Paul Schäffer, Katrin Kaspar und Philipp Lindt in der Inszenierung von Sapir Heller. Foto: Stefan Löber
Memmingen (dl). "Auch Deutsche unter den Opfern", ein Gastspiel des Zimmertheaters Tübingen, kommt am Sonntag, 26. November, um 19 Uhr ins Studio des Landestheaters Schwaben, gefördert von der Georg-von-Vollmar-Akademie. Im Anschluss an die Vorstellung findet ein Publikumsgespräch statt. "Auch Deutsche unter den Opfern" von Tuğsal
Moğul setzt sich mit der
Mordserie des NSU auseinander.
In einer erschreckenden und traurig absurden Faktencollage stellt das Stück unbequeme Fragen an unsere liberale Gesellschaft und den Rechtsstaat: Warum betrafen uns Deutsche die nationalistisch motivierten Taten so wenig? Was war die Rolle von Staat und Verfassungsschutz in diesem Verbrechenskomplex? Es ist ein deutsches Verbrechen, dessen lückenlose Aufklärung nicht möglich scheint. Wäre das auch so, wenn die Opfer Deutsche ohne Migrationshintergrund gewesen wären?
Zum Inhalt: Vor fast zwei Jahren beteuerte Beate Zschäpe nach vier Jahren Untersuchungshaft in ihrer Einlassung vor Gericht, dass sie von nichts gewusst habe und fassungslos über die Taten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sei. Angeklagt ist sie unter anderem wegen Mittäterschaft in zehn Mordfällen sowie Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Doch wirklich Licht ins Dunkel bringt ihre Erklärung nicht, genauso wenig wie ihre mündliche Aussage im September 2016.
Wie viel wusste der Staat bzw. der Verfassungsschutz?
Bestand der NSU wirklich nur aus drei Mitgliedern – Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt? Und können diese wirklich vollkommen autonom über 11 Jahre hinweg Straftaten im gesamten Bundesgebiert verteilt begangen haben? Wie viel wusste der Staat in Form des Verfassungsschutzes? Wurde vielleicht sogar aktiv von den Ermittlern weggeschaut und die Täter nur im Bereich organisierter Kriminalität vermutet, oder gab es wirklich keine ausreichenden Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund?
Der Strafprozess – der größte seit der deutschen Wiedervereinigung – sowie mehrere Untersuchungsausschüsse bemühen sich schon seit über 350 Verhandlungstagen um Aufklärung. Doch statt Antworten werden immer neue Fragen aufgeworfen, kommen immer mehr Ungereimtheiten ans Licht. Inwieweit ist die Politik an einer lückenlosen Aufarbeitung interessiert? Schließlich „hat man die Angeklagten ja schon“ und es handelte sich bei den rechtsextremen Terroristen lediglich um „eine singuläre Vereinigung von drei Personen“. Käme man genauso schnell zu diesem Beschluss, wenn es sich bei den Opfern um Deutsche ohne Migrationshintergrund handeln würde?
Tuğsal Moğul verfolgte den NSU-Prozess in München über Monate und entwickelte daraus gemeinsam mit seinem Team am Theater Münsterdieses Dokumentartheaterprojekt.
Mit viel Komik und teils bitterbösem schwarzen Humor
Für das Zimmertheater inszenierte Sapir Heller das Stück. Die junge Regisseurin, die ihre Ausbildung an der August-Everding-Akademie in München erhielt, hat eine originelle Bildsprache gefunden, welche die Rolle des Staates auf absurde Weise hinterfragt. Auch sie begann mit einer umfangreichen Hintergrundrecherche, und besuchte mit ihrem Team den Prozess am Münchener Oberlandesgericht. Die Inszenierung entwickelt sich stetig weiter, da auch neueste Entwicklungen und Erkenntnisse von dem Team herangezogen und zum Stück ergänzt werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Rolle des Staates in der „Affäre NSU“. Zahlreiche Absurditäten und Fehler während der Ermittlungen und bis heute werden mit viel Komik und teils bitterbösem schwarzen Humor auf die Bühne gebracht. Die Mordserie der rechtsextremistischen Terrorzelle wird als Chronologie des Scheiterns staatlicher Behörden und der Zivilgesellschaft inszeniert.
Die Inszenierung des Zimmertheaters wurde beim Heidelberger Stückemarkt 2016 für den „NachSpielPreis“ nominiert und wurde mit dem Monica-Bleibtreu-Preis der Hamburger Privattheatertage 2016 in der Kategorie „Bestes Zeitgenössisches Drama“ ausgezeichnet.