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Die Opfer werden immer noch vernachlässigt

Ein Gespräch mit Irmgard Mulzer-de Crignis vom Weissen Ring

veröffentlicht am 22.03.2018
Irmgard Mulzer-de Crignis/ Weisser Ring

17 Jahre lang leitete sie den Weissen Ring Memmingen/Unterallgäu: Irmgard Mulzer-de Crignis. Foto: Sonnleitner

Memmingen/Unterallgäu (dl). 17 Jahre lang leitete Irmgard Mulzer-de Crignis die Außenstelle des Opferhilfevereins Weisser Ring. Gemeinsam mit ihren ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen kümmert sie sich nach wie vor um Menschen, die Opfer aller Art von Kriminalität wurden. Vor einigen Wochen übergab Mulzer-de Crignis die Leitung an ihre Nachfolgerin Manuela Ayyildiz. Lokale-Redakteurin Antje Sonnleitner sprach mit der 69-Jährigen, die weiterhin dabei bleiben will.

Frau Mulzer-de Crignis, warum haben Sie den Vorsitz nun abgegeben?

Ich möchte mich mehr meiner Familie widmen, vor allem meinem Enkelkind. Ich stehe aber nach wie vor hundertprozentig zur Arbeit des Weissen Rings. Opfer gewalttätiger Kriminalität zu ihrem Recht zu verhelfen ist eine Aufgabe, die uns alle angeht.

Wie kann man sich die Arbeit des Weissen Rings vorstellen, was tun Sie für die Opfer von Gewaltverbrechen?

Wenn das Opfer sich an uns wendet, sind wir schnellstmöglich vor Ort und schauen, was nötig ist, was derjenige jetzt braucht. Oft helfen bereits Gespräche und das Gefühl, nicht allein zu sein. Manche Menschen brauchen einen Anwalt, Traumatisierte einen Therapeuten. Dank NODO, einem Memminger Verein, den wir vor zwei Jahren gegründet haben, erhalten die Opfer schnellstmöglich nach der Straftat therapeutische Hilfe.

Leisten Sie über die seelische Anteilnahme hinaus auch praktische Hilfestellung?

Natürlich, wir sorgen dafür, dass Menschen, deren Zuhause abgebrannt ist, oder Mütter mit Kindern, die vor häuslicher Gewalt fliehen, erst einmal ein Dach über dem Kopf bekommen und geben kleine Finanzspritzen, damit die Menschen nicht mit leeren Händen dastehen. Gerade die Wohnungssuche ist oft sehr schwer. Hier würden wir uns mehr Unterstützung von der Stadt Memmingen wünschen.

Wie lassen sich die Straftaten gewichten, in welchem Bereich sind Sie am meisten gefordert?

Vergewaltigungen und Missbrauch machen 65 Prozent aus, dazu kommen etwa 20 Prozent häusliche Gewalt. Einbrüche werden nicht so oft gemeldet, was wohl daran liegt, dass die Opfer eher vermögend sind.

Wo nimmt der Verein die Mittel her, wie sieht es mit finanzieller Unterstützung aus?

Leider gehen wir bei Spendenvergaben vor Ort meist leer aus. Die Leute wollen mit dem Thema nichts zu tun haben. Dazu kommt, dass die Opfer nicht öffentlich gemacht werden wollen, wir können also nicht mit Erfolgen für uns werben. Es ist auch nicht mein Stil, aufdringlich die Werbetrommel zu rühren

Ist es dabei ein Problem, dass die Bundesgeschäftsstelle des Weissen Rings in Mainz ist?

Ja das kommt erschwerend hinzu. Die Spender fürchten wohl, dass ihr Beitrag nicht den Menschen in unserer Region zugutekommt. Diese Sorge ist jedoch unbegründet.

Ist die öffentliche Ignoranz nicht oft sehr frustrierend?

Doch, aber ich bin dabei geblieben, weil ich gesehen habe, was ich bewirken kann. Es macht mich zufrieden, wenn ich sehe, dass jemand sein Leben wieder in den Griff bekommt.

Sie begleiten die Betroffenen zur Polizei - sind sie auch im Gerichtssaal dabei?

Wenn das gewünscht wird, ja. Die Opfer haben oft Angst, weil die Täter auch anwesend sind. Dann sind wir eine Art Schutzschild. Ich rate den Betroffenen auch, nicht nur als Zeugen auszusagen, sondern sich einen Anwalt zu nehmen und als Nebenkläger eine Stimme im Gerichtssaal zu haben.

Wird für den Opferschutz hierzulande genügend getan?

Nein, viel zu wenig. Wir müssen oft hart um Zuwendungen für die Opfer kämpfen. Das Thema wird stiefmütterlich behandelt. Noch heute bekommt das Opfer nur in bestimmten Fällen einen Anwalt. Hier besteht Beratungsbedarf, denn die Betroffenen  wissen oft nicht, welche Rechte sie haben und wie sie sich eine stärkere Lobby verschaffen können.

Was sollte ein ehrenamtlicher Mitarbeiter mitbringen?

Geduld und Einfühlungsvermögen sind ein guter Grundstein. Er oder sie sollte bereit sein, Menschen in Notsituationen bei der Hand zu nehmen und rechtzeitig wieder loszulassen, damit die Betroffenen wieder Verantwortung für sich übernehmen können. Wir sind da, klären auf, helfen, gehen wieder.

Weitere Informationen erteilt die neue Außenstellenleiterin Manuela Ayyildiz, E-Mail: wr-memmingen@web.de