Nawals Gefährtin Sawda (Regina Vogel) bedroht die beiden Milizen (Christian Bojidar Müller und Rudy Orlovius), die sie und Nawal (Claudia Frost, am Boden liegend) töten wollen, weil sie "schreiben können und den Leuten Flausen in den Kopf setzen". Fotos: Karl Forster/Landestheater Schwaben
Memmingen (as). Mit „Verbrennungen“ schrieb
der im Libanon geborene frankokanadische Autor Wajdi Mouawad ein starkes Stück
Theater - eindringlich,
erschütternd und tief bewegend. Ein modernes Kriegsstück mit der emotionalen Wucht und
den schicksalhaften Verstrickungen einer antiken Tragödie - von Intendantin Kathrin
Mädler ebenso raffiniert wie effektvoll inszeniert und von einem starken und perfekt
interagierenden Schauspielerteam kongenial umgesetzt.
Simon (Jan Arne Looss) verfolgt widerwillig die Spur seiner Mutter Nawal, damals bekannt als "die Frau die singt". Im Hintergrund als junge Frau: Claudia Frost.
Zwei Briefe, eine
graue Sträflingsjacke und ein Notizbuch – das sind die einzigen Hinterlassenschaften
der Libanesin Nawal (eindringlich gespielt von Claudia Frost) an ihre beiden im
Exil aufgewachsenen Kinder: die 22-jährigen Zwillinge Jeanne (lebensfern und intellektuell:
Miriam Haltmeier) und Simon ( Jan Arne Looss als hilf- und
haltloser Wüterich).
In den letzten fünf Jahren ihres Lebens hat Nawal kein Wort mehr gesprochen, traumatisiert durch persönliche Erkenntnisse, die sie während eines Kriegsverbrecherprozesses gewann. Ihr letzter Wille ist ein Auftrag: Die beiden Briefe sind dem von ihren Kindern tot geglaubten Vater und einem angeblich existierenden Bruder zu überbringen.
Widerwillig machen sich die Zwillinge auf eine weite Reise, die sie nicht nur in den Nahen Osten führt, sondern auch zurück zu den Wurzeln ihrer Existenz in den Wirren des libanesischen Bürgerkriegs von Mitte der Siebziger bis 1990. Sie erfahren von unvorstellbaren Gräueltaten und enthüllen auf ihrer, zunächst unfreiwilligen, Suche nach Erkenntnis ein schreckliches Familiengeheimnis... (Mehr soll hier nicht verraten werden.)
Der Priester (André Stuchlik) erzählt Jeanne (Miriam
Haltmeier, rechts) eine "Legende", die ihr hilft, die Rätsel der Vergangenheit zu entschlüsseln. Im Hintergrund (Mitte) die junge Nawal (Claudia Frost) mit ihrem Liebsten (Christian Bojidar Müller). Die Clownsnase, hier Symbol für Liebe und Lachen, pervertiert später zur hässlichen Fratze sadistischen Spottes.
„Um die Liebe zu bewahren“
Auf deutschen Bühnen häufig inszeniert - meist mit pessimistischem Impetus - verleiht Dr. Mädler ihrer Inszenierung ein hoffnungsvolles Ende, in welchem der Zuschauer den Anfang von etwas Neuem erahnt: Das Wissen um die eigene Herkunft und die Erkenntnis der menschliche Größe der Mutter - die sich aus dem Teufelskreis von Hass und Vergeltung löste und zuletzt schwieg, „um die Liebe zu bewahren“ - befreit die Zwillinge aus ihren selbst gebauten Gefängnissen kausaler Logik (die Mathematikerin Jeanne) bzw. kämpferischer Aggression (Amateurboxer Simon).
„Wissen macht frei“ ist die aufklärerische Botschaft
des Stückes und der Inszenierung. (Eine zentrale Szene ist die Aufforderung
ihrer Großmutter an Nawal, Lesen und Schreiben zu erlernen um sich aus der
traditionellen Unmündigkeit und Ohnmacht der Frauen in ihrer Heimat zu lösen.)
Traurige Aktualität
Dass der Autor das Geschehen nicht
klar verortet legt nahe, es auf die bis in die Gegenwart andauernden
aktuellen Bürgerkriege zu übertragen. "Verbrennungen" könnte in Syrien
spielen, in Lybien,
Afghanistan oder in Somalia. Eine scheinbar undurchdringliche Spirale
von Hass und Gewalt, konkretisiert anhand einer persönlichen
Lebens- und Leidensgeschichte - sie lässt das in den täglichen
Nachrichten irgendwie fern bleibende Grauen des Krieges unter die Haut
gehen.
Das Stück mit seinen verschachtelten Raum- und Zeitebenen auf die Bühne zu bringen (die Zwillinge begegnen ihrer Mutter als junge Frau) ist eine Herausforderung, die durch das Bühnenbild von Franz Albert, eine transparente Fotowand, und den Einsatz von Video-Technik hervorragend gelöst wird.
Am Ende eines langen
(knapp drei Stunden), aber überaus kurzweiligen Theaterabends entlohnt reichlich
verdienter, anhaltender Beifall ein großartiges Team.
Unser Vorschaubild: 500 Stunden Schweigen, Jeanne (Miriam Haltmeier) versucht anhand der von deren Krankenpfleger aufgenommenen Kassetten, das Schweigen ihrer Mutter Nawal zu durchdringen. Im Hintergrund sind Claudia Frost als politische Aktivistin Nawal und ihre Gefährtin Sawda (Regina Vogel) zu sehen.
Weitere Aufführungen u.a. am 3. und 4. Mai, jeweils 20 Uhr, am 7. Mai, 19 Uhr, und am 16. Mai, 20 Uhr. Karten gibt es an der Theaterkasse, Telefon 08331 / 94 59 16, oder unter www.vorverkauf@landestheater-schwaben.de