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Ein starkes Stück: "Verbrennungen" geht unter die Haut

veröffentlicht am 23.04.2017
Premiere  „Verbrennungen“

Nawals Gefährtin Sawda (Regina Vogel) bedroht die beiden Milizen (Christian Bojidar Müller und Rudy Orlovius), die sie und Nawal (Claudia Frost, am Boden liegend) töten wollen, weil sie "schreiben können und den Leuten Flausen in den Kopf setzen". Fotos: Karl Forster/Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Mit „Verbrennungen“ schrieb der im Libanon geborene frankokanadische Autor Wajdi Mouawad ein starkes Stück Theater - eindringlich, erschütternd und tief bewegend. Ein modernes Kriegsstück mit der emotionalen Wucht und den schicksalhaften Verstrickungen einer antiken Tragödie - von Intendantin Kathrin Mädler ebenso raffiniert wie effektvoll inszeniert und von einem starken und perfekt interagierenden Schauspielerteam kongenial umgesetzt.   

Premiere  „Verbrennungen“

Simon (Jan Arne Looss) verfolgt widerwillig die Spur seiner Mutter Nawal, damals bekannt als "die Frau die singt". Im Hintergrund als junge Frau: Claudia Frost.

Zwei Briefe, eine graue Sträflingsjacke und ein Notizbuch – das sind die einzigen Hinterlassenschaften der Libanesin Nawal (eindringlich gespielt von Claudia Frost) an ihre beiden im Exil aufgewachsenen Kinder: die 22-jährigen Zwillinge Jeanne (lebensfern und intellektuell: Miriam Haltmeier) und Simon ( Jan Arne Looss als hilf- und haltloser Wüterich).

In den letzten fünf Jahren ihres Lebens hat Nawal kein Wort mehr gesprochen, traumatisiert durch persönliche Erkenntnisse, die sie während eines Kriegsverbrecherprozesses gewann. Ihr letzter Wille ist ein Auftrag: Die beiden Briefe sind dem von ihren Kindern tot geglaubten Vater und einem angeblich existierenden Bruder zu überbringen.

Widerwillig machen sich die Zwillinge auf eine weite Reise, die sie nicht nur in den Nahen Osten führt, sondern auch zurück zu den Wurzeln ihrer Existenz in den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs von Mitte der Siebziger bis 1990. Sie erfahren von unvorstellbaren Gräueltaten und enthüllen auf ihrer, zunächst unfreiwilligen, Suche nach Erkenntnis ein schreckliches Familiengeheimnis... (Mehr soll hier nicht verraten werden.)

Premiere  „Verbrennungen“

Der Priester (André Stuchlik) erzählt Jeanne (Miriam Haltmeier, rechts) eine "Legende", die ihr hilft, die Rätsel der Vergangenheit zu entschlüsseln. Im Hintergrund (Mitte) die junge Nawal (Claudia Frost) mit ihrem Liebsten (Christian Bojidar Müller). Die Clownsnase, hier Symbol für Liebe und Lachen, pervertiert später zur hässlichen Fratze sadistischen Spottes.

„Um die Liebe zu bewahren“

Auf deutschen Bühnen häufig inszeniert - meist mit pessimistischem Impetus - verleiht Dr. Mädler ihrer Inszenierung ein hoffnungsvolles Ende, in welchem der Zuschauer den Anfang von etwas Neuem erahnt: Das Wissen um die eigene Herkunft und die Erkenntnis der  menschliche Größe der Mutter - die sich aus dem Teufelskreis von Hass und Vergeltung löste und zuletzt schwieg, „um die Liebe zu bewahren“ - befreit die Zwillinge aus ihren selbst gebauten Gefängnissen kausaler Logik (die Mathematikerin Jeanne) bzw. kämpferischer Aggression (Amateurboxer Simon).

„Wissen macht frei“ ist die aufklärerische Botschaft des Stückes und der Inszenierung. (Eine zentrale Szene ist die Aufforderung ihrer Großmutter an Nawal, Lesen und Schreiben zu erlernen um sich aus der traditionellen Unmündigkeit und Ohnmacht der Frauen in ihrer Heimat zu lösen.)

Traurige Aktualität

Dass der Autor das Geschehen nicht klar verortet legt nahe, es auf die bis in die Gegenwart andauernden aktuellen Bürgerkriege zu übertragen. "Verbrennungen" könnte in Syrien spielen, in Lybien, Afghanistan oder in Somalia. Eine scheinbar undurchdringliche Spirale von Hass und Gewalt, konkretisiert anhand einer persönlichen Lebens- und Leidensgeschichte - sie lässt das in den täglichen Nachrichten irgendwie fern bleibende Grauen des Krieges unter die Haut gehen.

Das Stück mit seinen verschachtelten Raum- und Zeitebenen auf die Bühne zu bringen (die Zwillinge begegnen ihrer Mutter als junge Frau) ist eine Herausforderung,  die durch das  Bühnenbild von Franz Albert, eine transparente Fotowand, und den Einsatz von Video-Technik hervorragend gelöst wird.

Am Ende eines langen (knapp drei Stunden), aber überaus kurzweiligen Theaterabends entlohnt reichlich verdienter, anhaltender Beifall ein großartiges Team.

Unser Vorschaubild: 500 Stunden Schweigen, Jeanne (Miriam Haltmeier) versucht anhand der von deren Krankenpfleger aufgenommenen Kassetten, das Schweigen ihrer Mutter Nawal zu durchdringen. Im Hintergrund sind Claudia Frost als politische Aktivistin Nawal und ihre Gefährtin  Sawda (Regina Vogel) zu sehen.

Weitere Aufführungen u.a. am 3. und 4. Mai, jeweils 20 Uhr, am 7. Mai, 19 Uhr, und am 16. Mai, 20 Uhr. Karten gibt es an der Theaterkasse, Telefon 08331 / 94 59 16, oder unter www.vorverkauf@landestheater-schwaben.de