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Beklemmend und auf entsetzliche Weise komisch: Landestheater Schwaben zeigt "Vor dem Ruhestand"

veröffentlicht am 18.04.2014

Rudolf (André Stuchlik) und Vera (Joséphine Weyers) stoßen auf Himmlers Geburtstag ab. Foto: Forster/LTS Rudolf (André Stuchlik) und Vera (Joséphine Weyers) beim Festmahl anlässlich Himmlers Geburtstag. Foto: Forster/Landestheater Schwaben

Memmingen (as). Morbide, beklemmend, wirkungsvoll inszeniert und großartig gespielt: Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" -  ein als Komödie getarntes Trauerspiel "von deutscher Seele" im Studio des Memminger Stadttheaters. Bernhards 1979 uraufgeführtes Stück spielt auf die Entlarvung des damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger als NSDAP-Mitglied an - bis Kriegsende hatte dieser als Marinerichter  Todesurteile gefällt.

Der geruhsame Titel täuscht:  Die Wohnung der Geschwister Höller, in der die toten Nazi-Funktionäre einen Platz an der langen Tafel zugewiesen bekommen, welche die ganze Mitte der Bühne einnimmt, erinnert an ein Geisterhaus. Obgleich abwesend, stehen Himmler, Göring, Goebbels & Co im Mittelpunkt des Lebens der drei Geschwister Rudolf Höller (André Stuchlik), Vera (Joséphine Weyers) und Clara (Anke Fonferek).

Grotesker Totentanz rund um eine leere Tafel

Genauer gesagt ist es Rudolf, der nach zehn Jahren im Kellerversteck immer noch in seiner Glanzzeit lebt – doch diese Unterscheidung ist müßig, denn Clara, seit dem Krieg an einen Rollstuhl gefesselt, kann dem grotesken Totentanz zuhause nicht entfliehen und die unpolitische Vera  tut alles, um den cholerischen Bruder bei Laune zu halten. Während Clara, die Intellektuelle, die „Terroristin“, Zeitungen liest und die Ideologie der Nazis verabscheut, kreisen Veras Gedanken und Taten nur um den Bruder, ehemaliger SS-Lagerkommandant und heute Gerichtspräsident, der bald nach Hause kommt.

Es ist ein ganz besonderer Tag:  Ein 7. Oktober Mitte der 70er Jahre – zum etwa 30. Male jährt sich der Geburtstag des Reichsführers SS Heinrich Himmler, dem Rudolf im Zuge einer Lagerkontrolle einmal persönlich begegnet war. Alles spielt sich so ab wie üblich: Rudolf gibt in der von Vera geglätteten Uniform des Obersturmbandführers den Helden, Vera bewundert und befriedigt ihn, reicht ihm die Erinnerungsstücke aus dem „Reliquienschreinen“ an der Wand. Klara schweigt.

Zombiehafte Figuren mit maskenhaften Gesichtern

In der Vergangenheit gefangen und im gegenwärtigen Leben isoliert, haben die Figuren etwas zombiehaftes, das in der Inszenierung von Andreas Baesler durch die auf eine Wachsschicht aufgetragene weiße Schminke maskenhaft betont wird. (Es hätte der - sehr effektvollen - Weißmalerei nicht bedurft um zu zeigen, dass es Fratzen sind, die hier vorgeführt werden.) Und Veras hausfraulicher Aktionismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie genau so unabwendbar in der Situation gefangen, eine "Untote" ist wie Clara. Clara, die Kluge, die Verhasste, die „Spielverderberin“, weil sie es nicht lassen kann, ihren Geschwistern in kalter Verachtung den Spiegel vorzuhalten.

Rituale und Wiederholungszwänge bestimmen den Alltag – zumindest den Frauen ist die Absurdität ihrer Situation bewusst: „So viele Jahre spielen wir unsere Rolle / wir können nicht mehr heraus“, sagt Vera. „Wir haben unser Theaterstück einstudiert / seit drei Jahrzehnten sind die Rollen verteilt / jeder hat seinen Part / abstoßend und gefährlich [...] / Wir existieren nur / weil wir uns gegenseitig die Stichwörter geben / weiter“.

Graue Schatten, Asche und Spinnweben

Die Sonnenbrillen stehen nicht nur für die selbstgewählte Blindheit der Protagonisten und für ihre Lichtscheue, das Leben im Verborgenen, sondern fungieren auch als inszenatorisches Mittel. Die mit grauen Schatten geränderten Augen geben nun die Gefühle der Figuren sichtbar, Claras kalten Hass, Veras Heuchelei – im Blick Rudolfs flackert die Angst, sobald Wut und Zorn nachlassen. Ein Himmler-Geburtstag wie jeder andere? Nein, diesmal nicht. Das „Dinner für three“ eskaliert...

Obwohl die Inszenierung Züge einer Farce hat, ist niemandem im Publikum zum Lachen zumute. Dafür ist das Geschehen bzw. zunächst einmal Nicht-Geschehen, das Bühnenbildnerin Franziska Harbort zwischen Spinnweben an der Decke und einer Ascheschicht auf dem Boden angesiedelt hat, zu ungeheuerlich, zu beklemmend - ja, geradezu gruselig. (Es traut sich zunächst auch niemand, von dem Sekt zu trinken, dessen Ausschank die Zuschauer zu Geburtstagsgästen macht.) Doch auch wenn man den Fürst Metternich nicht wirklich genießen kann: Das Stück ist absolut sehenwert!

Weitere Aufführungen im Studio des Stadttheaters am 28., 29.  April und 4. Mai. Kartenreservierung unter Tel.: 08331/9459-16.