Auf dem Szenenfoto vorne:
David Lau, Elisabeth Hütter; hinten: Tobias Loth, Jan Arne Looss, André
Stuchlik, Jens Schnarre. Fotos: Forster/Landestheater Schwaben
Memmingen (ch). Hausmachtpolitik, hastige Koalitionswechsel und Besitzgeschacher, bei welchen meist die als Gewinner hervorgehen, die in den Grauzonen des Rechtes agieren. Misstrauen hat Konjunktur, Andersartigkeit wird als Bedrohung dargestellt, Minderheiten zum Sündenbock gemacht und Freiheit ist ein Gut, für das man kämpfen muss – Vergangenheit? Oder Gegenwart?
Seltsam heutig
Die Uraufführung von MARGARETE MAULTASCH am Landestheater Schwaben aus der Feder von Christoph Nußbaumeder über die Tiroler Landesfürstin des 14. Jahrhunderts schwingt seltsam heutig nach in ihrer Sozialkritik und ist doch ein beeindruckendes Portrait einer historischen Figur – ein Markenzeichen des bekannten Dramatikers, der sich auf moderne Volkstheaterstücke konzentriert, die unsere soziale Realität kritisch betrachten.
Seine tief- und feinsinnige Dialoge ließ Intendantin Dr. Kathrin Mädler, modern inszeniert, aber authentisch und ungekürzt, von fast dem kompletten Ensemble auf die Bühne bringen und schuf damit ein Werk, das Vergangenheit und Gegenwart bizarr verschmelzen lässt:
Eingeläutet durch Musik der britischen Pop-/Rock-Band The Cure, vor einer rigoros reduzierten Kulisse, die sich wie eine Raumflucht nach hinten verengt, und auf das Wesentliche stilisierte, in schwarz gehaltene Kostüme, entrollt sich das historische Drama über die Tiroler Landesfürstin authentisch, eindrucksvoll und ebenso gesellschaftskritisch, gewürzt mit einer Prise dunklem Humor.
Zwischen warmem Herz und kalter Macht
Sie selbst, Margarete von Tirol-Görz, genannt Margarete Maultasch - mitreißend und leidenschaftlich dargestellt durch Elisabeth Hütter in der Hauptrolle - ist eine aufgeweckte, lebenshungrige junge Frau, die sich wiederfindet als Gefangene zwischen ihrem warmen Herz voller Neugier und den Ansprüchen von kalter Macht, zwischen menschlichen Sehnsüchten und fragwürdigen Dogmen, zwischen Idealen und Intrigen.
Unterstützt durch einen aufklärerischen jüdischen Berater bahnt sie sich ihren Weg durch männliche Bevormundung, Selbstzweifel und sexistische Klischees und ringt dabei um nichts Geringeres als um Freiheit, Frieden und das Wohlergehen ihres Volkes in einer Zeit, die vor allem von Machtintrigen und Kriegen zwischen den drei um die Vorherrschaft in Europa ringenden Dynastien geprägt war: den Habsburgern, den Wittelsbachern und den Luxemburgern.
Kampf gegen Repressalien, Knechtschaft und Unterdrückung
Linke Reihe (von vorne): Elisabeth Hütter, Tobias Loth, Claudia Frost, Regina Vogel; rechte Reihe: Jens Schnarre, André Stuchlik, David Lau, Jan Arne Looss, Niklas Maienschein.
„Wir Frauen haben unsere eigenen Kriegsschauplätze“ - so einer der Schlüsselsätze von Margarete, nachdem sie selbst Opfer häuslicher Gewalt unter ihrem ersten Mann Johann Heinrich von Luxemburg wurde. Ein kratzendes, beißendes, kohlspuckendes Ekel von einem Mann (dargestellt von Gastschauspieler Niklas Maienschein, der in einer Doppelrolle agierte), den sie obendrein nie wollte.
Als sie sich von Johann Heinrich scheiden ließ, legte sie sich mit der Kirche an und ihr zweiter Mann, Markgraf Ludwig von Brandenburg und Herzog von Oberbayern (Niklas Maienschein), entzog ihr obendrein noch das Vertrauen, weil sie den Vorfall aus Scham verheimlicht hatte.
Bis dann ihre Schmach ans Licht kam und auch noch politisch gegen sie verwendet wurde von genau der Person, die ihr das Unrecht einst antat… Man fühlt sich erinnert an modernen Wahlkampf in den Vereinigten Staaten, und - an Opfer häuslicher Gewalt, die es auch heute und auch in unserem Land noch gibt.
Freiheit – „Der Flug eines Zitronenfalters im Sandsturm“
Allem zum Trotz („Das Eigene beginnt mit einem Nein“ und „Es braucht viel Großmut, um Niedrigkeiten zu ertragen“) führt Margarete ihr Land zu wirtschaftlicher und kultureller Blüte, bis sich die politischen Kräfte erneut gegen sie formieren und die Pest hereinbricht, für welche die jüdische Minderheit verantwortlich gemacht wird und – einmal mehr – als Sündenbock herhalten muss, zugunsten der Stabilität von politischer Macht. „Freiheit ist wie der Flug eines Zitronenfalters im Sandsturm“…
Erschreckend aktuell
Als der Vorhang nach einem mitreißenden, dreistündigen historischen Drama in Gegenwart des Autors Christoph Nußbaumeder fällt, sieht man dem Ensemble - allen voran Hauptdarstellerin Elisabeth Hütter - die Erschöpfung an, doch wurde es belohnt durch einen entschiedenen und lang anhaltenden Applaus der Zuschauer.
Zuschauer, von denen sicher einige mit dem Gedanken nach Hause gingen, wie erschreckend wenig wir uns in unserer sozialen und humanen Realität geändert haben und wie erschreckend wenig dieses Stück seit dem Mittelalter an Aktualität eingebüßt hat.
Wer sich selbst ein Bild machen möchte: Weitere Vorstellungstermine findet man auf www.landestheaterschwaben.de.