird also hier fündig.Auf Anfrage der Lokalen nannte Stadtarchivar Chistoph Engelhard eine Auswahl möglicher Forschungsthemen für wissenschaftliche Arbeiten, die das Stadtrachiv unterstützen könnte:
- Essen und Trinken in früheren Jahrhunderten
- Schule auf dem Land
- Christoph Schappelers Anmerkungen in einem theologischen Werk des Petrus Lombardus
- Geschichte einer Memminger Zunft
- Alltag im Nationalsozialismus anhand von Tagebüchern oder Zeitzeugenberichten
- US-Militärregierung in Memmingen ab 1945
Weitere Infos unter www.stadtarchiv.memmingen.de. Der Lesesaal ist von Dienstag bis Donnerstag jeweils von 14 bis 17 Uhr oder nach vorheriger Vereinbarung geöffnet. Kontakt: stadtarchiv(at)memmingen.de oder Telefon 08331/850-143.