Vermeintliche Familienidylle vor dem Wohnwagen: Sandro Sutalo, Elisabeth Hütter, Anke Fonferek und Jens Schnarre versinken als "volkstümelnde" Familie zunehmend im braunen Sumpf. Fotos: Karl Forster
Das Landestheater Schwaben zeigt „Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Kroetz im Studio
Memmingen (as). „Volkstümliche Szenen aus dem neuen Deutschland“ nannte Franz Xaver Kroetz seine 24 Szenen über Ausländerhass und Neonazitum, die er 1993 anlässlich rechtsextremer Brandanschläge wütend „herunterfetzte“. Regisseur Max Claessen und Dramaturgin Silvia wählten zwölf der mehr oder minder brisanten „braunen Blitzlichter“ aus und betteten sie in eine - nicht immer ganz schlüssige - Rahmenhandlung ein. Die diversen Protagonisten werden durch eine vierköpfige Familie repräsentiert.
„Man weiß ja nichts, und deshalb muss man mit
dem Schlimmsten rechnen“, diese Aussage der Tochter ist programmatisch, nicht
nur für das Stück, sondern auch für die Mischung aus Angst, Misstrauen und
Bildungsferne, die gewöhnlich den Nährboden für Extremismus bildet. - Die Moral von der Geschicht‘: „Ich
bin das Volk“, spricht den kleinen Rassisten im Zuschauer an, warnt vor
Verharmlosung rechtsextremer Äußerungen und Taten.
Vermeintliche Idylle
Trügerische Lagerfeuerromantik: Der Sohn (Sandro Sutalo) lauscht den Liedern seiner militanten Schwester (Elisabeth Hütter).
So mutet auch die Lagerfeueridylle des Bühnenbildes von Ilka Meier zunächst harmlos an. Heiteres Vogelgezwitscher im durch Bonsai-Tannen angedeuteten deutschen Wald, brauner Rindenmulch bedeckt knöcheltief den Boden. Aus einem Wohnwagen quillen spießige Kleinbürger, die reihum dumpfbackige, volkstümelnde Parolen brabbeln und sich dabei in zunehmend aggressiv-polternder Manier auf ihren Instinkt berufen.
Jans Schnarre als Familienoberhaupt,
ein Socken-in-Sandalen-Träger mit Schnauzbart, gibt seine Figur lustvoll
der
Lächerlichkeit preis. Elisabeth Hütter als „arbeitslose
und unterbelichtete“ Tochter,mehrfach angeklagt wegen Brandstiftung und
Volksverhetzung, lässt ihre Figur in Hassreden erglühen. Anke Fonferek
verleiht ihrer Figur der erst hilflos-verharmlosenden Mutter, die zur
Zynikerin mutiert und schließlich ihre Familie meuchelt, einen
erfrischend-komödiantischen
Touch. Sohn Sandro Sutalo gibt sich zunächst gemäßigt, bis er sich am
Schluss
als fanatischer Hilterfan mit Kopfschuss (!) outet.
„Ordnung, auch unter der Erde“
Das Stück beginnt als heitere
Satire um die heilige deutsche Friedhofsruhe (angedeutet durch Grablichter auf
der „Waldlichtung“). Der kabaretttaugliche Ruf nach „Ordnung, auch unter der Erde“
endet - nach zunehmend haarsträubenden Szenen - schließlich in einem grotesken Paukenschlag
mit der Auslöschung der Familie, die sich doch so tapfer bemüht hatte, sich in einer
„Welt voller Ausländer“ und asylsuchender muslimischer Feinde zu behaupten. Immer wieder bedroht und schließlich
beherrscht wird die gruselige Familienidylle vom zotteligen Krampus (wie einer schrillen
Horrorkomödie entsprungen: Furkan Yaprak).
Was dem Zuschauer das Blut in den Adern
gefrieren lässt, sind nicht die Parolen auf niedrigstem
Stammtischniveau,
eingerahmt von "deutschem Liedgut", sondern Szenen wie der
kalt-analytische Vortrag (hier
fällt "Mutter" aus der Rolle) über das „vielschichtige Brandgeschehen“
in deutschen Landen. Demgemäß ist das "heilige" Feuer als "kulturelle
Errungenschaft" zu betrachten. Ausländer sind, rein statistisch gesehen,
nur deshalb betroffen, weil es so viele
davon gibt.
Immer wieder wird der deutsche Fleiß
verherrlicht, was in der berüchtigten Parole „Arbeit
macht frei“ mündet. In einer heiteren Runde am Lagerfeuer werden die
Machenschaften von Dr. Josef Mengele, Todesengel von Auschwitz, ins
Reich der Legende verwiesen.
Stellenweise unzusammenhängend
Leider erscheint die Handlung der in einen Kontext gepressten Szenen doch etwas unzusammenhängend und wirkt stellenweise unmotiviert. Die Inszenierung enthält viele subtile Anspielungen, ist aber dann auch wieder allzu plakativ, und die Risse in der Figurenzeichnung lassen sich durch die Widersprüchlichkeit der Protagonisten nur unzureichend erklären. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass mit Lautstärke wettgemacht wird, was dem Stück – trotz hoch motivierter Darsteller - an Überzeugungskraft fehlt.
Eines liegt auf der Hand: Nach 24 Jahren sind die Szenen erschreckend aktuell - was auch der jüngste Bundeswehr-Skandal zeigt. Die Angriffe auf Flüchtlingswohnheime sind in den letzten Jahren dramatisch angestiegen. Der NSU-Prozess, in dem die Rechtsterroristin Beate Zschäpe derzeit als Opfer dargestellt wird, zieht sich seit vier Jahren hin. (Mit dem hakenkreuzverzierten Wohnwagen als zentrales Element der Bühnenausstattung spielt Regisseur Max Claessen vermutlich auf den Selbstmord der Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt an.)
Die Zuschauer spendete der insgesamt durchaus beeindruckenden und stark gespielten, aber etwas "unrunden" Inszenierung langen, wenn auch etwas verhaltenen Applaus.
Exkurs: Ein Volk in Sack und Asche
Zu Denken gibt die Aussage Kroetz‘,
die Deutschen hätten aus dem Dritten Reich zu wenig, aber auch zu viel gelernt.
Scham und Schuld prägen das kollektive Bewusstsein seit Jahrzehnten. Sie
bringen die Blüten im braunen Sumpf vielleicht nicht hervor, lassen sie aber prächtig
gedeihen. Das wirksamste Mittel gegen Angst und Hass wäre wohl ein gesundes nationales
Selbstbewusstsein.