Gute Aussichten für 2019 - Oberbürgermeister Manfred Schilder überreicht der stellvertretenden DGB-Bundesvorsitzenden Elke Hannack einen Memmingen-Kalender. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Sowohl kritische als auch versöhnliche Worte waren im Hinblick auf die aktuelle Politik der GroKo auf dem Neujahrsempfang des DGB-Kreisverbands Allgäu im Memminger Rathaus zu hören. Hauptrednerin war die stellvertretende DGB Bundesvorsitzende Elke Hannack, der besonders das Thema Europa am Herzen lag.
In seiner Eröffnungsansprache wiederholte der DGB-Kreisvorsitzende Allgäu Ludwin Debong seine Kritik an der Arbeitsmarktstatistik, die nichts über die Qualität des Arbeitsmarktes in unserer Region aussage. „Die Statistik sagt nur die halbe Wahrheit“, so Debong. Er fordert eine qualitative Arbeitsmarktberichterstattung, die auch Niedriglöhne, prekäre Beschäftigungen und Leiharbeit erfasse. „Es geht hier in erster Linie um Menschen und nicht um gute Zahlen“, betonte Debong.
Dringenden Handlungsbedarf sieht er angesichts drohender Altersarmut in Schwaben und im Allgäu bei der gesetzlichen Rente: Die Durchschnittsrente in Schwaben liege derzeit bei 1.035 Euro für Männer und 659 Euro für Frauen.
“Die GroKo hat gearbeitet“
Nicht ganz unzufrieden mit der Politik der GroKo im turbulenten Jahr 2018 zeigte sich die Hauptrednerin Elke Hannack. Leider sei öffentlich kaum über die Sacharbeit kaum gesprochen worden, weil diese vom ständigen Streit in der Koalition überdeckt worden sei. “Das war nicht nur unnötig und mehr als ärgerlich, sondern hat auch jede Menge Vertrauen in die Politik gekostet“, bemängelt Hannack. Dennoch: “Die GroKo hat gearbeitet.“
2019 bringe einige Verbesserungen für Arbeitnehmer, auch wenn der DGB sich mehr gewünscht hätte. So sei die Brückenteilzeit ein wichtiger Schritt hin zu einer modernen Arbeitsmarktpolitik. Das Rentenpaket stabilisiere die Rente. Allerdings kritisierte sie, dass die Mütterrente aus den Beiträgen der Beschäftigten gezahlt werde.
Mit der Rückkehr zur Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung sei endlich eine Gewerkschaftsforderung erfüllt worden.
Neben anderen Verbesserungen nannte sie auch das „leider nicht ausreichende“ Pflegepersonalstärkungsgesetz und den Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns.
Ausblick auf 2019
Auf der Agenda des DGB für 2019 stünden neben der Mitarbeit in Renten- und Kohlekommission auch zwei bildungspolitische Schwergewichte: Die Abschaffung des "leidigen Kooperationsverbots", mit dem die Länder derzeit den "Digitalpakt Schule" blockierten.
In diesem Jahr werde es auch darum gehen, die neuen gesetzlichen Regelungen zur Mindestausbildungsvergütung nachzubessern. Wenn die Mindestvergütung für Azubis wie vorgesehen an das Schüler-BAföG gekoppelt wird, würde ein Azubi im ersten Lehrjahr nur knapp 400 Euro netto erhalten. “Da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen!“, so Hannack kämpferisch.
Sorge um Europa
„2019 könnte ein Jahr der Demokratie des Friedens und der Freiheit werden“: Hannack erinnerte in diesem Zusammenhang an einige anstehende Jahrestage wie 70 Jahre Grundgesetz, 100 Jahre Frauenwahlrecht und das 30. Jubiläum des Mauerfalls.
Mit Sorge blickt sie angesichts eines uneinigen Europas auf den ersten Prüfstein: die Europawahlen. Nach rund 70 Jahren hätten die gemeinsamen Werte an Bindekraft verloren. Großbritannien versinke im Chaos und steuere auf einen harten Brexit zu, während die Populisten, die vor zwei Jahren für den Brexit getrommelt haben, das Kabinett längst verlassen und ein tief gespaltenes Land hinterlassen hätten - mit "unfassbar hohen Risiken für Wirtschaft, Politik und auch für Arbeitnehmer/innen".
In Staaten wie Polen, Ungarn Italien und Österreich stehe der Rechtsstaat unter Druck. “Demokratie, Arbeitnehmerrechte und Meinungsfreiheit werden immer stärker von den eigenen Regierungen angegriffen“, so die stellvertretende DGB-Vorsitzende. „In ganz Europa sind Rechtspopulisten und europafeindliche Parteien auf dem Vormarsch.“
Angesichts dieser düsteren Szenarien werde der DGB in den nächsten Monaten mit der Kampagne „Europa jetzt aber richtig!“ viel Energie und Arbeit in die Europawahlen investieren, kündigte Hannack an. Denn diese Wahl entscheide über die politische Laufrichtung Europas, ist sie überzeugt. Der DGB kämpfe für ein Europa mit mehr Demokratie und mehr Rechten für das Parlament, für sozialen Fortschritt und gegen das Lohndumping, kündigte die Referentin an.
Der Kaufbeurer DGB-Ortskartellvorsitzende Paul Meichelböck umrahmte den Neujahrsempfang mit sozialkritischen Liedern.
Angst vor Veränderungen
Mit Unbehagen blickt Elke Hannack in diesem Zusammenhang auch auf die drei Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern: „Ich bin überzeugt, dass die AfD sogar zweistellig in die Länderparlamente einziehen wird“, befürchtet sie. Viele Menschen in Ostdeutschland fühlten sich 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch als "Bürger zweiter Klasse" und hätten Angst vor Veränderungen durch Digitalisierung, Globalisierung und Migration.
Hier biete sich Populisten wie der AfD der perfekte Nährboden, um „Leuten mit ihren platten Parolen Honig um den Bart zu schmieren.“ Darum werde der DGB heuer auf seiner Mai-Kundgebung in Leipzig ein „klares Signal für und mit Ostdeutschland“ setzen.
„Jahr der Extreme“
Gastgeber Manfred Schilder sprach von einem Jahr wie sein Sommer: "schön und bedrohlich zugleich". Global sei 2018 ein „Jahr der Extreme“ gewesen, in dem viele Gewissheiten verloren gegangen seien, bedauerte der Rathauschef.
In Memmingen blicke man auf ein intensives und arbeitsreiches Jahr zurück. Schilder referierte große städtische Projekte wie die Sanierung der Stadtmauer und die Neugestaltung des Bahnhofsareals, die man gemeinsam auf den richtigen Weg gebracht habe.
„Es freut mich sehr, dass wir eine offene Stadt sind, die den Austausch mit Europa und der Welt pflegt“, betonte Schilder das friedliche Miteinander von Religionen und Kulturen in Memmingen. Die Stadt Memmingen wachse und verändere sich. Wichtige anstehende Themen seien die Bekämpfung des Mangels an preisgünstigen Wohnungen und die Lösung der immer angespannter werdenden Verkehrslage.
Schilder schloss seine Ansprache mit einem Hinweis auf den Integrierten Stadtentwicklungsprozess ISEK, der auf umfassende Bürgerbeteiligung setze, ebenso wie die abgeschlossenen Projekte "Soziale Stadt West" und das 2017 gestartete "Soziale Stadt Ost". - “Wer heute an der Zukunft der Stadt arbeitet, ist gut beraten, die Bürgerinnen und Bürger nach ihren Vorstellungen zu fragen“, so das Stadtoberhaupt abschließend.