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Ausgelöscht mit einem Pinselst(r)ich: „Vier Bilder der Liebe“ im Stadttheater

veröffentlicht am 12.04.2016
Vier Bilder

Susan (Michaela Fent) empfindet ihr Modell Daniel (Julian Ricker) als beschädigt, er hat ein blaues Auge. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Eine mutige Wahl traf Regisseur Peter Kesten mit dem 2002 uraufgeführten Stück „Vier Bilder der Liebe“, des Schweizer Schriftstellers und Dramaturgen Lukas Bärfuß, das dem Zuschauer einiges abverlangt. In 120 Minuten, ohne Pause, wird das handlungsarme Geschehen auf ironisierende Weise bildhaft vorgeführt, die Monologe gerinnen zu zähen Deklamationen. Eigentlich traurig aber durchaus amüsant: Die, in Beziehungsdingen als defizitär entlarvten, postmodernen Protagonisten dieses ad absurdum geführten bürgerlichen Trauerspieles entwickeln eine unfreiwillige Komik. 


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Statt leidenschaftlicher Umarmung steifes Nebeneinander: Der Geschlechtsakt von Evelyn und Daniel wird bildhaft-formal vorgeführt als „Begattung“.

Die Schicksale zweier Ehepaare mittleren Alters (Susan und Daniel, Evelyn und Sebastian) verketten sich auf tragische Weise, als Susan (Michaela Fent) ihren Mann Daniel (Jan Arne Looss) tötet, weil er sie mit Evelyn (Anke Fonferek) betrogen hat. Und ausgerechnet Evelyns gehörnter Ehemann Sebastian wird als  Susans Pflichtverteidiger berufen...

Ein Reigen szenischer Bilder

Bereits der Titel birgt Ironie, denn die Sehnsucht nach Liebe mag den Figuren zwar innewohnen, gezeigt wird jedoch ihre Unfähigkeit zu echter Nähe und Verständigung. Scheinbar beiläufig und ohne Empathie betont Kesten das formale Element des Dramas: In reigenhaft aneinandergefügten szenischen Bildern werden die in sich selbst gefangenen Protagonisten - im Doppelsinne -  vorgeführt.

Was sie verbindet, ist ihr Klammern an starren gedanklichen Konstrukten, Ideen und Idealen, die sie nicht mit Leben und erst recht nicht mit Liebe füllen können. Dadurch wirken die vier Glückssucher verlogen und auf groteske Art komisch. Unfähig, sich aufeinander zu beziehen, agieren sie  in absoluter Leidenschaftslosigkeit. Sogar Susans Mord an Daniel mit einem Pinselst(r)ich  wird als „Akt der Gerechtigkeit“ zum Kalkül.
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Evelyn (Anke Fonferek), des Leben und der Liebe überdrüssig, trägt ihre verletzte Hand vor sich her wie ein Ausrufezeichen.

Das Losungswort, das refrainartig wiederholt wird, heißt "Abwechslung". Aber Evelyns und Daniels amouröses "Abenteuer“ ist längst zur Konvention geworden. Der "Thrill“ ist weg, innere Leere korrespondiert mit äußerer Langeweile. Dennoch scheint es, als wollten die beiden Ehebrecher aus den engen Schemata ihrer Existenzen nicht ausbrechen. Vielmehr suchen sie Gelegenheiten, sich abzulenken und zu betäuben. Evelyn und Daniel leben Beliebigkeit, Belanglosigkeit und Orientierungslosigkeit als Schattenseiten von Freiheit und Individualisierung, den Idealen der Postmoderne. Sie erleiden ihre Existenz als Fülle von Möglichkeiten, die ziel- und kraftlos durch ein Wertevakuum wabern.

Kalte Räume wie Grabkammern

Das Bühnenbild von Sabine Manteuffel besteht im Wesentlichen aus verschiebbaren, dunkelgrau marmorierten Wänden, die vier  wie luxuriöse Grabkammern anmutende Räume formen. Verbunden sind Szenen und Räume durch das Element des Bildhaften als Akt des Malens (Susan porträtiert ein Modell, gespielt von Julian Ricker), als Mittel der Brandmarkung (Susan bemalt das Gesicht des Betrügers Daniel mit blauer Farbe, bevor sie ihn mit dem Pinsel ersticht) und als bleibende Momentaufnahme in Form eines Porträts, das ein Ideal widerspiegeln soll.  Einziger Draht nach Draußen: ein rotes Telefon.

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Sebastian (André Stuchlik) hegt hohe Ideale in Bezug auf die Ehe, blickt jedoch verächtlich auf seine Frau herab.

Es sind eigentümliche Bilder, die hier vorgeführt werden. Wenn man die Hintergründe nicht kennt, erscheint einiges unklar. Auch die Motive der "entkernten" Personen lassen sich auf Anhieb nur schwer erschließen - was natürlich auch daran liegt, dass sie nicht eindeutig vorhanden sind. Der zähe Sprachfluss durch die Betonung einzelner Wortsilben hat etwas Manisch-Maniriertes und passt ins Bild - erleichtert dem Publikum aber nicht das Zuhören.

Gemessen an all den Herausforderungen des Stückes, schlugen sich die Schauspieler - besonders die "alten Hasen" Anke Fonferek und André Stuchlik - sehr wacker. Das  Premierenpublikum spendete langanhaltenden, wenn auch nicht enthusiastischen, Beifall.

Weitere Vorstellungen im Großen Haus am 16. und 28. April, 4., 8. und 10. Mai. Karten und Infos unter Telefon 08331/ 9459-16.

Info: Der Schweizer Schriftstellers und Dramaturgen Lukas Bärfuß, 1971 geboren, zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Dramatikern. Seit 1997 ist er als freier Schriftsteller und als Lehrbeauftragter tätig. Daneben war er von 2009 bis 2013 Dramaturg am Schauspielhaus Zürich. Bärfuß war Mitgründer der Künstlergruppe „400asa“. Für diese schrieb er mehrere Bühnenwerke, mit denen er bekannt wurde. Besonderen Erfolg hatte er mit dem Stück „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“, geschrieben für das Theater Basel, das bis 2005 in zwölf Sprachen übersetzt wurde. Außerdem verfasste Bärfuß Novellen und Romane wie z.B. "Hundert Tage“. Im Oktober 2015 löste der Autor eine kontroverse Diskussion mit seinem Essay „Die Schweiz ist des Wahnsinns“ aus, den er in der FAZ veröffentlichte.