
Ute Perlitz, Leiterin Memminger Stadtmuseum, Kulturwissenschaftlerin Regina Gropper (Projektleitung "Zeitmaschine Freiheit") und Ursula Winkler (Ausstellungskonzept) bitten die große Besucherschar in den Ausstellungsraum. Grußworte zur Eröffnung sprachen neben Memmingens Kulturamtsleiter Dr. Hans-Wolfgang Bayer und Oberbürgermeister Markus Kennerknecht auch Miriam Hannig von der Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Bei Eröffnung der Ausstellung "He, Fräulein!" mit Fakten und Bildern zur Frauengeschichte war der Andrang war so groß, dass etliche Besucher keinen Platz im Foyer des ehemaligen Union-Kinos fanden. Im Kinosaal wurde die oft mühsam verlaufene Geschichte weiblicher Selbstbestimmung anhand von Exponaten und historischen Fotografien aus Memmingen und Umgebung informativ und unterhaltsam präsentiert.
"He Fräulein!" - diese bis in die 1980er Jahre übliche Anrede für junge weibliche Hilfskräfte und unverheiratete Frauen bildet das Motto der Ausstellung, die quasi im Zeitraffer den Kampf für Frauenrechte und Selbstbestimmung zeigt. Die Schau soll auch bei jungen Menschen ein "Bewusstsein für geschlechtsdefiniertes Verhalten sowie Formen von Unterdrückung und Ungleichbehandlung wecken". Denn auch in Deutschland sind Gleichberechtigung und Frauenrechte, vor allem in der Arbeitswelt, nicht selbstverständlich,wie Kulturwissenschaftlerin Regina Gropper (Projektleitung "Zeitmaschine Freiheit") in ihrer Eröffnungsansprache betont. Zudem seien Feministinnen und Emanzen bis heute schlecht angesehen.
Nach umfänglichen Eröffnungsreden über Sinn, Zweck und Hintergund der Ausstellung sind die Besucher umso gespannter auf das, was sie im Kinosaal erwartet und scharen sich um die Vitrinen mit privaten Leihgaben und Fotografien, die Haushalte aus Memmingen und Umgebung sowie das Stadtmuseum Memmingen zur Verfügung stellten.
Zornige Frauen forderten ihre Rechte ein
Dokumentiert werden wichtige Etappen auf dem Weg der Emanzipation wie die bürgerliche Frauenbewegung, ausgehend von der ersten deutschen Frauenkonferenz 1865 in Leipzig, mit ihrer Forderung nach "Mädchenbildung“ und Freigabe des Studiums für Frauen. Ebenfalls in diesem Jahr gingen zornige Frauen für ihr Wahl- und Selbstbestimmungsrecht auf die Barrikaden.
Beschaulich daneben das Dasein der
traditionsbewussten schwäbischen Hausfrau, veranschaulicht durch Attribute wie Kittel und
Kehrschaufel. „Das gibt sich, wenn du verheiratet bist“, lautet einer ihrer alten
Grundsätze.
"Die Küche als Arbeitsplatz der Frau", Traditionen wie die Aussteuer, die Arbeits- und Wohnverhältnisse bürgerlicher Familien werden ebenso reflektiert wie das Lehrerinnenzölibat im Deutschen Reich 1880.
"Nesthäkchen's Nadelmappe"
Hübsch anzusehen sind alte Bücher mit Titeln wie "Moralische Erzählungen", "Ratschläge für Hausfrauen" (Vorläufer heutiger Frauenmagazine) und Näheanleitungen mit dem Titel "Jede Frau ist ihre eigene Schneiderin" neben "Nesthäkchen's Nadelmappe".
Skuril anmutende altmodische Haushaltsgeräte wie alte
Herde, Bügeleisen und ungetüme Schreibmaschinen sind stumme Zeugnisse
weiblich-traditioneller Betätigungen in Haushalt und Büro.
"Das Ehrenkreuz der deutschen Mutter" - auch solche Zeugnisse der Auszeichnung "deutschblütiger Mütter" im Nationalsozialismus dürfen in einer Ausstellung über Frauengeschichte nicht fehlen. Die Ideologie des Muttertages von 1926 proklamierte Kinderreichtum - verbunden mit "Rassenhygiene" und Sexualmoral.
Die sexuelle Revolution
Ein
zentrales Thema der Ausstellung und Wendepunkt in der Frauengeschichte
ist die durch die Pille ermöglichte Geburtenkontrolle. Die sexuelle
Revolution von 1968 gestattete es Frauen darüber hinaus, freier über den
eigenen Körper zu verfügen und machte den Weg frei für höhere Bildung.
Heute bekommen deutsche Frauen im Schnitt 1,47 Kinder, der
Altersdurchschnitt der Erstgebärenden liegt bei über 29,5 Jahren.
Die „Memminger Hexenprozesse“
Viel
Raum in der Ausstellung nimmt der Paragraf 218 ein, der laut
Reichsstrafgesetzbuch von 1871
Freiheitsstrafen für abtreibende Frauen vorsah. Eine Vitrine
thematisiert einen wunden Punkt der Stadtgeschichte: die „Memminger
Hexenprozesse“ von 1988/89. Damals ermittelte
das Landgericht Memmingen gegen Frauen, die abgetrieben hatten und den
Arzt
Horst Theissen. "Mein Bauch gehört mir" - 7.000 empörte Menschen
demonstrierten im Februar 1989 in Memmingen gegen die Stigmatisierung
der Betroffenen.
Die Ausstellung, die das Stadtmuseum Memmingen in Zusammenarbeit mit der Frauengeschichtswerkstatt Memmingen e.V., dem Frauennetzwerk Memmingen e.V. und der Gleichstellungsbeauftragten Memmingen als Teil des Projekts „Zeitmaschine Freiheit“ realisiert hat, ist noch bis 8. März 2017 im ehemaligen Union-Kino Maximilianstraße 23, zu sehen. Die Ausstellung ist barrierefrei, der Eintritt frei.
Die Öffnungszeiten sind Mittwoch bis Freitag, 11 bis 15.30 Uhr, samstags von 10 bis 12 Uhr und donnerstags von 18 bis 20 Uhr. Vom 23. Dezember 2016 bis 3. Januar 2017 und am 6. Januar 2017 ist die Ausstellung geschlossen.
Infos im Internet, auch zum umfangreichen Begleitprogramm mit Vorträgen, Abendführung, „Fräulein-Bar“, Late Night und Workshops gibt es im Internet unter www.zeitmaschine-stadtmuseum-mm.de/de/zeitmaschine-freiheit/he-fraeulein
Info: „Welche
Freiheiten haben noch heute Bedeutung für das gemeinsame Leben in der Stadt?
Und was kann die Betrachtung der Geschichte leisten für die aktuellen Themen in
der Stadt?“ - diese Fragen umreißen das Anliegen von Zeitmaschine Freiheit. Um die
verschiedene Aspekte von Freiheit für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu
beleuchten, arbeitet das Stadtmuseum Memmingen mit einem großen Partnernetzwerk
zusammen. Gemeinsam mit zwölf Akteuren aus Memmingen und der Region – darunter
die Kolping-Akademie, das Städtische Jugendamt, die Lebenshilfe oder das
Landestheater Schwaben - sollen insgesamt zwölf Aktionen an zwölf Orten im
Stadtraum und im Museum realisiert werden.
So wird beispielsweise erkundet, welche Handlungsspielräume Geflüchtete in der Stadt haben oder inwieweit Stadtraumplanung und Architektur Inklusion ermöglichen. Zusammen mit unbegleiteten jugendlichen Geflüchteten soll ein mobiler Ausstellungskubus als „Zeitmaschine“ gebaut werden, in dem die verschiedenen Partner ihre Ideen realisieren können. Das Stadtmuseum ist der zentrale Ort, der die unterschiedlichen Aktionen zusammenführt und durch ergänzende Informationen unterstützt.