
Memmingen (as). Etwa 80 interessierte Bürger folgten der Einladung des SPD-Ortsvereins Memmingen zu einem Informationsabend „TTIP - Bedrohung oder Chance?“ mit der Europaabgeordneten Evelyne Gebhardt in den Engelkeller. Das geplante Handelsabkommen TTIP bezeichnete Gebhardt als "ganz schwieriges Thema, dass wir Abgeordneten nicht auf die leichte Schulter nehmen“.
Zum Auftakt der Veranstaltung wies Oberbürgermeister Doktor Ivo Holzinger auf die Resolution des Deutschen Städtetages hin, in deren Rahmen auch der Memminger Stadtrat "ganz klar Kante gezeigt" habe, was den Aspekt der städtischen Daseinsvorsorge im Handels- und Investitionsabkommen TTIP betrifft. Der Memminger Stadtrat habe klar entschieden, dass dieser Bereich nicht privatisiert werden dürfe. „Es ist wichtig, den Standard in diesem Bereich zu halten“ so Holzinger.
Auch Evelyne Gebhardt, Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des europäischen Parlaments (EP) , sprach sich dafür aus, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge nicht in den Liberalisierungssog geraten dürfen. Internationale Abkommen wie TTIP seien ja per se nichts Schlechtes, so Gebhardt, und gerade für den exportorientierten Süden der Bundesrepublik von Vorteil. Darüber hinaus gäbe es durchaus Bereiche, in denen durch TTIP Positives erreicht werden könne. Als Beispiele nannte Gebhardt neben dem schnelleren Zulassungsverfahren für Medizinprodukte den Finanzdienstbereich. Hier böten die strengeren Regeln in den USA einen besseren Schutz für die Bürger.
"SPD vertritt Interessen der Bürger"
Doch in punkto Verbraucherschutz, Datenschutz, Umwelt- und Klimaschutz dürfe es keine Kompromisse geben, das habe der Handelsausschuss am 28. Mai beschlossen. Das Abkommen dürfe nicht als Türöffner für den Import gentechnisch veränderter Lebensmittel dienen. „80 Prozent der Bürger wollen keine Gentechnik und die SPD vertritt die Interessen der Bürger“, betonte Gebhardt. Das Vorsorgeprinzip habe sich in der EU bewährt. Demnach dürfen Lebensmittel erst auf den Markt, wenn erwiesen ist, dass sie nicht gesundheitsschädlich sind.
Auf wirtschaftlicher Ebene kritisierte Gebhardt das Ungleichgewicht zwischen der Europäischen Union und den USA. Zwar stehe den USA der europäische Markt offen, umgekehrt gebe es nach wie vor zu viele Beschränkungen, die im Zuge einer Handelspartnerschaft beseitigt werden müssten.
„Staaten und Kommunen sind keine Unternehmen"
Vehement sprach sie sich gegen den Investitionsschutz aus und damit gegen ein Primat der Wirtschaft vor der Politik: „Staaten und Kommunen sind keine Unternehmen. Wir wollen nicht, dass jedes Unternehmen gegen jeden Staat hinter verschlossenen Türen klagen kann“, so Gebhardt. Die politische Entscheidungsfreiheit müsse gewährleistet bleiben. In diesem Zusammenhang kritisierte Gebhardt die Einrichtung von Expertengremien durch die Europäische Kommission.
Anstelle der umstrittenen Schiedsstellen sprach sich die Europaabgeordente für die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes aus. Doch sei es nicht einfach für die Sozialdemokraten, diesen Standpunkte im Parlament durchzusetzen, da den Konservativen, die im Parlament die Mehrheit stellen, ISDS ("Investor/State dispute settlement" - dt.: Investor-Staat-Streitbeilegung) lieber sei. Allerdings wies sie darauf hin, dass noch keine fertigen Texte vorlägen, zu denen man konkret Stellung beziehen könne.
Dennoch gilt die Resolution des EP zu TTIP, die voraussichtlich am 10. Juni verabschiedet wird, als erstes wichtiges Meinungsbild. Mittlerweile geht man davon aus, dass sich die Verhandlungen zu TTIP aufgrund der Unstimmigkeiten zwischen den Handelspartnern USA und EU in die Länge ziehen werden. "In dieser Legislaturperiode wird TTIP wohl nicht mehr verabschiedet", prognostizierte Gebhardt.
Langer Rede Widersinn
Gemeinsam mit den Grünen und den Linken seien es die Sozialdemokraten, die im Parlament kritisch die Stimme erheben und die Interessen der Bürger wahrnehmen, machte Evelyne Gebhardt in ihrem Referat deutlich: "Konservative und Liberale sind es, die die Schweinerein in das Abkommen herein schreiben." Doch bei der Abstimmung im Handelsausschuss des Europäischen Parlaments am 28. Mai stimmte die SPD - entgegen aller Versprechen im Vorfeld - gemeinsam mit Konservativen und Liberalen für ein reformiertes ISDS im geplanten TTIP-Abkommen, also für das Konzernklagerecht. Kritiker auf breiter Front werten die Reformen als reine Kosmetik. Milliardenklagen von Konzernen gegen Staaten würden dadurch nicht verhindert.