Memmingen (as). „Die Lage ist düster, doch ich glaube, dass Frieden im Nahen Osten möglich geworden ist", erklärte der 1935 in Tel Aviv geborene israelische Diplomat und Publizist Avi Primor in im kleinen Saal der Memminger Stadthalle den etwa 80 Zuhörern. Auf Einladung der Deutsch-Isralischen Gesellschaft Memmingen referierte der ehemalige israelische Botschafter die Entwicklung und den aktuellen Stand des Nahostkonfliktes und stellte seinen Roman "Süß und ehrenvoll" vor.
Primor skizzierte zunächst den Konflikt, den die britischen Besatzer 1948 durch die Teilung Palästinas (heutiges Israel und Jordanien) in einen arabischen und einen jüdischen Teil im Zuge der Gründung des Staates Israel ausgelöst hatten, bis zu den 1. Friedensverhandlungen 1977 durch das Entgegenkommen des ägyptischen Präsidenten Sadat. Mittlerweile war Israel, nicht zuletzt durch den Sechstagekrieg 1967, so mächtig geworden war, dass schließlich alle arabischen Staaten sich mit seiner Existenz abfinden mussten.
Mehrheit in Israel befürwortet Palästinenserstaat
Die Mehrheit der israelischen Bevölkerung befürworte mittlerweile die Gründung eines Palästinenserstaates, so Primor. Lange Zeit hatte man es rigoros abgelehnt, auf das Westjordanland - laut Bibel Teil des jüdischen Erbes – zu verzichten. Was dem Frieden jenoch nach wie vor im Wege stünde, sei das permanente Problem der Sicherheit, erklärte der Experte. „Die Israelis, im Krieg geboren, im Kriegszustand geblieben, wissen nicht, was Frieden ist und wie er funktioniert.“
Das Dilemma heute sei, dass die Mehrheit der Israelis zu unentschieden sei. Deshalb könne sich die von ihrer Ideologie überzeugte, fanatische Minderheit kampfbereiter Annektierer durchsetzen und den Siedlungsbau vorantreiben. „Es herrscht, wer weiß was er will - wer entschieden ist“.
„Der Schlüssel für die Lösung heißt Sicherheit“, betont der Referent erneut. Die Sicherheit, die Saddat - und später auch der jordanische König Hussein - Israel gaben, könne Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, obgleich er den Frieden befürworte, nicht gewähren. Die im Gazastreifen stationierten Raketen könnten jeden Ort in Israel treffen (erst im März dieses Jahres wurden bei einem Angriff militante Palästinenser aus dem Gazastreifen Dutzende Raketen auf Israel abgefeuert) .
Frieden und Sicherheit nur durch internationale Gemeinschaft möglich
Das Fazit des Experten: „Frieden ist heute möglich, die Frage ist nur, ob die Möglichkeit wahrgenommen wird. Nur durch Initiative der internationalen Gemeinschaft und der Vereinigten Staaten seien erfolgreiche Verhandlungen möglich. Dieser Friede sei Voraussetzung für den Fortbestand Israels, denn "die Araber bekommen mehr Kinder", erläutert Primor. Einer Prognose zufolge werde die arabische Bevölkerung von heute 450 Millionen auf 900 Millionen Menschen im Jahre 2050 anwachsen.
Um den Frieden dauerhaft zu machen, setzt Primor auf persönliches Kennenlernen. So gründete er ein Zentrum für europäische Studien an der Universität Tel Aviv, ein trilaterale Projekt, an dem israelischen, jordanischen und palästinensischen Studenten europäische Politik vermittelt wird.
Roman "Süß und ehrenvoll" vorgestellt
Avi Primor stellte außerdem seinen im September 2013 erschienenen Roman „Süß und ehrenvoll“ vor, der im Ersten Weltkrieg spielt. Der Roman beschreibt die Kriegserfahrungen zweier jüdischer Soldaten, der eine aus Frankfurt, der andere aus dem französischen Bordeaux, die einander zum Schicksal werden. Verdeutlicht wird nicht nur die Absurdität des Krieges, sondern auch die Suche der jungen Männer nach Zugehörigkeit: "Die Juden stürzten sich leidenschaftlich in den Ersten Weltkrieg, denn sie sahen ihn als Chance, sich als Patrioten zu beweisen", erklärte der Referent.
Material für sein Buch fand er in zahlreichen, bislang ungelesenen Dokumente am Leo Beck Institut in Jerusalem. "Am meisten beeindruckt haben mich die Briefe, in denen die Soldaten ihren Familien ihr Leiden in den Schützengräben schilderten", so Primor. "Die Geschichte der Juden im Ersten Weltkrieges ist selbst in Israel unbekannt."