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Die stumme Ruferin in der Wüste

Pia Richter inszeniert Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder"

veröffentlicht am 19.02.2020
Mutter Courage

Mutter Courage (Anke Fonferek, 2. v. li.) mit ihren Kindern Kattrin (Franziska Roth) und Schweizerkas (Tobias Loth) und dem Feldprediger (Jens Schnarre, rechts). Fotos: Stefan Loeber / Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Mutter Courage im Blaumann, ein Feldprediger mit rotblinkendem Kopfschmuck, die stumme Kattrin in Greta Thunbergs gelbem Regenmantel: Mit leuchtkräftigen Bildern adaptieren Regisseurin Pia Richter und Bühnenbildnerin Julia Nussbaumer Brechts „Chronik des Dreißigjährigen Krieges“ für die heutige Bühne. Dabei können Sie auf die Spielfreude eines kleinen Ensembles zählen, dem es gelingt, einen ganzen Kosmos von Charakteren kraftvoll aus dem Boden zu stampfen.

„Schweden 1624“ wird aufgemalt auf die Stirnseite einer schräg installierten Luftmatratze, die wie schwarzer Morast den unwegsamen Bühnenboden bildet. Europa ist verwüstet. Der Dreißigjährige Krieg tobt bereits seit sechs Jahren, als wir auf die ausgefuchste Marketenderin Mutter Courage treffen, eine toughe und abgebrühte Kriegsgewinnlerin (Anke Fonferek), die im Schweif des finnischen Regiments mit ihren drei Kindern als Multikulti-Patchworkfamilie durch Schweden zieht. Nur profitieren will sie vom Krieg, keine Opfer bringen.

Mutter Courage

Mutter Courage (Anke Fonferek) im Goldrausch.

Bühnenbild mit Börsenkurve

Der herkömmliche Wagen der Courage wird ersetzt durch ein sperriges Knäuel an Plastikmüll. Eine gezackte Linie zieht sich diagonal über die Bühne. Ein Gewitter? Nein, was hier am Rand immer neuer Schlachtfelder eingeschlagen hat, ist kein greller Blitz, sondern symbolisiert vielmehr die dynamisch aufstrebende Börsenkurve eines Rüstungskonzerns. Das sind die wahren Kriegsgewinnler, will die junge Regisseurin Pia Richter zeigen, nicht etwa eine alleinerziehende Geschäftsfrau, die scheinbar unerschrocken durch die Lande zieht und versucht, „ihren Schnitt“ am 30-jährigen Krieg zu machen. Schon Brechts Parabel macht deutlich, “dass die großen Geschäfte in den Kriegen nicht von den kleinen Leuten gemacht werden“. Sein Lehrstück, 1939 im Exil geschrieben, sollte eine Warnung sein an Regierungen, die mit dem Hitlerregime Geschäfte machen und an den kleinen Mann, der im Krieg etwas zu gewinnen hofft.

„How dare you!“

Erhört wurde sie nicht. Genauso wenig wie die verzweifelten Warnungen der stummen Kattrin gehört werden. „How dare you!“ (wie könnt ihr es wagen) malt die kindlich bezopfte Tochter der Courage auf ein Schild – ein Verweis auf Greta Thunberg als Ruferin in der Wüste. Kattrin, die stumme Mahnerin, wird bei Brecht schließlich zur Märtyrerin, als sie bei dem erfolgreichen Versuch, die schlafende Stadt Halle vor dem Einfall der kaiserlichen Truppen der katholischen Liga zu warnen, erschossen wird. (Etwas platt und unmotiviert dagegen wirkt eine weitere Aktualisierung, bei der Schwedenkönig Gustav Adolf als ekliger, twitternder Typ für ein Trump-„Bashing“ herhalten muss.)

Brechts Antikriegsstück als Warnung tut Not in einer Zeit, in der nationale Egoismen Krisen und Kriege entzünden und Rüstungsexporteure wie Deutschland Rekordsummen verdienen, während nicht enden wollende Kriege im Nahen Osten die Welt in Atem halten.

Ruppige Zärtlichkeit

Mutter Courage

Mutter Courage (Anke Fonferek) dreht dem Koch (André Stuchlik) ein mageres Federvieh an. Im Hintergrund: Der Feldprediger (stehend) mit zwei Soldaten.

Auf den Schlachtfeldern menschlicher Macht- und Profitgier, wo Krieg und Kapitalismus zu Synonymen werden, steht Mutter Courage (gekleidet in einen blauen Arbeitsoverall) ihren Mann - gefangen in der Ambivalenz zwischen mütterlicher Fürsorge und kaltem Pragmatismus („Ich habe keine Seele, ich brauche Brennholz“). Anke Fonferek, einmal mehr in der Rolle der herben und resoluten Powerfrau, lässt hier und da mit ruppiger Zärtlichkeit den weichen Kern die Courage durchblitzen. Sie will ihre Kinder schützten, schaut in den entscheidenden Augenblicken aber weg und versagt.

Im brutalen Kriegsgeschehen mit seinen pervertierten Werten („Not kennt kein Gebot“) erliegen die Kinder letztendlich ihren Tugenden. Der kühne Eilif (David Lau) mutiert zum mordenden und plündernden Kriegshelden, der redliche Schweizerkas (Tobias Loth) scheitert an dem Versuch, die Staatskasse vor dem Feind zu retten und die mitfühlende, anständige Kattrin (Franziska Roth) stirbt, als sie mit warnendem Getrommel vielen Menschen das Leben rettet. Die Courage wiederum bleibt verwirrt und allein zurück, weil sie nicht versteht, dass sie mit dem Teufel paktiert hat.

Bigotter Feldprediger

Die junge Regisseurin Pia Richter die bereits mit provokanten Klassikerinszenierungen von Effi Briest und Kafkas „Verwandlung“ am Landestheater auf sich aufmerksam machte, bleibt den szenischen Bildern der Brechtschen Vorlage treu und behält die bildkräftige Sprache in modernisierter Form bei. So auch die Zitatverdrehungen aus der Lutherbibel, welche die Bigotterie des schmierigen, opportunistischen Feldpredigers (Jens Schnarre) offenbaren, der Nächstenliebe vom Grad der Sättigung abhängig macht.

Der Glaube als Kriegsgrund? Bei Bertolt Brecht und Pia Richter Ein trauriger Witz: Julia Nussbaumer, die ihre Protagonisten gern in Plastik verpackt, hat den Feldprediger mit himmelblauem Tüll und rot blinkendem Kopfputz zur exzentrischen Witzfigur ausstaffiert.

Suggestive Musik

Die sehr suggestive Musik des Münchner Trios (Cico Beck, Maria Moling und Marcus Graßl) prägt das Stück, stellt eine eigene Bedeutungsebene dar und wird damit zur zweiten Bühne, die über dem Geschehen schwebt. Wechselnd zwischen Epik und Lyrik, Chansons wie der „Ballade vom Weib und dem Soldaten“ und kalt schnarrendem Vortrag à la Siri, unterlegt mit eindringlichem, Marschmusik parodierenden und Unheil verkündenden Trommelrhythmen. Dabei interpretiert das Trio die Partitur Paul Dessaus mit zeitgenössischen Instrumenten (Keyboard und Percussion) und fungiert im Sinne des epischen Theaters auch als Erzähler und Kommentator - ohne jedoch den dichten Fluss der Handlung zu unterbrechen.

Lang anhaltender Applaus belohnte nach zwei intensiven Stunden eine eindrucksvolle, spannende und kraftvoll dargebotene Inszenierung.