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„Habt Mut!“ - Memminger Freiheitspreis an Amazonas-Bischof Erwin Kräutler verliehen

veröffentlicht am 26.09.2016
Kräutler

Preisträger Dr. Erwin Kräutler mit OB Dr. Ivo Holzinger, dem ehem. bayerischen Landtagsabgeordneten Herbert Müller (Sprecher des Kuratoriums), Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm und dem CSU-Ehrenvorsitzenden Dr. Theo Waigel als Mitglieder des Auswahlgremiums. Fotos: Sonnleitner

Memmingen (as). Bei strahlendstem Festtagswetter überreichte Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger dem kürzlich emeritierten Amazonas-Bischof Dr. h.c. Erwin Kräutler den Memminger Freiheitspreis vor etwa tausend Zuschauern auf dem Memminger Marktplatz. Die Laudatio auf den Geistlichen, der seit Jahrzehnten für Gerechtigkeit und Freiheit in Lateinamerika kämpft, hielt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm.

Bedford-Strohm

Viel Beifall erhielt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm für seine Laudatio.

„Habt Mut“, zitierte Bedford-Strohm den Titel eines Buches von Erwin Kräutler, der sich seit über 50 Jahren für die Landlosen in Brasilien, die Indios und den Regenwald in Amazonien einsetzt. Mit seinem beherzten Einsatz für die Freiheit lebe und verkörpere Kräutler, woran der Memminger Freiheitspreis erinnert, so der Landesbischof. „Barmherzigkeit gibt Mut und sie erfordert solchen Mut - ein Aufruf, den auch wir in Deutschland hören sollen“, betonte der Laudator in Anspielung auf heutige Konflikte. Als Vertreter der Befreiungstheologie setze Kräutler die biblische Botschaft im Heute um, auch unter Gefahr für Leib und Leben. (1983 wurde Kräutler von der brasilianischen Militärpolizei misshandelt und verhaftet, weil er sich für Zuckerrohrarbeiter einsetzte). Kräutler sei auch deshalb ein Vorbild, weil er mit den Menschen lebe: “Ein Bischof, der auf die Straße und in die Häuser gegangen ist, der auf die Menschen gehört hat.“

Als „hoch relevant“ bezeichnete Bedford-Strohm den in den Bauernartikeln von 1525 geforderten freien Zugang zu Wald, Äckern, Wiesen, Wäldern und Gewässern. Dass die Natur wieder zum Allgemeingut werde, spiele auch im heutigen Amazonien eine wichtige Rolle. „Großgrundbesitzer wollen das Land unter sich aufteilen und die indigenen Völker von dort vertreiben, wo sie seit vielen tausend Jahren leben“. In diesem Zusammenhang erwähnt der Laudator auch den Einsatz Kräutlers gegen den gigantischen Staudamm Belo Monte, der bis zu 40.000 Menschen den Lebensraum nähme.

Memminger Freiheitspreis 1525

"Gier-Macht-Ohnmacht" lautete das kritische Motto der BSG-Tanzgruppe.

Szenische Lesung der zwölf Bauernartikel

Wichtiger Teil des Festaktes, der von den Dekanen Christoph Schieder und Ludwig Waldmüller gemeinsam moderiert wurde, war die szenische Lesung der zwölf Bauernartikel von Darstellern unter der Leitung von Rolf Spitz. Die Bauernartikel waren von 50 Vertretern der aufständischen Bauern unter Anleitung des Memminger Laienprediger Sebastian Lotzer 1525 in der Memminger Kramerzunft formuliert worden. Der auf Grundlage des Evangeliums erstellte Forderungskatalog richtet sich gegen den Machtmissbrauch der Feudalherren und die Leibeigenschaft. Er gilt, wie Holzinger betonte, als erste Formulierung der Menschenrechte auf deutschem Boden.

Kräutler zeigte sich gerührt über die Auszeichnung: „Ich bin der Freude voll und danke von ganzem Herzen“, verkündete der Bischof vom Balkon der Großzunft aus. Er habe sich sofort mit der Auszeichnung identifizieren können, so der Bischof. Nicht zuletzt, weil es eine zeitliche Parallele gäbe zum Leid der Indios, deren Versklavung und Ausrottung im Jahr 1500 begonnen habe. Von ehemals sieben Millionen Indios lebten heute noch 300.000 in Brasilien.

Das stimmungsvolle Rahmenprogramm gestalteten die Stadtkapelle Memmingen (Leitung Johnny Ekkelboom), der Bläserchor St. Martin (Leitung Rolf Spitz), der Allgäuer Bauernchor (Leitung Uli Willer) und die Tanzgruppe des Bernhard-Strigel-Gymnasiums, geleitet von Birgit Reuter.

Memminger Freiheitspreis 1525

Bischof Dr. Erwin Kräutler sprach seine Dankesworte vom Balkon der Großzunft aus.

Werdegang von Dr. Erwin Kräutler

Der 1939 im österreichischen Vorarlberg geborene Kräutler trat 1958 in die Kongregation der "Missionare vom kostbaren Blut" ein. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie folgte 1965 die Priesterweihe. Im selben Jahr ging Kräutler als Missionar nach Brasilien und wirkte dort zunächst als einfacher Seelsorger im Amazonasgebiet. Im November 1980 wurde Kräutler zum Bischof der Diözese Xinggu berufen, die ein Gebiet etwa in der Größe Deutschlands umfasst. Von den 400.000 Einwohnern sind etwa 10 Prozent Indianer. Für ihre und die Rechte der Kleinbauern und gegen die Zerstörung des Regenwaldes setzte sich Kräutler ein. Seinen Missionsauftrag habe er nicht darin gesehen, “diesen Menschen ein abendländisches Glaubenspaket zu übergeben, sondern in einem solidarischen mit-Leben zu erfahren, wie sie denken, wie sie selbst sind", betonte der Geistliche in seiner Dankesrede.

Auch heftige Anfeindungen, Angriffe und Morddrohungen in den 80er Jahren hielten ihn nicht davon ab, gegen politische, soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten anzugehen. Seine Hartnäckigkeit hatte Erfolg: In der im Oktober 1988 verkündeten Verfassung wurden die Rechte der Indianervölker Brasiliens festgeschrieben. Doch der Kampf um die Einhaltung dieser Rechte geht weiter, auch nachdem Papst Franziskus den Bischof 2015, nach 35 Jahren, in den Ruhestand verabschiedete. Von der brasilianischen Bischofskonferenz wurde der vielfach geehrte und ausgezeichnete Bischof Kräutler (2010 mit dem Alternativen Nobelpreis) für ein weiteres Mandat von vier Jahren als Sekretär der Bischöflichen Kommission für Amazonien benannt.

Info: Der Memminger Freiheitspreis 1525 für Verdienste um Freiheit, Recht und Gerechtigkeit wurde im Jahr 2005 ins Leben gerufen. Nach dem ungarischen Außenminister Dr. Gyala Horn, dem deutschen Schriftsteller Reiner Kunze und der pakistanischen Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai ist Dr. Erwin Kräutler der vierte Preisträger der mit 15.000 Euro dotierten Auszeichnung.