Markus Gürne referierte zum Thema „Folgen der Zeitenwende - Europas Rolle in einer sich veränderten Welt“. Foto: Svenja Gropper
Memmingen (sg). Beim diesjährigen Maiempfang der IHK-Regionalversammlung haben sich in der Memminger Niederlassung des Autohauses Seitz rund 300 Gäste versammelt. Als besonderer Gast referierte Markus Gürne, Ressortleiter der ARD-Finanzredaktion und langjähriger Auslandskorrespondent, über die Rolle Europas in einer veränderten Welt und die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft.
In einer Talkrunde mit dem Hausherrn und Geschäftsführer Martin Osterberger-Seitz, dem vor kurzem neu gewählten Präsidenten der IHK Schwaben, Reinhold Braun und der wiedergewählten Vorstandvorsitzenden der IHK-Regionalversammlung Andrea Thoma-Böck wurde zunächst in die Zukunft geblickt, mit besonderem Fokus auf die Europawahlen im Juni. Die drei Unternehmer beurteilen dabei den immer größer werdenden Bürokratieaufwand als den größten Hemmschuh für die Wirtschaft. „Weniger Vorgaben bedeuten, dass weniger Personal für die Abarbeitung von Bürokratiebergen gebraucht wird - und wieder mehr der dringend benötigten Fach- und Arbeitskräfte zur Verfügung stehen“, erklärt Thoma-Böck.
Europas Stärke nutzen
„Trotz aller Frustration gibt es keine Alternative zu Europa. Wir brauchen ein starkes Europa und Europa braucht ein starkes Deutschland“, so die Geschäftsführerin von Thoma Metallveredelung, die sich wieder mehr unternehmerische Freiheit und Vertrauen wünscht. Doch dazu müssen sich die Rahmenbedingungen aus Berlin ändern, fordert Braun. Der Geschäftsführer der Sortimo International GmbH betont zudem die dringende Notwendigkeit stabiler Energiepreise und digitaler Sicherheit. Ein großer, starker und gut vernetzter Markt sei mit Europa direkt vor der Haustür – und diese Stärke müsse man für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit nutzen, so Braun.
Auf Veränderungen reagieren
„Die Welt ist in fundamentaler Veränderung. Das muss uns nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und gesellschaftlich kümmern“, leitete Gürne seinen Vortrag ein. „Wir haben zu spät verstanden, dass die Parameter für den heutigen Wohlstand vorbei sind. Und wir werden viele Dinge verändern müssen“, betont er. „Ich habe als Auslandskorrespondent kein Land gesehen, das Bürokratie bis zum Erbrechen perfektioniert hat“, spricht auch Gürne einen der wichtigsten Punkte an, der Europa und Deutschland am Wachstum hindert. Zugleich sieht er unsere „freie“ Gesellschaft, in der sich zunehmend kleine Grüppchen bilden und sogar Meinungsäußerungen kontrollieren, als Problem. Überhaupt verrennen wir uns in so vielen Dingen im Kleinen, sagt er. Dabei gehe es gerade in Krisenzeiten darum, die wirtschaftliche Kraft und die Sicherheit eines Landes zu stärken.
Über den Tellerrand schauen
„Wir leben im asiatischen Jahrhundert“, stellt Gürne eine unangenehme These in den Raum und zeigt auf einer Weltkarte auf, wie klein Europa und Deutschland im Vergleich zu Asien und Amerika sind. Deutschland sei ein guter Wirtschaftsstandort, aber kein guter Produktionsstandort. Ein Preiskampf gegen Asien sei nicht zu gewinnen.
Die Zukunft müsse eine arbeitsteilige Welt sein, in der auch innerhalb von Europa viel mehr über den Tellerrand geschaut und voneinander gelernt werde, z. B. bei der Maut (Österreich), Tankrabatten (Frankreich) oder dem Renten- und Sozialsystem in einer alternden Gesellschaft (Schweden). Den Druck, der durch Polykrise und Zeitenwende zurzeit herrsche, beurteilt Gürne dabei als durchaus hilfreich – denn bekanntlich funktioniere Veränderung oft erst mit ausreichend Druck.
Schließlich betonte er die Bedeutung von Kommunikation für eine gelingende Neuausrichtung: Politik und Wirtschaft müssen der Gesellschaft erklären, wohin es gehen und was es kosten wird, um die Vision von Europa in einer veränderten Welt im Dreiklang umsetzen zu können. Denn „die Feder (Worte) ist mächtiger als das Schwert“, so der Sprecher von „Wirtschaft vor Acht“ im Ersten.
„Die gute Nachricht des Abends ist: Diese Welt geht auch dieses Mal nicht unter“, schloss Gürne seinen umfassenden, kurzweiligen Vortrag schließlich mit einer guten Portion Optimismus.