
Memmingen (as). „EU-Wozu?“ - Welche Bedeutung die Europäische Union für den Alltag der Bürgerinnen und Bürger hat, erläuterte Dr. Caroline Rüger, Politikwissenschaftlerin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, auf Einladung der Europabüros Memmingen vor 546 Schülern und Auszubildenden im Kaminwerk.

„Ich finde das mit den Glühbirnen nicht gut, also bin ich gegen die EU“, karikiert die Referentin den Prozess der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit. Auch durch die Medien werde oft ein schiefes Bild der Europäischen Union vermittelt.
Anhand des ganz normalen Alltags einer schwäbischen Familie zeigte die Referentin im Rahmen einer „Spurensuche“ sehr anschaulich auf, dass jeder Bürger tagtäglich Berührungspunkte mit der EU hat bzw. von den Entscheidungen des Europäischen Parlaments profitiere. Dabei ging sie auf die Vorurteile ein, das „Raumschiff Brüssel“ sei weit weg, teuer, kompliziert, undemokratisch und bürokratisch.
"Gemeinsam sind wir stärker"
„Wir brauchen Europa immer dann, wenn wir gemeinsam stärker sind“, erklärte Rüger. Europa garantiere Frieden und Stabilität innerhalb der EU-Grenzen und außerhalb Europas, wofür die Europäische Union 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden sei, erinnerte Dr. Rüger. Europa habe zu unserem Wohlstand maßgeblich beigetragen und unseren Lebensstandard erhöht. Die Europäische Union sei die größte Handelsmacht der Welt - wenn auch nicht die beste, räumte Rüger ein angesichts der Meldungen, dass Geflügelfleischrest-Exporte den afrikanischen Markt ruinieren. In diesem Zusammenhang wies sie darauf hin, dass die EU 60 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe leiste.
Die Politikwissenschaftlerin hob die Vorteile der zahlreichen EU-Verordnungen und Richtlinien für den einzelnen Bürger hervor in wichtigen Bereichen wie Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Klimaschutz sowie die verbesserte Mobilität. Zielgruppengerecht erwähnte sie auch Verbesserungen im Konsumbereich wie günstigere Elektroartikel mit verlängerten Garantiezeiten und bessere Handytarife sowie die Förderung von Auslandsaufenthalten während Studium und Ausbildung.
Anhand bunter Grafiken lichtete die Referentin den "Institutionendschungel", indem sie mit einfachen Worten Aufbau und Funktion von Europarat, Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Ministerrat erläuterte. Die vor allem in Mittel- und Osteuropa niedrige Wahlbeteiligung an den Europawahlen 2014 sei keineswegs ein Indiz für die Bedeutungslosigkeit der Europäischen Union, betonte Rüger.
Deutschland auf dem Weg zu Europas Rentnerrepublik
“Deutschland braucht die EU um auch in Zukunft mitgestalten zu können“, so das Fazit des Vortrags - vor allem aufgrund der demographischen Entwicklung. Deutschland, von China zudem als Exportweltmeister bereits 2009 überholt, wird im Jahr 2030 den höchsten Rentneranteil in der Europäischen Union haben. Als einzelner Staat würde es neben den aufstrebenden "Next Eleven" weltpolitisch in der Bedeutungslosigkeit versinken. Neben Japan sei Europa das Altersheim der Welt. "Wenn wir als Europäer nicht zusammenhalten, haben wir global keine Chance mehr", so Rüger.
Fragen zu aktuellen Themen

Im Anschluss beantwortete die Referentin Fragen der jugendlichen Zuhörer zu aktuellen Themen. „Warum lässt die EU Griechenland und Italien so alleine?“, wollte ein Schüler in Hinblick auf die Flüchtlingsproblematik und das jüngste Unglück im Mittelmeer wissen. Hier seien die einzelnen Staaten verantwortlich, nicht die EU, korrigierte Rüger die öffentliche Darstellung. Die Minister der Mitgliedstaaten, auch Deutschlands, hätten entschieden, die italienische Mission „Mare Nostrum“ nicht weiter mitzufinanzieren.
Auf die Frage, warum Deutschland die griechischen Schulden abbezahle, erläuterte Rüger, Deutschland profitiere von den Krediten und mache hier ein „gutes Geschäft“.
Die Vision von Europa als Zentralstaat mit einer europäischen Armee teilt Rüger nicht: „Das wird nicht so bald passieren“, auch wenn es finanziell sinnvoll wäre. „Die Stimmung ist nicht danach“. Momentan herrsche eher der gegenteilige Trend.
Die letzte Frage bezog sich auf das Freihandelsabkommen TTIP. Auf den Verbraucherschutz werde das Abkommen nur geringe Auswirkungen haben, meinte Rüger. Die Prognosen bezüglich Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt nannte sie unseriös. Doch: „Wenn Europa und USA nicht zusammenarbeiten, wer dann?“. Die Referentin erinnerte daran, dass es auch ein transpazifisches Abkommen der USA gäbe “mit Staaten, die unsere Vorstellungen einer industrialisierten Welt nicht vertreten“. Verglichen damit, sei TTIP noch das kleinere Übel: “Warten wir ab, was dabei herauskommt.“