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"Achtung vor dem Anderen ist das erste Gebot"

Preisträger des EUmérite Udo Di Fabio beeindruckt die Gäste im Rathaus

veröffentlicht am 07.09.2018
Udo Di Fabio EUmérite

Die bisherigen  Preisträger des EUmérite tragen sich ins Goldene Buch der Stadt Memmingen ein. Von links: Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Abtprimas Prof. Dr. Notker Wolf OSB, Senator Dipl. Ing. Hans Haibel, Professor Dr. Werner Weidenfeld (sitzend), Oberbürgermeister Manfred Schilder  Editz Oszlári, Gattin des 2016 verstorbenen Lajos Oszlári, und Preisstifter Wolfgang E. Schultz, Geschäftsführer Magnet-Schultz. (Nicht anwesend: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Wener Sinn.  - Unser Vorschaubild: Preisgeber Wolfgang E. Schultz überreicht  dem Juristen und ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio die Urkunde. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Den Preis für besondere Verdienste um die Förderung von Europa auf Grundlage christlicher Ethik und sozialer Marktwirtschaft "EUmérite" verlieh Wolfgang E. Schultz, Geschäftsführer der Memminger Firma Magnet-Schultz, dem Juristen und ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio. Der Preisträger sieht  westliche Errungenschaften  wie Demokratie, Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft in Gefahr. In seinem Vortrag plädiert er für ein neues, stärkeres Europa. Einem breiteren Publikum bekannt wurde Udo Di Fabio durch seine Kritik an der Flüchtlingspolitik Angela Merkels.

Angesichts der zunehmenden Instabilität der Demokratie fordert der renommierte Hochschullehrer und Wissenschaftler Di Fabio in seinem eloquenten und anregenden Vortrag eine Rückbesinnung auf die Werte, die im Grundgesetz 1949 und im Lissabonner Vertrag 2009 verankert wurden..

Ein Schwerpunkt des Vortrags des frischgebackenen EUmérite Preisträgers war das in der Präambel des Grundgesetzes bereits vorformulierte „Vereinte Europa“, in dessen Rahmen sich Deutschland verpflichtete, dem Frieden zu dienen.  "Leider besteht bis heute keine echte europäische Solidargemeinschaft", bedauert Di Fabio, obwohl die Nachkriegszeit bewiesen habe, wie viel mächtiger und einflussreicher ein Staatenbund gegenüber einer isolierten Macht wie dem Deutschen Kaiserreich sei, die zum Ersten Weltkrieg und zur Zerstörung der Nation geführt habe. 

„Der schwankende Westen“

Udo Di Fabio EUmérite

Mit vielfältigem europäischem Liedgut unterhielten die "Kerberbrothers Alpenfusion" die Gäste im Rathaus.

Der ehemalige Verfassungsrichter und Autor bezieht sich in seinem Vortrag auf sein Buch „Der schwankende Westen“, das er 2010 unter dem Eindruck der Weltfinanzkrise und des islamistischen Terrors als klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft im Sinne der Verantwortungsethik Max Webers verfasste. Er analysiert darin, warum westliche Errungenschaften wie die Würde des Menschen und sein Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung sowie Institutionen wie Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft in Gefahr sind.

Seither ist die Zahl der Krisenherde gewachsen, das letzte Jahrzehnt habe Zweifel an der Stabilität der Demokratie aufkeimen lassen, so Di Fabio. „An Trump hatte ich 2010 noch gar nicht gedacht“, erklärt er den schmunzelnden Zuhörern im Rathaus.

Das Patronat der USA sei jedoch ein wichtiger Faktor für die Lage der Demokratie in Europa. Jahrzehntelang habe die USA als „guter Hegemon“ die globale Ordnung garantiert, doch nun sei der atlantische Brückenschlag nicht länger verlässlich. „Der Ausstieg Englands markiert das Ende der atlantischen Ordnung, wie sie 1941 in der Atlantik Charta geregelt wurde“, so Di Fabio.

Auf Werte und Wurzeln besinnen

Doch anstatt seinen Anti-Amerikanismus zu pflegen, solle Europa  sich neu erfinden, indem es sich auf seine Werte und Wurzeln besinnt und zu neuem Selbstbewusstsein gelangt. Es gelte,  die Idee von Demokratie und der offenen und, nach Ludwig Erhard, chancengleichen Sozialen Marktwirtschaft (zu der es nach Ansicht des liberalkonservativen Juristen und Soziologen keine Alternative gibt) neu zu formulieren und sichtbar machen. Der Westen habe nach wie vor große wirtschaftliche Potenziale.

Doch angesichts des Erstarkens populistischer Kräfte in den Mitgliedsstaaten, die einer auf Kooperation und Offenheit ausgerichteten Politik im Wege stünden, sei die EU zunehmend uneins. „Die EU erscheint heute disparater als vor 20 Jahren!“

Demokratiefeindliche Kräfte genährt

„Die Migrationsfrage ist für mich nicht die Mutter aller Probleme“, betont der Jurist angesichts der jüngsten Äußerung von Innenminister Horst Seehofer. Doch Merkel sei 2015 verpflichtet gewesen, die Staatsgrenzen zu sichern und die Aufnahme von Flüchtlingen zu begrenzen, hatte der Verfassungsrechtler an anderer Stelle erklärt. „Demokratien und selbstbestimmte Räume können ohne Grenzen nicht existieren.“ Und ein nicht funktionierendes System nährt Populismen und demokratiefeindliche Kräfte am rechten und linken Rand.

Ein Hauch von Weimar?

Nun müsse man, nicht zuletzt angesichts der berechtigten Angst vor dem aufkeimenden Rechtspopulismus und einer Erosion der Parteien der Mitte, über die soziokulturellen Grundlagen der Gesellschaft neu nachdenken. Di Fabio erinnert daran, dass die Demokratie in Deutschland 1932 in Folge der Weltwirtschaftskrise  quasi abgewählt wurde. Der Verfassungsrechtler warnt vor einem neuen Weimar, das damals in den Nationalsozialismus mündete.

 „Es geht darum, die Republik neu zu fundieren und ehrlich zu diskutieren, ohne Beschimpfen anders Denkender und Verteilen von Unwert-Urteilen. Achtung vor dem Andern sei das erste Gebot, „auch wenn nicht alle Kulturräume kompatibel sind“, meint er mit Blick aus den Islam. „Mit der Herabsetzung des Anderen erzeugt man letztendlich nur Wut und Aggression“, sagt der Jurist angesichts des  Anstandsverlustes in der öffentlichen Diskussion, welcher der Staat mit erzieherischer Bevormundung zu begegnen suche.   

„Alltagserfahrungen funktionieren nicht mehr"

Wir laufen Gefahr, die bürgerlichen Grundlagen der Gesellschaft zu verspielen,  warnt der Referent angesichts niedriger Renten und 0-Zins-Politik. „Alltagserfahrungen funktionieren nicht mehr. Damit ist eine der Nachhaltigkeitsgrundlagen beschädig.". Als Beispiel nennt er den Abschied von der Idee der Zukunftsvorsorge des deutschen Sparers.  „Das ist eine üble Sache." Die Politik  könne nicht über die Bedürfnisse der Menschen hinwegregieren. „Die Gesellschaft muss sehen, dass in ihre Zukunft investiert wird!“

Zu Krisen führe auch der Eingriff des Staates in den Markt. „Marktwirtschaft ist sozial, wenn sie auf dem Prinzip der Privatautonomie funktioniert, Anreize zum Mitmachen und zur Selbstentfaltung gibt - und nicht durch staatliche Eingriffe“, so Di Fabio. Politische Entscheidungen seien ein völlig ungeeignetes Instrument, um Ökonomie zu gestalten. „Gelenkte Marktwirtschaft schafft keinen Wohlstand und belastet immer auch die Politik“ - als Beispiel nennt er die staatliche Initialisierung und den Ausstieg aus der Atomenergie.

Weitere Störfaktoren der Privatautonomie seien Kartellen und Monopole, wie sie derzeit bei der digitalen Revolution zutage treten. "Damit keine  Oligopole und Monopole entstehen, bedarf es der europäischen Wettbewerbskontrolle", fordert Di Fabio.  Digitalen Plattformen wie Google und Co habe Europa nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. „Europa weiß nicht recht, wie man digitalen Wettbewerb gestalten kann“, bedauert der Preisträger. 

"Der Preis ist ein Ansporn"

„Doch ich will nicht das Ende einer glänzenden Welt bejammern“, erklärt der Jurist schließlich. Trotz aller Defizite und Krisen ist er von der Überlebensfähigkeit und der Anziehungskraft der freiheitlichen westlichen Zivilisation überzeugt: "Grundgesetz und EU seien Errungenschaften, für die wir streiten und kämpfen müssen." Der Preis sei ein Ansporn, weiter an seinem neuen Gesellschaftsmodell zu arbeiten, so der Referent abschließend. 

Einblicke in das Werk des Preisträgers

Dass mit Di Fabio ein äußerst würdiger Preisträger für die vom Memminger Unternehmen Magnet-Schultz 2009 ins Leben gerufene, mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung EUmérite gefunden wurde, belegte der Unternehmer Wolfgang E. Schultz in seiner Laudatio anhand von Aussagen aus Di Fabios Werken, die er im Rahmen seiner Laudation zitierte und kommentierte.

Auch Schultz' Ansatz ist ein produktiver: Anstatt Missstände der europäischen Einigung zu beklagen, will der Unternehmer mit dem Preis Vorbilder würdigen, „die Europas geistige und moralische Kraft im Einklang mit Ethik und einem klaren Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft leben und fördern“, erklärt Schultz den geladenen Gästen, die seinen Vortrag mit großem Applaus honorierten.

Info: Der 1954 in Walsum am Niederrhein als Nachkomme italienischer Einwanderer geborene Udo Di Fabio ist einer der renommiertesten Verfassungsrechtler und Gesellschaftsanalytiker. Er ist Professor an der Universität Bonn und war zwölf Jahre Richter des Bundesverfassungsgerichts. Unter anderem ist von ihm erschienen "Die Kultur der Freiheit",  Schwankender Westen (2015) und "Die Weimarer Verfassung: Aufbruch und Scheitern" (09/2018).

Ausführliche Infos zum Preis und zum Preisträger finden Sie unter den Suchworten „Udo di Fabio“ oder "EUmérite" auf der Hompage von Magnet-Schultz.