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"Europa darf keine Festung sein" - Predigt zum "Jahr der Toleranz" am Reformationstag in St. Martin

veröffentlicht am 01.11.2013

Dr. Rauh Dr. Sabine Rauh referierte zum Thema "Toleranz". Foto: as

Memmingen (as). Im Mittelpunkt des von Dekan Kurt Kräß geleiteten Reformations-gottesdienstes in der Kirche St. Martin stand die Kanzelpredigt von Dr. Sabine Rauh, Redakteurin des Ressorts "Kirche und Welt" des Bayerischen Rundfunks. Anlässlich des von der evangelischen Kirche  zum Jahr der Toleranz erklärten Jahres 2013 referierte die in München lebende Publizistin über Wesen und Wert der Toleranz, ausgehend von der Frage, ob die Reformation zur Toleranz geführt habe.

Dr. Rauh erklärte, dass der Glaubensstreit, der vor 500 Jahren so vehement aufbrach, von seinem Wesen her intolerant war und eine scharfe Abgrenzung forderte und förderte. Nichts beschönigend, stellte sie den Reformator Martin Luther (1483 – 1546)  als Besserwisser und, da diese sich nicht von ihm bekehren ließen, Judenfeind dar.

Die Referentin erinnerte jedoch daran,  dass die Geisteshaltung im Mittelalter nicht mit der heutigen zu vergleichen ist. So unterschied man zum Beispiel zwischen Nicht-Christen und Ketzern. Letztere galten als krankes Glied, das „vom Leib der Kirche abgetrennt“ werden musste. Luther, der den Leib der Kirche gesunden wollte und gar nicht beabsichtigte, eine zweite Kirche zu gründen, verurteilte immerhin die weltliche Gewalt gegen Ketzer. Es sei gegen den Willen des Geistes, Häretiker zu verbrennen, so Luther. Aus diesem Samenkorn entwickelte sich ein liberalerer Geist. Georg Frölich, später Rat und Advokat in Augsburg, trat bereits 1530 für Religionsfreiheit ein. Diese geistige und kulturelle Dynamik führten Denker und Dichter wie John Locke (1632-1704) und Ephraim Lessing (1729-1781) weiter. Im 19. Jahrhundert endlich war es den Menschen erlaubt, auch ohne Bekenntnis zu leben.

Anerkennung der Würde des Anderen

Dr. Rau schließt sich Nicole Grochowina, Historikerin und seit 2011 Schwester der Christusbruderschaft Selbitz (Oberfranken), an, die Toleranz als „Pluralitätskompetenz“ bezeichnet. Damit sei kein passives, gleichgültiges oder gönnerhaftes Aushalten oder Dulden gemeint, sondern "aktive Kompetenz, dem Anderen zu begegnen". Toleranz definiert sie als „aktive Anerkennung der Würde des Anderen, auch in Meinungsverschiedenheiten - und der Bereitschaft, sich im Dialog mit dem anderen zu verändern“.

In ihrem Vortrag definierte die Referentin auch die Grenzen der Toleranz: Rechtsextremismus müsse und dürfe man nicht tolerieren. „Toleranz muss dort ihre Grenze haben, wo die Würde des Menschen auf dem Spiel steht.“

"Europa darf keine Festung sein"

Zwar habe man in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, doch liege Deutschland heute nur im Mittelfeld der Industriestaaten, was Toleranz betrifft. Außerdem mahnte die Referentin,  Europa dürfe keine Festung sein, sonst bliebe Toleranz eine Illusion. "Ein Gemeinwesen gewinnt nur, wenn es sich nicht abgeschottet. Angstfrei sich dem anderen, dem Leben zu öffnen, das kann sehr befreiend sein", schloss Dr. Rauh.