Auf Einladung der ÖDP-Bundesvorsitzenden Gabriela Schimmer-Göresz mahnte der Finanzmarkt-Experte Günter Grzega im Konferenzraum der Stadthalle eine Neuordnung des Finanzsystems an und kritisierte die Politik der Bundesregierung. Foto: Sonnleitner
Memmingen (as). Um (Verteilungs-)Gerechtigkeit auf globaler und nationaler Ebene ging es im Vortrag des Finanzmarkt-Experten Günter Grzega, der auf Einladung der ÖDP nach Memmingen gekommen war. Grzega fordert eine radikale Reform des "an Gier und grenzenlosen Eigennutzes" ausgerichteten Finanzmarktes und Regeln für Kreditinstitute . Sein Referat mündet in einem leidenschaftlichen Bekenntnis zu einer am Gemeinwohl orientierten öko-sozialen Marktwirtschaft. Und das mit Dringlichkeit: „Es ist eine Minute vor zwölf!“
„Gemeinwohl-Ökonomie“ – dieser etwas sperrige Begriff steht für eine Gesellschaftsform, die ökologische und soziale Belange in den Mittelpunkt allen Handelns (und Handels) stellt. Ziel ist eine fairere Verteilung von Einkommen und Vermögen, mehr Wohlstand für alle also, anstatt fortschreitender Profitmaximierung der Mächtigen und Wohlhabenden. (Hierzu führte der Referent Zahlen an: Demnach besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen als die übrigen 99 Prozent. Auch in Deutschland geht die Schere immer weiter auseinander: Ein Prozent der Privathaushalte besitzt 36 Prozent des Vermögens, während die Hälfte der Bürger Deutschlands zwischen null und ein Prozent besitzt oder Schulden hat.)
Diese Umverteilung erfordert ein radikales Umdenken weg vom „menschenverachtenden Raubtier-Kapitalismus“ des derzeit herrschenden Neoliberalismus (der alle Bereiche unserer Existenz umfasse und den „homo politicus“ durch den homo economicus“ ersetzt habe) hin zu einem gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaften. (Infos zur Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es unter www.ecogood.org.)
Absage an die marktkonforme Demokratie
„Der Neoliberalismus mit seinem Anspruch auf letztlich Ablösung des souveränen Staates durch eine sogenannte marktkonforme Demokratie (für die die Kanzlerin stehe) ist derzeit die größte Gefahr für alle Gesellschaften“, warnt Grzega, der Volksbegehren und Volksentscheide nach Schweizer Vorbild fordert.
Leider sei die Mehrheit der Entscheider in Politik und
Wirtschaft nicht bereit, das neoliberale Dogma kritisch zu hinterfragen, dessen
Auswirkungen nicht nur die EU-Krisenländer in eine Zerreißprobe geführt hätten, „sondern
auch Deutschland mittelfristig an den Rand einer Rezession führen wird, auch
wenn dies die Mehrheit aufgrund der ‚Export-Weltmeisterschaft‘ aktuell noch
nicht realisiert hat“, warnt der Referent.
"Deutschland ist das First Class-Deck der Titanic"
Grzega vergleicht Deutschland mit dem First Class-Deck der Titanic: “Diese wurde ja für unsinkbar erklärt“. Als zerstörerischen Eisberg sieht er das Scheitern des Euro und den EU-Austritt weiterer, von Deutschland „niederkonkurrierten“, Nachbarn voraus. „Der Turbokapitalismus zerstört inzwischen massiv unsere europäische Idee von Frieden und Wohlstand.“
Als Ursachen der Systemkrise nennt er die Deregulierung globaler Finanztransaktionen durch eine fast unbegrenzte Zulassung von Schattenbanken außerhalb jeder Finanzaufsicht und staatlicher Kontrolle.
Harte Kritik übt er am Sozialabbau der GroKo, die sich zum Handlanger dieses Neoliberalismus gemacht habe. In Wut versetze ihn die Aufstockung der Militärausgaben, mit der die deutsche Regierung der Forderung Trumps nachkommen will - während der UN 4,4 Milliarden Soforthilfe für 20 Millionen vom Hungertod bedrohter Menschen in Afrika fehlen.
Was Deutschland betrifft, warnt er vor Altersarmut durch den eklatanten Abbau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente. Er erwähnt auch den jüngsten Steuerskandal, die sogenannten Cum Ex-Geschäfte, bei denen Finanzminister Wolfgang Schäuble es Banken erlaubte, durch getürkte Erstattungen von Kapitalertragssteuern den Fiskus um 12 Milliarden Euro zu prellen.
Regulierung des „Finanz-Casinos“
Doch Grzega begnügt sich nicht damit, die aktuelle Lage zu beschreiben, er gibt auch Denkanstöße für ein gerechteres und nachhaltigeres Wirtschaften.
Seine Vorschläge für eine
Regulierung des derzeitigen „Finanz-Casinos“ umfassen unter anderem eine
umfassende Transaktionssteuer, einen Finanz-TÜV für die Zulassung neuer
Finanzprodukte und ein Verbot kreditfinanzierter Finanzmarktgeschäfte. Außerdem
fordert er eine Rückkehr zum Trennbank-System und die absolute Trennung der
Banken und Sparkassen von Finanzmarktunternehmen.
"Geld ist ein öffentliches Gut"
Ein wichtiger Aspekt dabei ist mehr staatliche Kontrolle: „Ohne staatliches Gewaltmonopol dient die Privatisierung der Welt allein den Starken“. Geld sei ein öffentliches Gut das der souveräne, demokratisch verankerte Staat zum Vorteil aller Bürger und Bürgerinnen durch Regularien schützen müsse. "Wenn dies ausbleibt, ist der nächste große weltweite Finanzcrash unausweichlich."
Die enorme weltweite Liquidität müsse
der Realwirtschaft zugutekommen, anstatt in Spekulationen zu fließen. In diesem
Zusammenhang kritisiert der Finanzexperte die Sparpolitik Schäubles. “Wenn kein
Wirtschaftswachstum in der Realwirtschaft erzeugt werden kann, ergibt sich aus
dem zusätzlichen Zentralbankgeld automatisch eine immer größer werdende
Spekulationsblase in der Finanzwirtschaft.“ Auch dazu gibt es eine Zahl: Das
Welt-BIP der Realwirtschaft betrage rund 70 Billionen Dollar, während der Wert
der Derivate des Finanzcasinos aktuell auf das Zehnfache geschätzt wird.
Lösung der Verteilungsfrage statt "weiter so!"
Aber die Regulierung reicht noch nicht aus: „Wer glaubt, dass die Zähmung des Finanzwesens ohne Lösung der Verteilungsfrage, also ohne eine faire Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung und aller Länder dieser Erde an der Natur-Dividende und den wirtschaftlichen Ergebnissen ein ‚weiter so‘ ermöglicht, wird bitter erwachen“, prognostiziert der Bank- und Verwaltungsbetriebswirt.
Im Anschluss an den Vortrag entspann sich eine lebhafte und kontroverse Diskussion, in der auch Verunsicherung angesichts der bevorstehenden Wahlen zur Sprache kam.
Info: Dipl. Bankbetriebwirt und Dipl. Verwaltungsbetriebswirt, Günter Grzega ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der genossenschaftlich organisierten Sparda-Bank
München eG und Gemeinwohl-Botschafter.