Münchens Altoberbürgermeister Christian Ude war Hauptredner bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Fotos: Sonnleitner
Memmingen (as). Die Reichspogromnacht läutete den Übergang von der Diskriminierung deutscher Juden unter der Naziherrschaft zu ihrer systematischen Verfolgung ein, die knapp drei Jahre später in den Holocaust münden sollte. Zum 80. Jahrestag der Ausschreitungen am 9. November 1938 versammelten sich über 250 Bürger/innen an der Gedenkstätte der ehemaligen Synagoge am Schweizerberg. Hauptredner war der Münchner Altoberbürgermeister Christian Ude.
Der DGB Kreisvorsitzende Ludwin Debong begrüßte die Besucher auch im Namen der mitveranstaltenden Katholischen Arbeitnehmer/innenbewegung und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, zitierte er aus der Kriegsfibel von Bert Brecht. „Bei Ausländerfeindlichkeit, Gewalt, Rassismus und Antisemitismus heißt Schweigen Zustimmung“, mahnte Debong.
Es habe sich eine aggressionsbereite rechtsextreme Subkultur entwickelt und die rechtspopulistische AfD sei mittlerweile in allen 16 Länderparlamenten vertreten. Angesichts dieser aktuellen Lage müsse man auf alles reagieren, was auch nur ansatzweise die Gefahr einer ähnlichen Entwicklung wie damals beinhalte. "Schauen Sie nicht weg – mischen Sie sich ein!", lautete Debongs Appell an die Zuhörer.. Er erinnerte an ein Zitat des KZ Dachau-Überlebenden Max Mannheimer: "Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht."
"Gewalt, Hass und Hohn“
Oberbürgermeister Manfred Schilder, Schirmherr der Gedenkveranstaltung, sprach von einer „einzigartigen Verquickung von Gewalt, Hass und Hohn“ und erinnerte an die 1908 errichtete Memminger Synagoge, die am Morgen des 10. November 1938 von den Nazis verwüstet und in Brand gesetzt wurde. Nie wieder dürfe das, was er mit den Worten der jüdischen Publizistin Hannah Arendt als „Ausleben von Rache und Unterlegenheitsgefühlen, kombiniert mit der Banalität des Bösen“ bezeichnete, in unserer Mitte möglich sein. Erinnern sei darum notwendig, erklärte Schilder mit Blick auf die aktuelle fünfte Verlegung von Stolpersteinen in der Stadt. (Bericht folgt).
Heute, 80 Jahre später, würden wieder nationalistische Töne in ganz Europa laut, „wieder geht es gegen das Fremde, Ungewohnte, Andere“, mahnte Schilder. „Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft angepöbelt werden oder noch Schlimmeres passiert.“ In diesem Zusammenhang erinnerte er an die Flüchtlinge, die vor den Toren Europas umkommen. Schilder fordert eine streitbare Toleranz, „nicht zu verwechseln mit Feigheit, Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit“.
"Demokratie muss aktiv verteidigt werden"
Der Hitlerputsch 1923 habe gezeigt, wie skrupellos und gewalttätig die Feinde der Demokratie vorgehen. „Die Reichspogromnacht 1938 offenbarte die Barbarei unter einer allzu dünnen Schicht von Kultur, Humanität, Demokratie und Rechtsstaat“, erinnerte der Münchner Altoberbürgermeister Christian Ude daran, dass Demokratie aktiv verteidigt werden muss.
Er betonte, dass der Terror gegen die Juden ungehindert unter aller Augen geschehen konnte. Es erfülle uns heute mit Scham, dass die damaligen Mitbürger angesichts grausamen Unrechts, Mord und Totschlags geschwiegen und weggeschaut hätten. Nicht nur Menschen, auch Institutionen die Recht und Gesetz hätten schützen müssen wie Polizei und Justiz hätten versagt, erinnerte Ude, ebenso wie Kirchen, Universitäten und Lehranstalten und die Medien, die ihre Freiheit der Demokratie und dem Rechtsstaat verdankten.
Die Lehre aus den Geschehnissen dürfe
sich jedoch nicht in selbstgerechten Pauschalurteilen über eine
eingeschüchterte Generation erschöpfen. Vielmehr
solle sie in der Einsicht münden, „dass man sofort handeln muss, wenn Menschen
verfolgt, ausgeschlossen oder diskriminiert werden - solange man noch demokratische Rechte hat
und diese gefahrlos wahrnehmen kann“, so Ude.
Auch Münchens Alt-Oberbürgermeister verwies auf die Worte seines Freundes und Genossen Max Mannheimer, die Versöhnungsbereitschaft ebenso signalisierten hätten wie eine Verpflichtung der nachgeborenen Generationen, Verantwortung zu übernehmen.
"Schuld durch Schwäche“
"Schuld ist nicht kollektiv, sondern immer individuell. Aber es gibt eine Schuld durch Schwäche“, zitierte Ude den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt, den er als Redakteur der 1980 von ihm gegründeten und von der SPD-Stadtratsfraktion herausgegebenen „Stadtillustrierten“ interviewt hatte (damals war Brandt noch SPD Parteivorsitzender, Anm. Der Red.).
„Dieses Zitat ist heute aktueller denn je, denn rechte Stimmungen, die sich gegen Minderheiten richten, gibt es nicht nur in einzelnen Bundesländern, sondern nahezu in allen Ländern Europas“, mahnte Ude. Unser aller Aufgabe sei es, die Demokratie zu stärken anstatt „herumzunörgeln und schlecht gelaunt einfach den Rechten das Feld zu überlassen“.
Für die musikalische Gestaltung der Gedenkfeier sorgt Günter Schwanghart auf der Klarinette.